Der Vermisstenschreiber

Von Georg Gruber · 24.10.2013
"M" - so heißt der neue Kriminalroman von Friedrich Ani. Die Hauptfigur Tabor Süden, Ex-Polizist und Ermittler, ist für Ani-Leser ein alter Bekannter. Seit 15 Jahren schon sucht er vermisste Personen. Wie in anderen Krimis des Autors steht auch in "M" nicht ein Mord im Mittelpunkt, sondern die Suche nach Vermissten.
Ein warmer Herbsttag, die Stadt ist voller Touristen in Lederhosen und Dirndl. Es ist Oktoberfest-Zeit. Friedrich Ani, groß, die grauen Haare nach hinten, trägt keine Tracht, natürlich nicht, sondern Hemd und Hosen in schlichtem Bohemienschwarz, dazu eine dunkle Lederjacke. Bayerntümelei ist ihm fremd - obwohl er selbst aus tiefster bayerischer Provinz stammt und seine Romane meist in München spielen. Sie sind Reiseführer in eine andere Stadt.

Ani: "Dass meine Bücher ein anderes München zeigen, als das was das Tourismusbüro macht, das liegt ja nicht an mir!"

Friedrich Ani sitzt im Innenhof des Stadtcafés. Sein Stammlokal. Eine Institution in München. Journalisten, Schriftsteller, Intellektuelle treffen sich hier.

Ani: "Ich schreibe über die Dinge, die in einer Großstadt nun mal passieren, über Ecken, die ich kenne und die mir nah sind, und die natürlich auch zu diesem München gehören, das niemand sieht. Es ist ja auch so, dass selbst am Oktoberfest niemand Bierleichen sieht, was phänomenal ist.

Wie ein potemkinsches Dorf gelingt es dieser Stadt, sich immer blendend hinzustellen. Und dahinter gibt’s arme Kinder, es gibt große Kinderarmut, es gibt Obdachlose, es gibt verdammt viele Leute, die sich die Mieten nicht mehr leisten können und so weiter. Das was in jeder größeren Stadt passiert."

Zu Hause ist Ani in Giesing, auf der anderen Seite der Isar. Dort, im noch nicht durch gentrifizierten Viertel der einfachen Leute, lässt Ani auch seine Romanfigur Tabor Süden leben, den Ex-Polizisten, der immer aufs Neue auf der Suche nach Vermissten ist.

So kann Ani über Menschen am Rand schreiben, die ihr Leben leben und es selten leicht dabei haben. So wie Tabor Süden auch, der ein Grübler ist, wenig redet, gerne trinkt, seinen verschwundenen Vater sucht und mit einem toten Jugendfreund spricht.

Ani: "Der Süden ist in keiner Weise unglücklich, er hadert mit Dingen und er hadert mit Leuten und manchmal findet er es schwierig sich zurecht zu finden in der Nacht. Aber er ist nicht unglücklich, Tabor Süden ist keine unglückliche Figur, für einen echten Melancholiker gibt es das Unglück nicht."

Wenn Ani so über Süden spricht, spricht er auch über sich selbst. Süden stammt vom Land - Friedrich Ani ist in Kochel am See aufgewachsen, am Fuß der Berge, im Bilderbuchbayern. Geboren 1959, die Mutter aus Schlesien, der Vater Syrer. Das Dorf ist für Ani der Inbegriff der Enge.

Ani: "Im Süden die Berge, im Norden das Moor und Menschen, die sehr hinterhältig schauen können, die einem alles leiden, was sie nicht haben, die einem alles wegnehmen wollen, was sie niemals erreichen werden, nämlich innere Freiheit oder Fantasie oder Übermut.

"Ich wollte auch immer ein Pseudonym finden"
Und ich hab‘ instinktiv wie ein Tier gespürt, dass ich da in einem riesigen Käfig bin, und bin dann erst mal sehr lange in die innere Emigration gegangen. Mein einziger Traum war wegzulaufen, ich hab es nicht geschafft, war zu feige, aber ich habe sehr früh das Lesen und Schreiben entdeckt, und das Komponieren und habe da sozusagen in der Kunst mein Asyl gesucht."

Mit 18 schafft er den Absprung, nach München, 1979. Findet hier seine Freiheit, kann Abtauchen in der großstädtische Anonymität - für ihn die "Idealvorstellung von Leben".

Ani: "Ich wollte auch immer ein Pseudonym finden, eines meiner Hauptziele war, sollte ich jemals das Schreiben als Beruf oder als Lebensgrundlage schaffen, dann nur unter Pseudonym, ich wollte nicht, dass man mich kennt, das ist mir nicht gelungen, weil mir kein Pseudonym eingefallen ist, außer Tabor Süden, und da wusste ich schon mit 15, das würde mir niemand glauben, dass einer so heißt."

Er macht Zivildienst in einem Heim für schwererziehbare Jungen. Arbeitet als Journalist. Schreibt Lyrik, einen Roman und Drehbücher. Und wird gefragt, ob er sich nicht einen München-Krimi ausdenken möchte, worauf er selber, wie er sagt, nie gekommen wäre - womit dann aber seine Karriere als vielfach preisgekrönter Erfolgsautor beginnt. In seinen Krimis steht nicht ein Mord und seine Aufklärung im Mittelpunkt, sondern die Suche nach Vermissten.

Ani: "Ich habe ja nie geschaut, was ich an Krimi schreiben will oder was könnte ich anders machen als andere. Ich hab' nur im Nachhinein festgestellt, dass alles, was ich geschrieben habe, immer irgendwie mit Vermissten und Verschwundenen zu tun hat.

Und das liegt wahrscheinlich daran, dass ich, seit ich denken kann selber immer nur verschwinden wollte und irgendwo untertauchen wollte und irgendwie hat sich das dann transponiert, und ich bin jetzt der Vermisstenschreiber, und das passt mir."

Im neuen Ani-Roman "M" recherchiert Süden im rechten Milieu, eine ungewohnt blutige Geschichte. Bei der Buchpräsentation im mit rund 250 Besuchern gut gefüllten Saal des Wirtshauses im Schlachthof spielen Zwirbeldirn. Zwei Musikerinnen aus der lebendigen neuen Volksmusikszene, für die er sogar einen Liederzyklus auf bayrisch geschrieben hat.

Ani: "Das Bayerische ist meine Muttersprache, da ist nichts zu ändern dran. Und Sprache ist natürlich, das ist die Musik der Seele, da kann man nichts machen, das ist das, wo man herkommt, man kommt aus der Sprache oder aus dem Schweigen, und ich komm aus beidem."

Hat er sich also doch versöhnt mit seinem Wurzeln? Wird er irgendwann zurückkehren aufs Land, wo er aufgewachsen ist? Nein, sagt Ani:

"Ich habe ausdrücklich in mein Testament geschrieben, dass ich auf gar keinen Fall auf dem katholischen Friedhof in Kochel am See begraben sein möchte. Und ich hoffe, dass die Leute sich daran halten."
Mehr zum Thema