Der verkannte Offenbach
Elisabeth Schmierers Buch macht sich stark für eine Wiederentdeckung Offenbachs, der neben Wagner und Verdi sicher der originellste Musiktheatraliker des 19. Jahrhunderts war - auch wenn das mancher nicht hören mag.
Immer noch scheiden sich an Offenbach die Geister. Das weit verbreitete Vorurteil, seine Werke seien anspruchslose "Operetten", scheint unausrottbar. Ein Missverständnis, das meist auf Unkenntnis beruht. Um so wichtiger ist das Buch von Elisabeth Schmierer mit seinen 16 gebündelten Aufsätzen. Es ist ein flammendes Plädoyer für eines der verkanntesten Genies des Musiktheaters.
Zu Recht betont die Herausgeberin, dass Jacques Offenbach der vergleichslose Erfinder eines auf politische Tagesgeschehnisse reagierenden Musiktheaters war. Ob Mythenparodie, Märchen, Satire, Revue, Idyll oder Burleske: Mit seinen 140 Bühnenwerken war Offenbach zu Lebzeiten einer der meistaufgeführten Komponisten seiner Zeit - ganz im Gegensatz zu seiner heutigen Wertschätzung und Präsenz im Repertoire. Die Aufsätze dieses Sammelbandes wollen denn auch "dem Musikliebhaber die faszinierende Welt des Komponisten eröffnen, den Theaterpraktiker zur Aufführung weiterer Werke anregen und den Wissenschaftler zur vertiefenden Forschung motivieren". Wobei alle Aufsätze für jedermann gut lesbar, hochinteressant und amüsant sind.
Um Offenbachs Theater und seine Musik richtig einzuordnen, beleuchtet der Band im ersten Kapitel Traditionen, Gattungen und Spielstätten Offenbachs. Dessen Werke wurden ja nicht nur in den Bouffes-Parisiens aufgeführt, sondern auch im Palais Royal, in der Opéra-Comique, im Theater in der Passage Choiseul, im Théâtre de la Gaité und im Théâtre des Variétés. Angesichts der vielen verschiedenen Gattungsbezeichnungen, derer sich Offenbach – jenseits des Begriffs "Operette" - bedient, verwendet die Herausgeberin der Einfachheit halber den Begriff Oper als Sammelkategorie.
Im zweiten Kapitel werden einige Haupt-, aber auch Nebenwerke genauer unter die Lupe genommen. Besonders gut wird das Offenbachsche Modell heiter-satirischen Musiktheaters am Beispiel von "Pariser Leben" deutlich: Soziale Verhältnisse und politische Strukturen werden (durch Tausch der Rollen von Unter- und Oberschicht) in ihrer ganzen Fragwürdigkeit und Absurdität, Banalität und Ungerechtigkeit der Lächerlichkeit preisgegeben. Und das mit einer anspielungsreichen Musik, die absurdes Theater vorwegnimmt und alles andere als banal, für einen Großteil des heutigen Publikums wohl eher zu intelligent ist.
Offenbach entwickelte immer neue Variationen seines Musiktheatermodells, das hinter vielfältigen Masken verborgen Wirklichkeit spiegelt, indem es gesellschaftliche Realität verzerrt, parodiert, ironisiert oder ins Utopische, Traumhafte, Satirische und Groteske steigert. Und das mit scharfer gesellschaftskritischer, ja politisch aufmüpfiger Stoßrichtung, dabei stets mit dem Ziel der Bein- und Lachmuskel-anregenden Unterhaltung.
Im dritten Kapitel geht es um die Offenbach-Rezeption in Deutschland und Österreich, wobei neben Bad Ems von Anfang an Wien eine besondere Rolle spielte. Ohne die Offenbach-Aufführungen (mit Nestroy) in der Donaumetropole wäre die Wiener Operette niemals entstanden. Die sechs Stücke "Orpheus in der Unterwelt", "Pariser Leben", "Die schöne Helena", "Die Banditen", "Hoffmanns Erzählungen" und Die Großherzogin von Gerolstein" kennt man. Aber was ist mit den übrigen 134 Bühnenstücken, zu schweigen vom Rest der insgesamt etwa 600 hinterlassenen Werke Offenbachs? Elisabeth Schmierers Buch macht sich stark für eine Wiederentdeckung Offenbachs, der neben Wagner und Verdi sicher der originellste Musiktheatraliker des 19. Jahrhunderts war - auch wenn das mancher nicht hören mag.
