Der verletzte Riese
Den Amerikanern galten die Terroranschläge vom 11. September als Einschnitt in historischen Dimensionen. Noch nie waren sie nach dem Zweiten Weltkrieg auf eigenem Territorium so verletzt und so herausgefordert worden.
Die Auswirkungen sind bis heute zu spüren: im Schulunterricht, wo die Anschläge Eingang in den Geschichtsunterricht gefunden haben; bei Bewohnern von Hochhäusern, die nicht mehr an die Unzerstörbarkeit der einstigen Wahrzeichen des Landes glauben.
"Wir kommen jedes Jahr, um an einen Tag zu erinnern, der wie jeder andere begann und wie kein anderer zuvor endete,"
so Michael Bloomberg, der Bürgermeister von New York am 11. September des vergangenen Jahres, kurz nach dem Glockenklang um 8.46, der den Einschlag des ersten Flugzeugs in das World Trade Center markierte.
Die Glocke, die Reden, die Namen der Opfer, die Trauermusik, sie werden auch in diesem Jahr nicht fehlen und auch wenn Ground Zero zehn Jahre nach den Anschlägen, auf den ersten Blick noch immer eine Baustelle ist, wo Presslufthämmer dröhnen, Zement gegossen wird und neue Bürotürme entstehen. Es ist nicht länger nur eine Baustelle.
Für die Angehörigen ist dieser Platz seit zehn Jahren ohnehin heiliger Boden. Vor allem für diejenigen unter ihnen, fast 40 Prozent, die ohne sterbliche Überreste erinnern müssen. Doch auch für alle anderen wurde pünktlich zu diesem Jahrestag das Mahnmal geschaffen. Noch ist es durch Zäune abgeschirmt, am Sonntag soll es eröffnet werden. Reflecting Absence, so der Name des Denkmals, übersetzt etwa: Nachdenken über das, was fehlt.
Auf den Grundflächen der ehemaligen Zwillingstürme sind zwei quadratische Becken entstanden, 60 Meter breit, neun Meter tief. Wasser fließt, die Wände entlang, in das Becken, am Rand sind die Namen aller knapp 3000 Opfer des 11. September zu lesen, darunter die von 343 Feuerwehrmännern. Dan Prince ist ehemaliger Feuerwehrmann in New York. Er erinnert sich an die Zeit unmittelbar nach 2001 und unterstreicht diesen internationalen Aspekt der Anschläge in seiner Stadt:
"Man konnte damals auf einer Plattform die Arbeiten verfolgen und man sah die Flaggen der Länder, die Tote zu beklagen hatten, jedem wurde klar, dass dies kein Anschlag auf New York war, nicht einmal nur auf Amerika."
Michael Werz ist Sozialwissenschaftler am Center for American Progress in Washington:
"Das war einer der zentralen Attraktionspunkte für die Verbrecher des 11. Septembers, das kulturelle Herz einer Zukunftsgesellschaft zu treffen, nämlich die Stadt, die tagtäglich den lebenden Beweis dafür antritt, das ein Leben verschiedener nationaler Herkünfte, ethnischer Traditionen, religiöser Überzeugungen durchaus möglich ist."
"New York ist Welthauptstadt,"
sagt Kevin Madigan und schüttelt den Kopf angesichts der Frage, ob er noch immer gerne hier lebt. Madigan ist Pfarrer in St. Peter, nahe Ground Zero, die älteste katholische Gemeinde im ganzen Bundesstaat New York. Madigan hat den 11. September mit Glück überlebt, er erzählt von Fahrwerkteilen, die knapp neben ihm aufschlugen. Seine Kirche wurde in den ersten Stunden zur Leichenhalle, 30 Opfer wurden dort vorübergehend dort hingebracht. Der Stadtteil hat sich nicht nur erholt, sagt Madigan, die Einwohnerzahl hier habe sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt:
"Eine der beliebtesten und teuersten Gegenden der Stadt, wo Wohnungspreise nicht nur nach Quadratmetern, sondern aufgrund hoher Decken umfunktionierter alter Gebäude nach Kubikmetern berechnet werden. Man muss es sich also leisten können."
