Der virtuelle Weltuntergang

Von Michael Miersch |
Januar 2006: "Klima Knall - extremstes Wetter aller Zeiten!"
Oktober 2006: "Wird die Erde unbewohnbar?"
Januar 2007: "Fliegt uns die Erde um die Ohren?"
Februar 2007: "Unser Planet stirbt! Jetzt amtlich: Erde immer heißer."
Und ebenfalls Februar 2007: "Wir haben noch elf Jahre …"

Das ist nur eine kleine Auswahl von Balkenüberschriften einer großen Zeitung - na Sie wissen schon welcher. "Bild" bildet keine Ausnahme damit: Hörfunk, Fernsehen und die allermeisten anderen Blätter servieren uns den Klimawandel ganz ähnlich zubereitet.

Erinnern Sie sich noch an den BSE-Panik vor sechs Jahren? In einem Monat erschienen damals 1311 Presseartikel zum Thema Rinderwahnsinn, die - ohne Beweise zu erbringen - höchste Gefahr für unser aller Leib und Leben unterstellten (Radio- und Fernsehbeiträge nicht mitgezählt). Bis heute ist die Krankheit bei keinem deutschen Rind ausgebrochen - die Zahl der getöteten Tiere, die zwar infiziert aber ohne Symptome waren, liegt zurzeit bei etwas über 400. Und auch kein einziger Mensch wurde bisher in Deutschland von der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit befallen, die vom Verzehr verseuchten Rindfleisches herrühren soll. In Großbritannien liegt die Zahl der erkrankten Menschen weit unter 200 und nicht bei 250.000 wie vorausgesagt.

Die Klima-Schlagzeilen klingen genauso wie die Waldsterbens-Schlagzeilen von gestern.

"Süddeutsche Zeitung": "Der deutsche Wald stirbt."
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Die Wälder siechen immer schneller dahin."
"Der Spiegel": "Wir stehen vor einem ökologischen Hiroschima."
"Die Zeit": "Allenfalls ein Ignorant" könne am Ausmaß des Waldsterbens zweifeln.

Damals hieß es "Ignorant", heute "Klima-Leugner". In den Jahren der größten Waldpanik – das zeigt die Forststatistik – wuchs der deutsche Wald sowohl in der Fläche als auch im Volumen, also in der Holzmenge pro Hektar.

Der Alarm-Journalismus hat alle Maßstäbe verloren: Immer steht der Weltuntergang bevor, es geht nie eine Nummer kleiner. Nicht Tatsachen interessieren, sondern Prognosen, Szenarien und Hochrechnungen. Ganz gleich wie dünn die Faktendecke ist, auf der sie stehen. Kaum einer traut sich zu fragen, ob es wirklich seriös ist, das Weltklima für 50 oder 100 Jahre vorherzusagen. Schließlich gelingt dies noch nicht einmal für die nationale Wirtschaftsentwicklung eines Jahres – obwohl man es dabei mit weitaus weniger Unbekannten zu tun hat.

Dass die Prognosen der Vergangenheit von der Realität entkräftet wurden, kümmert kaum – solange genügend Nachschub vorhanden ist. Widerlegen neue Erkenntnisse die alten Vorhersagen, dringt dies dann meistens nur in Fachzeitschriften vor, die großen Medien haben sich längst neuen Weltuntergängen zugewandt. Sehr selten findet so etwas wie eine Nachberichterstattung oder eine kritische Rückschau statt. So werden Schicht um Schicht Ängste aufeinander gestapelt. Sie bleiben diffus und genau deshalb wirken sie dauerhaft und erzeugen ein chronisches Bedrohungsgefühl. Wie war das noch mit dem Wald? Was war da genau in Tschernobyl? Hab ich da nicht mal was über Mobilfunk gelesen? Es ist ja alles so schrecklich.

Die Schlagzeilenprosa, die aus Klimaprognosen und anderen Hypothesen getextet wird, mag die Auflage steigern - mit Aufklärung hat sie nichts zu tun. Aufklärung würde bedeuten, Zuschauer und Leser in die Lage zu versetzen, selbst abzuwägen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Das Gegenteil geschieht. Moderatoren und Redakteure wiederholen wie ein Mantra den Satz: Es gibt keinen Zweifel mehr. Richtig daran ist: Kein Wissenschaftler bezweifelt, dass die durchschnittliche globale Oberflächentemperatur im 20. Jahrhundert um zirka 0,7 Grad Celsius zugenommen hat. Wie groß die Rolle des Kohlendioxids dabei ist, wie stark der Mensch das Klimageschehen beeinflusst und insbesondere wie sicher die Hochrechnungen sind, mit denen die Temperatur der Zukunft vorausgesagt wird, ist nach wie vor umstritten. Völlig offen ist auch, ob eine Erwärmung nur Schlechtes bringt. Denn in der Vergangenheit waren die Warmzeiten stets besonders gut für Mensch und Natur. Der milde Winter wird zum Desaster erklärt, die äußerst ruhige Hurrikansaison des Herbstes 2006 war dagegen kein Thema. Stets richten sich die Mikrofone auf das gleiche halbe Dutzend Wissenschaftler, von denen man die düstersten Prognosen abrufen kann. Beim Waldsterben war es ebenfalls nur eine Handvoll Experten. Alle anderen wurden als Verharmloser denunziert – damals wie heute. Nicht alle Wissenschaftler sind sich einig. Es sind lediglich alle, die von den deutschen Medien gefragt werden.

Das wäre alles nicht so schlimm, wenn es wenigstens einige Zeitungen oder Sender gäbe, die zu den großen Panik-Themen kritisch berichten. Doch das ist leider nicht der Fall. Ob TV-Nachrichten, schrille Boulevardzeitungen oder seriöse Qualitätsblätter, niemand möchte in den Ruch geraten, nicht laut genug zu warnen. Bestenfalls einzelne skeptische Stimmen dürfen gelegentlich widersprechen – als die Pausenclowns im apokalyptischen Zirkus.


Michael Miersch, geboren 1956 in Frankfurt am Main, volontierte bei der "taz" und war Redakteur der Umweltmagazine "Chancen" und "natur". Seit 1993 arbeitet er als freier Publizist. Er verfasst Sachbücher, Drehbücher für Dokumentarfilme und Artikel für Zeitungen und Zeitschriften. Miersch schreibt in jüngster Zeit vornehmlich für ‚Die Welt’ und arbeitet außerdem für "Die Weltwoche", den WDR und arte. Gemeinsam mit Dirk Maxeiner schrieb Miersch die Bücher "Das Mephisto-Prinzip" (2001) und "Die Zukunft und ihre Feinde" (2002), die in den deutschsprachigen Medien heftig diskutiert wurden. Weitere Veröffentlichungen: "Öko-Optimismus" (Wissenschaftsbuch des Jahres 1996), "Lexikon der Öko-Irrtümer" (1998) und "Life Counts – Eine globale Bilanz des Lebens" (Wissenschaftsbuch des Jahres 2000). Mierschs Bücher und Artikel wurden in viele Sprachen übersetzt und erhielten Auszeichnungen in den USA und Deutschland.