Besprochen von Dieter David Scholz
Elisabeth Schmierer: Jacques Offenbach und seine Zeit
Laaber Verlag, Laaber 2010
310 Seiten, 37,80 Euro
Zu Recht betont die Herausgeberin, dass Jacques Offenbach der vergleichslose Erfinder eines auf politische Tagesgeschehnisse reagierenden Musiktheaters war. Ob Mythenparodie, Märchen, Satire, Revue, Idyll oder Burleske: Mit seinen 140 Bühnenwerken war Offenbach zu Lebzeiten einer der meistaufgeführten Komponisten seiner Zeit - ganz im Gegensatz zu seiner heutigen Wertschätzung und Präsenz im Repertoire. Die Aufsätze dieses Sammelbandes wollen denn auch "dem Musikliebhaber die faszinierende Welt des Komponisten eröffnen, den Theaterpraktiker zur Aufführung weiterer Werke anregen und den Wissenschaftler zur vertiefenden Forschung motivieren". Wobei alle Aufsätze für jedermann gut lesbar, hochinteressant und amüsant sind.
Um Offenbachs Theater und seine Musik richtig einzuordnen, beleuchtet der Band im ersten Kapitel Traditionen, Gattungen und Spielstätten Offenbachs. Dessen Werke wurden ja nicht nur in den Bouffes-Parisiens aufgeführt, sondern auch im Palais Royal, in der Opéra-Comique, im Theater in der Passage Choiseul, im Théâtre de la Gaité und im Théâtre des Variétés. Angesichts der vielen verschiedenen Gattungsbezeichnungen, derer sich Offenbach – jenseits des Begriffs "Operette" - bedient, verwendet die Herausgeberin der Einfachheit halber den Begriff Oper als Sammelkategorie.
Im zweiten Kapitel werden einige Haupt-, aber auch Nebenwerke genauer unter die Lupe genommen. Besonders gut wird das Offenbachsche Modell heiter-satirischen Musiktheaters am Beispiel von "Pariser Leben" deutlich: Soziale Verhältnisse und politische Strukturen werden (durch Tausch der Rollen von Unter- und Oberschicht) in ihrer ganzen Fragwürdigkeit und Absurdität, Banalität und Ungerechtigkeit der Lächerlichkeit preisgegeben. Und das mit einer anspielungsreichen Musik, die absurdes Theater vorwegnimmt und alles andere als banal, für einen Großteil des heutigen Publikums wohl eher zu intelligent ist.
Offenbach entwickelte immer neue Variationen seines Musiktheatermodells, das hinter vielfältigen Masken verborgen Wirklichkeit spiegelt, indem es gesellschaftliche Realität verzerrt, parodiert, ironisiert oder ins Utopische, Traumhafte, Satirische und Groteske steigert. Und das mit scharfer gesellschaftskritischer, ja politisch aufmüpfiger Stoßrichtung, dabei stets mit dem Ziel der Bein- und Lachmuskel-anregenden Unterhaltung.
Im dritten Kapitel geht es um die Offenbach-Rezeption in Deutschland und Österreich, wobei neben Bad Ems von Anfang an Wien eine besondere Rolle spielte. Ohne die Offenbach-Aufführungen (mit Nestroy) in der Donaumetropole wäre die Wiener Operette niemals entstanden. Die sechs Stücke "Orpheus in der Unterwelt", "Pariser Leben", "Die schöne Helena", "Die Banditen", "Hoffmanns Erzählungen" und Die Großherzogin von Gerolstein" kennt man. Aber was ist mit den übrigen 134 Bühnenstücken, zu schweigen vom Rest der insgesamt etwa 600 hinterlassenen Werke Offenbachs? Elisabeth Schmierers Buch macht sich stark für eine Wiederentdeckung Offenbachs, der neben Wagner und Verdi sicher der originellste Musiktheatraliker des 19. Jahrhunderts war - auch wenn das mancher nicht hören mag.
Besprochen von Dieter David Scholz
Elisabeth Schmierer: Jacques Offenbach und seine Zeit
Laaber Verlag, Laaber 2010
310 Seiten, 37,80 Euro