Die Gedenkfeiern in New York dominieren diesen zehnten Jahrestag, dabei wird auch in Shanksville, Pennsylvania gebaut, dort wo das vierte Flugzeug, United 93, auf ein Feld stürzte, nachdem Passagiere den Kampf mit den Terroristen an Bord riskierten. 40 weiße Marmortafeln, aufgestellt in Flugrichtung erinnern an den Ort, an dem zufällig Weltgeschichte geschrieben wurde. Auch dieses Mahnmal wird jetzt nach zehn Jahren offiziell eröffnet, doch schon bisher kamen etwa 160.000 Besucher im Jahr. Jeff Reinbold, beim National Park Service für das Denkmal verantwortlich:
"Viele Amerikaner kommen nicht mal schnell nach Manhattan, ein Ort, der bedrohlich wirken kann, auch das Pentagon ist kein natürliches Besuchsziel, nichts wirkt bedrohlich an einem Feld in Pennsylvania."
Connie und Sam Stevanus wohnen nur wenige Hundert Meter vom Absturzort von Flug 93 entfernt, sie zeigen Aschereste, mehrere Plastiktüten voll haben sie auf ihrem Grundstück eingesammelt, viel mehr blieb nicht zu tun. Die ganze Einfahrt sei schwarz gewesen, erzählt Connie, es traf sie bis ins Mark:
Tun sich die Amerikaner schwer mit dem Gedenken an 9/11? Zbigniew Brzezinksi, mit 83 Jahren einer der erfahrensten Kenner der US-Außenpolitik, schaut von seinem Büro von der K Street in Washington auf den Verkehr unter ihm. In den 70ern war er nationaler Sicherheitsberater unter Präsident Jimmy Carter, heute ist der 83-jährige Professor an der Johns Hopkins Universität und berät am Zentrum für Strategische und Internationale Studien in Washington:
"Das kann sein, es kann aber auch an etwas liegen, das ich nicht exakt beschreiben kann. Es gibt zurzeit eine geschichtliche Unsicherheit über das Land, seinen Platz in der Welt und die Bedeutung bestimmter Ereignisse. Wir leben in Zeiten, die nicht mehr so übersichtlich sind wie im Kalten Krieg oder gar während des Zweiten Weltkriegs."
Unsicherheit und Verunsicherung – am Ende der Dekade fallen diese Worte häufig. Die Krise in Zahlen auszudrücken, ist einfach. Im Durchschnitt aktueller Meinungsumfragen sehen 74,4 Prozent der Amerikaner das Land auf einem Weg in die falsche Richtung. Zweieinhalb Jahre nachdem sich die Wähler mehrheitlich für einen Machtwechsel im Weißen Haus entschieden haben, zweifeln sie auch an seinem Nachfolger Barack Obama. Dabei wäre es zu einfach, die post 9/11 Dekade in die Zeit vor und nach George Bush einzuteilen. Der Rückblick nach zehn Jahren erlaubt eine zeitliche Dreiteilung:
"Wer nicht für uns ist, ist gegen uns."
Dieses präsidiale Diktum unmittelbar nach den Anschlägen steht für ein Weltbild, dass nach Meinung von Zbigniew Brzezinski auch heute noch in weiten Teilen des Landes verbreitet ist. Seiner Meinung nach Ursache dafür, dass die wichtigste Lehre nach dem 11. September noch immer nicht gelernt worden ist:
"Das Land ist einer dramatischen Simplifizierung erlegen. Ausgedrückt durch die Worte von George Bush, ich zitiere das hier wörtlich: Sie hassen Freiheit und sie, das wurde in der Regel religiös beschrieben, heilige Krieger oder gar Muslime. So wurde ein umfassendes Verständnis der Bedrohung durch 9/11 untergraben und die Verpflichtung moderner pluralistischer Demokratien, ohne Demagogie zu reagieren."
Während der Krieg in Afghanistan noch weitgehend ohne innenpolitische Kontroverse und mit internationaler Abstimmung begann, eskalierte die erste Reaktionsphase schnell, ein umstrittener Krieg im Irak führte zu Verwerfungen mit Partnern, die plötzlich als "altes Europa" abgestraft wurden, das Lager in Guantanamo, sogenannte verschärfte Verhörmethoden, für Kritiker im In- und Ausland schlicht Folter und eine beispiellose Gesetzgebung zur Inneren Sicherheit gehörten dazu. David Cole ist Jura-Professor an der Georgetown University:
"Die zweite Amtszeit war weniger radikal, es gab keine außerordentlichen Auslieferungen mehr, es wurde nicht länger gefoltert, Militärkommissionen wurden reformiert, gerichtlich nicht autorisierte Abhöraktionen eingestellt, die zweite Amtszeit von George Bush war stärker durch Recht und Gesetz bestimmt, nicht aus eigener Einsicht, sondern durch öffentlichen Druck oder durch Gerichte. Wir waren aber deshalb nicht weniger sicher als in der ersten Amtszeit von Bush."
