Der Volkskammerballast

Von Jochen Staadt |
Die Volkskammer der DDR kannte bis zur Überwindung des SED-Regimes durch die friedliche Revolution von 1989 keine demokratisch-parlamentarischen Entscheidungsprozesse. An ihrem Tagungsort im Palast der Republik entschieden Volkskammerabgeordnete, was das Politbüro der SED zuvor angeordnet hatte. Eine andere Meinung als die der SED-Führung kam in der Volkskammer erst 1990 zum Tragen.
Der Palast der Republik war als städtebauliche Abwendung von der Baugeschichte Berlins gedacht. Das SED-Regime ließ ihn als symbolische Barrikade quer zur alten Berliner Magistrale errichten, die in den Westen der Stadt führte. Die in den fünfziger Jahren mit der Sprengung des Stadtschlosses begonnene Verwüstung des alten Zentrums der Hauptstadt fand mit dem unförmigen klotzartigen Bau des DDR-Außenministeriums und dem später errichteten Protzpalast seinen Abschluss.

Das DDR-Außenministerium wurde sofort nach dem Ende des SED-Regimes entsorgt. Bald wird dort die von Schinkel entworfene Bauakademie wieder erstehen. Ein Stück davor haben die Bertelsmann AG und die Bertelsmann Stiftung das frühere Kommandantenhaus Unter den Linden 1 als gemeinsame Hauptstadtrepräsentanz wieder errichtet. Das Gebäude wurde nach dem Erscheinungsbild des früheren Kommandantenhauses von 1873/74 rekonstruiert, in seiner ursprünglichen Proportion in Breite, Tiefe und Höhe neu aufgebaut und mit der historischen Fassade versehen. Der Wiederaufbau ist meisterhaft gelungen und lässt erahnen, wie man das historische Zentrum mit dem Stadtschloss wieder herstellen und zugleich das Innere des Gebäudes auf heutige Anforderungen zuschneiden könnte.

Vor drei Jahren beschloss der Bundestag den Wiederaufbau des Stadtschlosses mit seiner barocken Fassade. Inzwischen steht fest, dass die kläglichen Reste des geschmacklosen SED-Palastes Ende des Jahres abgerissen werden. In den letzten Jahren versuchte eine vom Berliner Kultursenator, dem Hauptstadtkulturfonds und anderen DDR-Nostalgikern mit erheblichen Steuergeldern finanzierte so genannte "Initiative Volkspalast", auf ihre Weise den Verbleib des Gebäudekadavers im Zentrum der Stadt durchzusetzen. Schon die Namensgebung "Initiative Volkspalast" spricht für sich. In den Hauptstädten der meisten kommunistischen Diktaturen standen "Volkspaläste" herum, in denen das Volk nie etwas zu sagen hatte.

Ganz in der Tradition der vorrevolutionären DDR-Volkskammer gelten den Berliner Volkspalastaktivisten demokratisch-parlamentarische Entscheidungsprozesse nichts. Bundestagsbeschluss hin, Bundestagsbeschluss her, die Linie des Berliner Kultursenators, soviel DDR-Schickschnack im Stadtbild zu erhalten wie nur möglich, gilt allemal mehr als die von allen Fraktionen des deutschen Parlaments einmütig beschlossene Hauptstadtplanung. Mit allen möglichen argumentativen Klimmzügen versuchen selbsternannte und von niemandem legitimierte Stadtplaner, den Wiederaufbau des Stadtschlosses zu hintertreiben. Auch der jüngste Versuch, den Palast im Gespräche zu halten, dient diesem Zweck.

Die Aktion läuft unter dem Titel "Volkspalast - der Berg" und wird wiederum zu erheblichen Teilen aus Steuergeldern finanziert. Wie ein Pickel ragt die kaum an einen Berg erinnernde Installation aus dem Dach des Gebäudetorsos hervor. Die Veranstalter verkünden stolz: "Es gibt keine Debatten, keine Alternativen und keine Fassadengestaltungsprojektionssehnsüchte mehr. Hier steht der Berg als Antwort auf eine Frage, die ohnehin nie gestellt worden ist."

Das ist treffend gesagt und es trifft mitten ins Herz der Provinzpossen, die Berlins Kultursenator seit seinem Amtsantritt beharrlich zur Aufführung bringt. Die Entschlossenheit, Antworten auf Fragen zu geben, die ohnehin niemand stellt, brachte der Senator von seinem früheren Arbeitsplatz im Kulturministerium der DDR mit und wohl auch die Ignoranz gegenüber parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozessen und dem Mehrheitswillen der Berliner Bevölkerung. Der nun im ehemaligen SED-Palast aufgestellte Zwergberg symbolisiert freilich nichts anderes als das Ressentiment gegen den Rückbau des Berliner Hauptstadtzentrums auf sein klassisches Maß. Zwergen, die Pickel für Berge halten, mag das zuviel des Guten sein. Die deutsche Hauptstadt aber hat eine Mitte verdient, die einer europäischen Metropole würdig ist.


Jochen Staadt, 1950 in Bad Kreuznach geboren, lebt seit 1968 in Berlin. Nach dem Studium der Germanistik und Politischen Wissenschaft an der Freien Universität promovierte er mit einer Arbeit über DDR-Literatur. Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen und internationalen Studenten- und Jugendbewegung der 60er Jahre, zur DDR- und SED-Geschichte, zu Spionage in Ost und West sowie zur Beziehungsgeschichte zwischen beiden deutschen Staaten. Staadt ist Projektleiter beim Forschungsverbund SED-Staat an der FU und Autor der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Jüngste Veröffentlichung: "Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem kubanischen MININT".