Der Verleger als Romancier

Dieses Debüt möchte man lesen. Denn sein Verfasser befindet sich nicht nur längst jenseits des Alters, in dem Romanautoren normalerweise mit dem Schreiben anfangen, sondern er ist zudem ein großer, erfahrener und angesehener Verleger. Reinhold Neven Du Mont leitete ab 1968 den Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch. Für literarische Qualität, aber auch für die Gesetze des Marktes hatte er ein feines Gespür.
Er machte das deutsche Publikum mit Gabriel Garcia Márquez, Saul Bellow und V. S. Naipaul bekannt, lange bevor sie alle den Literatur-Nobelpreis bekamen, aber auch mit Heinrich Böll und Günter Wallraff. Vor knapp zehn Jahren zog sich der heute 73-Jährige aus dem Verlagsgeschäft zurück, um jetzt mit einem ersten Roman hervorzutreten.

"Die Villa" ist eine breit angelegte, ein halbes Jahrhundert durchmessende Familiengeschichte, die von Geschäftsleuten und Fabrikanten erzählt, von treulosen Ehemännern und unehelichen Kindern, von energischen Ehefrauen, Parvenüs und loyalen Hausangestellten, von großherzigen Attitüden und moralischen Verfehlungen. Kurzum, der Roman liefert ein prall-buntes Zeitpanorama von vor dem Ersten Weltkrieg bis in die 50er Jahre, gespiegelt in den Lebensgeschichten der Bewohner eines Hauses am See in der Nähe von München.

Das Geschehen schildert der Autor aus der Perspektive eines arrivierten Theaterkritikers, der auf die Todesanzeige einer Frau stößt, die er 1952 als junger Kunststudent in den Semesterferien kennen gelernt und in die er sich rettungslos verliebt hat. Ein einziges Mal hat er die Frau, die seine Mutter hätte sein können, wie sie sagt, in der Bibliothek ihrer Villa umarmt: eine Art Initiation, die sein weiteres Leben bestimmen sollte. Auf ihrer Beerdigung trifft er noch einmal das Personal jener Jahre.

Diese Begegnung setzt die Rahmenhandlung in Gang und seine Erinnerungen an den Sommer am See, in dem er sich den Ferienjob mit einem Betrug erschlich. Die widerstreitenden Gefühle von damals erstehen wieder auf, als er, der junge Mann aus kleinen Verhältnissen, sich in der mondänen Atmosphäre der Villa zu behaupten hatte, in der ein Gong zu den Mahlzeiten rief und Bilder von Lenbach über Renaissancemöbeln hingen.

Um mehr zu erzählen, als der junge Außenseiter durch eigenes Erleben wissen kann, um ein lebendiges Zeitbild zu entfalten, greift der Autor zu einem wohlfeilen Trick. Er lässt seinen Helden in der Bibliothek, die er zu ordnen hat, das Tagebuch einer früheren Besitzerin der Villa entdecken, das ihm - und damit uns - die Chronik vergangener Ereignisse enthüllt.

Allerdings gewährt er damit zugleich Einblicke nicht nur in intime und familiäre Zusammenhänge, die ein noch so wacher Gast sich in wenigen Wochen nicht aneignen kann, sondern auch in die Gedanken- und Gefühlswelt der Personen, wie sie einem Ich-Erzähler nicht zur Verfügung stehen. Dieser Bruch geht auf Kosten der Glaubwürdigkeit und ist leider eine ganz empfindliche Schwäche des Romans.

Seine Stärken aber entfaltet er in der Schilderung von Milieu und Atmosphäre einer vergangenen bürgerlichen Welt, und er überzeugt in der Charakterzeichnung einzelner Figuren wie der Hausangestellten Maria, die der Liebe während des Krieges in Gestalt eines polnischen Gefangenen begegnet, oder der Schwester der Hausherrin, die zwar ungeliebt durchs Leben geht, aber kraftvoll die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt trifft und die meisten überlebt.

Rezensiert von Edelgard Abenstein

Reinhold Neven Du Mont: Die Villa
C. H. Beck Verlag, München 2009
318 Seiten, 18,90 EUR