Barack Obama in Kairo 2009, wenige Monate nach seiner Amtseinführung, auf der Suche nach einem Neubeginn der Beziehungen Amerikas zur islamischen Welt. Seine Wahl markiert die dritte Phase dieser Dekade nach dem 11. September. Doch während der neue Präsident im Ausland um islamische Partner wirbt, sehen sich Muslime in den USA auch zehn Jahre nach den Anschlägen noch immer in schwieriger Lage:
Der politische Streit um ein islamisches Zentrum in New York, wenige Meter von Ground Zero entfernt hat im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht, das Projekt ist nach dem erbitterten Widerstand aus der Bevölkerung am ursprünglich geplanten Ort vom Tisch. Doch Imam Ossama Bahloul trennen Tausende von Kilometern von Ground Zero. Er leitet die Gemeinde in Murfreesboro, Tennessee. Auch dort wird seit einem Jahr um eine neue Moschee gestritten. Auf der Straße, vor Gericht. Hier, in der Provinz ist Islamophobie, zehn Jahre nach dem 11. September, offen zu besichtigen. Es ist schlimmer denn je, sagt der Imam im Interview:
Sally Wall gehörte zu denjenigen, die den Widerstand finanzieren. Die frühere Immobilienmaklerin macht keinen Hehl aus ihrem Misstrauen gegenüber Muslimen:
"Ihre Religion erlaubt Mord und Diebstahl, solange es im Namen Mohammeds geschieht, ich bin in deren Augen eine Ungläubige, ich könnte Opfer werden, so sehe ich die Dinge,"
sagt sie. Sozialwissenschaftler Michael Werz in Washington ist skeptisch:
"Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass das eine mehrheitsfähige Position ist in den Vereinigten Staaten, selbst wenn es konservative Auswüchse gibt und ein Segment der amerikanischen Gesellschaft, das sich wahrscheinlich zwischen fünf und acht Prozent bewegt, diesen konservativen Ideologien, die sich in der Tea-Party ausdrücken, anschließen."
Die Wahl zwischen unserer Sicherheit und unseren Idealen ist schon im Ansatz falsch, versicherte Barack Obama in seiner Antrittsrede 2009. Vieles wollte er anders machen im Anti-Terror Kampf, gerade in diesem Bereich musste er empfindliche Niederlagen einstecken, dazugehört vor allen anderen sein Scheitern in der Guantanamo-Frage. Das Lager existiert auch heute noch, zu groß ist der Widerstand im Kongress, übrigens Widerstand in beiden großen Parteien. Professor David Cole von der Georgetown University:
"Die Politiker machen es sich leicht, keiner will die Häftlinge in seinem Wahlkreis und sicher bekommen sie Applaus dafür, doch das ist kurzsichtig, das Lager ist ein Symbol für Rechtlosigkeit, für Folter selbst ehemalige Amtsträger wie George Bush und Condoleezza Rice sagen, es sei besser, das Lager zu schließen,"
so David Cole, der dem Präsidenten insgesamt gute Noten ausstellt für sein Bemühen, die Freiheit zu verteidigen, ohne sie gleichzeitig aufzugeben. Er sieht in diesem Bereich die wichtigste Herausforderung und warnt vor der Macht rund um das nach dem 11. September geschaffene Heimatschutzministerium:
"Die größte Langzeitwirkung betrifft die Folgen dieses neuen Apparats mit gewaltiger Macht, Heimatschutz, Pentagon, private Auftragsunternehmen – sie alle werden sich in Zukunft bei jeder Entscheidung für mehr Sicherheit einsetzen und es wird kaum Stimmen geben, die sagen: was ist mit den Bürgerrechten?"
Die amerikanischen Truppen kehren zurück aus dem Irak und aus Afghanistan, Barack Obama beendet die Kriege, die sein Vorgänger als Antwort auf den 11. September begonnen hat. Der Tod Osama Bin Ladens hat hier als symbolischem Endpunkt der ersten Dekade nach den Anschlägen wertvollen politischen Spielraum für den Präsidenten geöffnet. Vermutlich verlaufen die Fronten in den kommenden Jahren im Landesinneren. Vor dem Hintergrund vieler Unsicherheiten bleibt eine Gewissheit: Ein neuer Anschlag könnte binnen Sekunden völlig neue Realitäten schaffen.
