Der wahre Kara Ben Nemsi Effendi

Der junge Alfred Brehm hatte nur wenig von der Welt gesehen, als er im Alter von nur 18 Jahre zu einer Expedition nach Afrika aufbrach. Voller Neugier, aber nur unzureichend vorbereitet, erlebte er dort eine fremde Welt. In einer lebendigen Sprache teilt er den Daheimgebliebenen seine Erlebnisse mit und lässt sie daran teilnehmen.
Gemeinsam mit dem damals schon bekannten Vogelkundler Baron Wilhelm Johann von Müller macht sich Brehm auf nach Ägypten, den Nil hinauf bis in den heutigen Sudan. Insgesamt fünf Jahre verbringt er im Nordosten Afrikas. Dabei erweist sich das Reisen auf Booten, Pferden, Eseln oder Kamelen immer wieder als Tortur. Nur unzureichend finanziert und ausgerüstet sind von Müller und Brehm immer wieder auf Hilfe angewiesen. Die Hitze der Wüste macht den Reisenden ebenso zu schaffen, wie Malaria und andere Krankheiten. Seine späteren Reisen nach Spanien, Ungarn, Sibirien und ans Nordkap sind besser organisiert, aber nicht mehr ganz so spannend zu lesen.

Ein Tierfreund oder Naturschützer im heutigen Sinne ist der spätere "Tiervater" Alfred Brehm nicht, eher schon ein Jäger. Besonders begeistert ist er dann, wenn er besonders viele oder seltene Tiere erlegen und zur Präparation einsammeln kann. Obwohl er bereits Lebensräume für verschiedene Tierarten (Biotope) erkennt, ist ihm eine ökologische Sichtweise der Natur noch unbekannt. Gleich nach einer anschaulichen Beschreibung des tierischen Verhaltens folgt in seinen Schriften nicht selten eine persönliche Bewertung der Natur nach menschlichen moralischen Kriterien. Besonders auf die "bösen" Krokodile ist Brehm nicht gut zu sprechen, und falls möglich versucht er, diese gefährlichen Bestien zu töten.

Viel stärker als die Tierwelt interessieren den jungen Alfred Brehm jedoch die Menschen und die Kultur im fremden Land. Sehr lebendig und einfühlsam beschreibt er deren Alltag. Dennoch verrät ihn sein Reisebericht als Kind der Kolonialzeit. Einerseits bewundert und verklärt er die "edlen Wilden" und verabscheut die Sklaverei, andererseits befürwortet er das Vorgehen der Kolonialherren, die den Wilden die Zivilisation bringen.

Manches erinnert an Beschreibungen Karl Mays, der diese Region nie bereist hat. Und in der Tat hat der Romanautor May die Schriften Brehms gelesen und manches daraus übernommen. In gewisser Weise ist Alfred Brehm, den die Araber Chalihl Effendi nannten, der wahre Kara Ben Nemsi Effendi, und somit der Held aus vielen Karl May Romanen.

So stark und mitreißend die Reisebeschreibungen in Brehms Buch, so oberflächlich sind seine Erläuterungen zur Biologie. Seine Gedanken über den Vogelzug und die Vielfalt der Tierwelt Afrikas sind meist reine Spekulationen. Das analytische Denken, wie es den jungen Charles Darwin auszeichnete, fehlt Alfred Brehm. Seine Beschreibungen bleiben vage. Dennoch: Als Reisebericht aus einer vergangenen Zeit sind Brehms Texte auch für heutige Leser informativ und unterhaltsam zugleich. Zumal einige historische Stiche und Karten die Texte gut ergänzen.

Jochim Heimannsberg hat hier ganze Arbeit geleistet. Er hat die perfekte Auswahl getroffen und auch seine Überleitungen zu den einzelnen Reiseberichten fügen sich perfekt ein. Sie schaffen einen Überblick und liefern alle notwendigen Hintergrundinformationen. Erst diese Zwischentexte machen die einzelnen Beschreibungen Brehms zu einem Gesamtwerk, das sich leicht und mit Genuss lesen lässt.

Besprochen von Michael Lange

Alfred Brehm: Brehms Reiseleben
In Bearbeitung von Joachim Heimannsberg
Meyers Horizonte, 2009
288 Seiten, 19,90 Euro