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Sammelportal 9/11 - Zehn Jahre danach
"Wir kommen jedes Jahr, um an einen Tag zu erinnern, der wie jeder andere begann und wie kein anderer zuvor endete,"
so Michael Bloomberg, der Bürgermeister von New York am 11. September des vergangenen Jahres, kurz nach dem Glockenklang um 8.46, der den Einschlag des ersten Flugzeugs in das World Trade Center markierte.
Die Glocke, die Reden, die Namen der Opfer, die Trauermusik, sie werden auch in diesem Jahr nicht fehlen und auch wenn Ground Zero zehn Jahre nach den Anschlägen, auf den ersten Blick noch immer eine Baustelle ist, wo Presslufthämmer dröhnen, Zement gegossen wird und neue Bürotürme entstehen. Es ist nicht länger nur eine Baustelle.
Für die Angehörigen ist dieser Platz seit zehn Jahren ohnehin heiliger Boden. Vor allem für diejenigen unter ihnen, fast 40 Prozent, die ohne sterbliche Überreste erinnern müssen. Doch auch für alle anderen wurde pünktlich zu diesem Jahrestag das Mahnmal geschaffen. Noch ist es durch Zäune abgeschirmt, am Sonntag soll es eröffnet werden. Reflecting Absence, so der Name des Denkmals, übersetzt etwa: Nachdenken über das, was fehlt.
Auf den Grundflächen der ehemaligen Zwillingstürme sind zwei quadratische Becken entstanden, 60 Meter breit, neun Meter tief. Wasser fließt, die Wände entlang, in das Becken, am Rand sind die Namen aller knapp 3000 Opfer des 11. September zu lesen, darunter die von 343 Feuerwehrmännern. Dan Prince ist ehemaliger Feuerwehrmann in New York. Er erinnert sich an die Zeit unmittelbar nach 2001 und unterstreicht diesen internationalen Aspekt der Anschläge in seiner Stadt:
"Man konnte damals auf einer Plattform die Arbeiten verfolgen und man sah die Flaggen der Länder, die Tote zu beklagen hatten, jedem wurde klar, dass dies kein Anschlag auf New York war, nicht einmal nur auf Amerika."
Michael Werz ist Sozialwissenschaftler am Center for American Progress in Washington:
"Das war einer der zentralen Attraktionspunkte für die Verbrecher des 11. Septembers, das kulturelle Herz einer Zukunftsgesellschaft zu treffen, nämlich die Stadt, die tagtäglich den lebenden Beweis dafür antritt, das ein Leben verschiedener nationaler Herkünfte, ethnischer Traditionen, religiöser Überzeugungen durchaus möglich ist."
"New York ist Welthauptstadt,"
sagt Kevin Madigan und schüttelt den Kopf angesichts der Frage, ob er noch immer gerne hier lebt. Madigan ist Pfarrer in St. Peter, nahe Ground Zero, die älteste katholische Gemeinde im ganzen Bundesstaat New York. Madigan hat den 11. September mit Glück überlebt, er erzählt von Fahrwerkteilen, die knapp neben ihm aufschlugen. Seine Kirche wurde in den ersten Stunden zur Leichenhalle, 30 Opfer wurden dort vorübergehend dort hingebracht. Der Stadtteil hat sich nicht nur erholt, sagt Madigan, die Einwohnerzahl hier habe sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt:
"Eine der beliebtesten und teuersten Gegenden der Stadt, wo Wohnungspreise nicht nur nach Quadratmetern, sondern aufgrund hoher Decken umfunktionierter alter Gebäude nach Kubikmetern berechnet werden. Man muss es sich also leisten können."
Die Gedenkfeiern in New York dominieren diesen zehnten Jahrestag, dabei wird auch in Shanksville, Pennsylvania gebaut, dort wo das vierte Flugzeug, United 93, auf ein Feld stürzte, nachdem Passagiere den Kampf mit den Terroristen an Bord riskierten. 40 weiße Marmortafeln, aufgestellt in Flugrichtung erinnern an den Ort, an dem zufällig Weltgeschichte geschrieben wurde. Auch dieses Mahnmal wird jetzt nach zehn Jahren offiziell eröffnet, doch schon bisher kamen etwa 160.000 Besucher im Jahr. Jeff Reinbold, beim National Park Service für das Denkmal verantwortlich:
"Viele Amerikaner kommen nicht mal schnell nach Manhattan, ein Ort, der bedrohlich wirken kann, auch das Pentagon ist kein natürliches Besuchsziel, nichts wirkt bedrohlich an einem Feld in Pennsylvania."
Connie und Sam Stevanus wohnen nur wenige Hundert Meter vom Absturzort von Flug 93 entfernt, sie zeigen Aschereste, mehrere Plastiktüten voll haben sie auf ihrem Grundstück eingesammelt, viel mehr blieb nicht zu tun. Die ganze Einfahrt sei schwarz gewesen, erzählt Connie, es traf sie bis ins Mark:
Tun sich die Amerikaner schwer mit dem Gedenken an 9/11? Zbigniew Brzezinksi, mit 83 Jahren einer der erfahrensten Kenner der US-Außenpolitik, schaut von seinem Büro von der K Street in Washington auf den Verkehr unter ihm. In den 70ern war er nationaler Sicherheitsberater unter Präsident Jimmy Carter, heute ist der 83-jährige Professor an der Johns Hopkins Universität und berät am Zentrum für Strategische und Internationale Studien in Washington:
"Das kann sein, es kann aber auch an etwas liegen, das ich nicht exakt beschreiben kann. Es gibt zurzeit eine geschichtliche Unsicherheit über das Land, seinen Platz in der Welt und die Bedeutung bestimmter Ereignisse. Wir leben in Zeiten, die nicht mehr so übersichtlich sind wie im Kalten Krieg oder gar während des Zweiten Weltkriegs."
Unsicherheit und Verunsicherung – am Ende der Dekade fallen diese Worte häufig. Die Krise in Zahlen auszudrücken, ist einfach. Im Durchschnitt aktueller Meinungsumfragen sehen 74,4 Prozent der Amerikaner das Land auf einem Weg in die falsche Richtung. Zweieinhalb Jahre nachdem sich die Wähler mehrheitlich für einen Machtwechsel im Weißen Haus entschieden haben, zweifeln sie auch an seinem Nachfolger Barack Obama. Dabei wäre es zu einfach, die post 9/11 Dekade in die Zeit vor und nach George Bush einzuteilen. Der Rückblick nach zehn Jahren erlaubt eine zeitliche Dreiteilung:
"Wer nicht für uns ist, ist gegen uns."
Dieses präsidiale Diktum unmittelbar nach den Anschlägen steht für ein Weltbild, dass nach Meinung von Zbigniew Brzezinski auch heute noch in weiten Teilen des Landes verbreitet ist. Seiner Meinung nach Ursache dafür, dass die wichtigste Lehre nach dem 11. September noch immer nicht gelernt worden ist:
"Das Land ist einer dramatischen Simplifizierung erlegen. Ausgedrückt durch die Worte von George Bush, ich zitiere das hier wörtlich: Sie hassen Freiheit und sie, das wurde in der Regel religiös beschrieben, heilige Krieger oder gar Muslime. So wurde ein umfassendes Verständnis der Bedrohung durch 9/11 untergraben und die Verpflichtung moderner pluralistischer Demokratien, ohne Demagogie zu reagieren."
Während der Krieg in Afghanistan noch weitgehend ohne innenpolitische Kontroverse und mit internationaler Abstimmung begann, eskalierte die erste Reaktionsphase schnell, ein umstrittener Krieg im Irak führte zu Verwerfungen mit Partnern, die plötzlich als "altes Europa" abgestraft wurden, das Lager in Guantanamo, sogenannte verschärfte Verhörmethoden, für Kritiker im In- und Ausland schlicht Folter und eine beispiellose Gesetzgebung zur Inneren Sicherheit gehörten dazu. David Cole ist Jura-Professor an der Georgetown University:
"Die zweite Amtszeit war weniger radikal, es gab keine außerordentlichen Auslieferungen mehr, es wurde nicht länger gefoltert, Militärkommissionen wurden reformiert, gerichtlich nicht autorisierte Abhöraktionen eingestellt, die zweite Amtszeit von George Bush war stärker durch Recht und Gesetz bestimmt, nicht aus eigener Einsicht, sondern durch öffentlichen Druck oder durch Gerichte. Wir waren aber deshalb nicht weniger sicher als in der ersten Amtszeit von Bush."
Barack Obama in Kairo 2009, wenige Monate nach seiner Amtseinführung, auf der Suche nach einem Neubeginn der Beziehungen Amerikas zur islamischen Welt. Seine Wahl markiert die dritte Phase dieser Dekade nach dem 11. September. Doch während der neue Präsident im Ausland um islamische Partner wirbt, sehen sich Muslime in den USA auch zehn Jahre nach den Anschlägen noch immer in schwieriger Lage:
Der politische Streit um ein islamisches Zentrum in New York, wenige Meter von Ground Zero entfernt hat im vergangenen Jahr Schlagzeilen gemacht, das Projekt ist nach dem erbitterten Widerstand aus der Bevölkerung am ursprünglich geplanten Ort vom Tisch. Doch Imam Ossama Bahloul trennen Tausende von Kilometern von Ground Zero. Er leitet die Gemeinde in Murfreesboro, Tennessee. Auch dort wird seit einem Jahr um eine neue Moschee gestritten. Auf der Straße, vor Gericht. Hier, in der Provinz ist Islamophobie, zehn Jahre nach dem 11. September, offen zu besichtigen. Es ist schlimmer denn je, sagt der Imam im Interview:
Sally Wall gehörte zu denjenigen, die den Widerstand finanzieren. Die frühere Immobilienmaklerin macht keinen Hehl aus ihrem Misstrauen gegenüber Muslimen:
"Ihre Religion erlaubt Mord und Diebstahl, solange es im Namen Mohammeds geschieht, ich bin in deren Augen eine Ungläubige, ich könnte Opfer werden, so sehe ich die Dinge,"
sagt sie. Sozialwissenschaftler Michael Werz in Washington ist skeptisch:
"Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass das eine mehrheitsfähige Position ist in den Vereinigten Staaten, selbst wenn es konservative Auswüchse gibt und ein Segment der amerikanischen Gesellschaft, das sich wahrscheinlich zwischen fünf und acht Prozent bewegt, diesen konservativen Ideologien, die sich in der Tea-Party ausdrücken, anschließen."
Die Wahl zwischen unserer Sicherheit und unseren Idealen ist schon im Ansatz falsch, versicherte Barack Obama in seiner Antrittsrede 2009. Vieles wollte er anders machen im Anti-Terror Kampf, gerade in diesem Bereich musste er empfindliche Niederlagen einstecken, dazugehört vor allen anderen sein Scheitern in der Guantanamo-Frage. Das Lager existiert auch heute noch, zu groß ist der Widerstand im Kongress, übrigens Widerstand in beiden großen Parteien. Professor David Cole von der Georgetown University:
"Die Politiker machen es sich leicht, keiner will die Häftlinge in seinem Wahlkreis und sicher bekommen sie Applaus dafür, doch das ist kurzsichtig, das Lager ist ein Symbol für Rechtlosigkeit, für Folter selbst ehemalige Amtsträger wie George Bush und Condoleezza Rice sagen, es sei besser, das Lager zu schließen,"
so David Cole, der dem Präsidenten insgesamt gute Noten ausstellt für sein Bemühen, die Freiheit zu verteidigen, ohne sie gleichzeitig aufzugeben. Er sieht in diesem Bereich die wichtigste Herausforderung und warnt vor der Macht rund um das nach dem 11. September geschaffene Heimatschutzministerium:
"Die größte Langzeitwirkung betrifft die Folgen dieses neuen Apparats mit gewaltiger Macht, Heimatschutz, Pentagon, private Auftragsunternehmen – sie alle werden sich in Zukunft bei jeder Entscheidung für mehr Sicherheit einsetzen und es wird kaum Stimmen geben, die sagen: was ist mit den Bürgerrechten?"
Die amerikanischen Truppen kehren zurück aus dem Irak und aus Afghanistan, Barack Obama beendet die Kriege, die sein Vorgänger als Antwort auf den 11. September begonnen hat. Der Tod Osama Bin Ladens hat hier als symbolischem Endpunkt der ersten Dekade nach den Anschlägen wertvollen politischen Spielraum für den Präsidenten geöffnet. Vermutlich verlaufen die Fronten in den kommenden Jahren im Landesinneren. Vor dem Hintergrund vieler Unsicherheiten bleibt eine Gewissheit: Ein neuer Anschlag könnte binnen Sekunden völlig neue Realitäten schaffen.
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