Der Wandelbare
In seiner österreichischen Heimat wird der Maler Herbert Boeckl in einem Atemzug mit international bekannten Künstlern wie Egon Schiele oder Oskar Kokoschka genannt. Jenseits der Grenze ist der Pionier der Moderne allerdings weniger bekannt. Das will die "Österreichische Galerie" im Schloss Belvedere in Wien nun mit einer Retrospektive ändern.
Durchwandert man die Herbert-Boeckl-Ausstellung im Wiener Belvedere, kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr raus: Warum genießt ein derart kraftvoller und origineller Maler wie der 1894 geborene Österreicher in der internationalen Kunstwelt nicht die gleiche Wertschätzung wie, sagen wir, gewisse Vertreter des deutschen Expressionismus, fragt man sich. Mit den Qualitäten eines August Macke oder eines Otto Dix kann deren Generationsgenosse Boeckl locker mithalten, bei aller Unterschiedlichkeit im Detail.
Schon in seinen Anfängen präsentiert sich Herbert Boeckl als energiegeladener Künstler, der die Phänomene der Wirklichkeit mit unbestechlichem Blick ins Visier nimmt: Die Wiener Ausstellung zeigt erschütternde Soldatenporträts aus dem Ersten Weltkrieg – Boeckl war an der Italienfront -, sie zeigt frühe Kärntner Landschaftsbilder und farbsatte Fabrik- und Hinterhofansichten aus dem Berlin der frühen 20er-Jahre.
Bemerkenswert an der Schau: Sie wurde von zwei Enkeln des Künstlers kuratiert, von Matthias Boeckl und der Direktorin des "Schlosses Belvedere", Agnes Husslein. Husslein erinnert sich noch genau an ihre Besuche im Atelier des Großvaters in der Wiener Argentinierstraße.
"Ich war zwar ein kleines Kind, das letzte Mal, als ich dort war, war ich zehn Jahre alt, aber der Mann und der ganze Ort haben mich schon sehr beeindruckt: die Farbtöpfe, die Pinsel, der Geruch. Aber vor allem auch er als Mensch. Er war ein imposanter, großer Mann, der in seinem Fauteuil oder seinem Sofa saß und die tollsten Geschichten erzählt hat. Er hat ja eine tolle Phantasie gehabt."
Von dieser Phantasie künden auch einige der spektakulärsten Arbeiten Herbert Boeckls, die in der Wiener Ausstellung zu sehen sind: Wunderbare Landschaftsbilder aus Kärnten und dem Burgenland zum Beispiel, originelle Porträts von Freunden und Sammlern oder das "Stillleben mit toter Krähe" aus den frühen 20er-Jahren. In die Kunstgeschichte eingegangen sind insbesondere Boeckls Bilder und Zeichnungen aus der Anatomie, die er 1931 in der Prosektur des Wiener Franz-Joseph-Spitals fertigte. Erschütternd realistische Darstellungen toter Säuglinge sind da zu sehen, ein ausgeweideter Frauenleichnam oder die Sektion eines Sepsis-Toten durch fleischhauerartig agierende Anatomen.
Dass Herbert Boeckls Berühmtheit sich bis heute vor allem auf österreichische Lande beschränkt, erklärt Agnes Husslein nicht zuletzt aus den Lebensumständen des Künstlers heraus.
"Man muss sagen, im Großen und Ganzen war er eigentlich sein ganzes Leben über ein Einzelgänger. Schon auch durch seine familiäre Situation: Er war Vater von neun Kindern, das hat für ihn eine immense Belastung bedeutet. Er hat ganz klar gewusst, er hätte eigentlich aus Österreich weggehen müssen, um international zu reüssieren. Dabei war er ein gläubiger Katholik, der sich seiner familiären Verantwortung bewusst war. Diese ganze Situation war ein großes Lebensproblem für ihn."
Neun Kinder, das bedeutete für Familie Boeckl über lange Zeit hinweg ein Leben am Rande der materiellen Verelendung. Ein Thema, zu dem Agnes Husslein einige Anekdoten zu erzählen weiß.
"Der Boeckl wollte einmal ein Stillleben malen, und da hat er bei einem seiner Mäzene angerufen und hat gebeten, ob man ihm die Utensilien schicken kann, das Brot und die Birnen und was man halt sonst noch so braucht für ein Stillleben. Dann kam der Korb, und die Boeckl-Kinder waren so verhungert, dass sie alles aufgegessen haben, das ganze Stillleben. Das heißt, es war pure Armut, in der die Familie gelebt hat."
Das änderte sich erst, als Herbert Boeckl 1934 mit dem großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet wurde. Ein Jahr später ernannte man ihn zum Professor an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Damit avancierte der gläubige Katholik zu einem der künstlerischen Aushängeschilder des österreichischen Ständestaats, der im Unterschied zum nationalsozialistischen Deutschland einem gewissen, gemäßigten Modernismus gegenüber durchaus aufgeschlossen war. Während der NS-Zeit verschwand Boeckl – von den Machthabern immerhin nicht an Leib und Leben bedroht – für einige Jahre in der Versenkung. In dieser Zeit der, wie man sagen könnte, inneren Emigration, schuf er einige seiner großartigsten Landschaftsbilder, erste, spektakuläre Ansichten des steirischen Erzbergs etwa.
Und so ermöglicht die Wiener Ausstellung einen eindrucksvollen Überblick über das Lebenswerk eines Künstlers, der sich zwischen 1913 und 1964 mehrfach neu erfand – von den expressionistischen Anfängen bis hin zur geometrisierenden Farbflächenmalerei der späten Jahre. Herbert Boeckl war ein Maler, der sich durch alle Wandlungen hindurch – auf eine ganze spezifische, listig-österreichische Weise - immer treu geblieben ist.
Schon in seinen Anfängen präsentiert sich Herbert Boeckl als energiegeladener Künstler, der die Phänomene der Wirklichkeit mit unbestechlichem Blick ins Visier nimmt: Die Wiener Ausstellung zeigt erschütternde Soldatenporträts aus dem Ersten Weltkrieg – Boeckl war an der Italienfront -, sie zeigt frühe Kärntner Landschaftsbilder und farbsatte Fabrik- und Hinterhofansichten aus dem Berlin der frühen 20er-Jahre.
Bemerkenswert an der Schau: Sie wurde von zwei Enkeln des Künstlers kuratiert, von Matthias Boeckl und der Direktorin des "Schlosses Belvedere", Agnes Husslein. Husslein erinnert sich noch genau an ihre Besuche im Atelier des Großvaters in der Wiener Argentinierstraße.
"Ich war zwar ein kleines Kind, das letzte Mal, als ich dort war, war ich zehn Jahre alt, aber der Mann und der ganze Ort haben mich schon sehr beeindruckt: die Farbtöpfe, die Pinsel, der Geruch. Aber vor allem auch er als Mensch. Er war ein imposanter, großer Mann, der in seinem Fauteuil oder seinem Sofa saß und die tollsten Geschichten erzählt hat. Er hat ja eine tolle Phantasie gehabt."
Von dieser Phantasie künden auch einige der spektakulärsten Arbeiten Herbert Boeckls, die in der Wiener Ausstellung zu sehen sind: Wunderbare Landschaftsbilder aus Kärnten und dem Burgenland zum Beispiel, originelle Porträts von Freunden und Sammlern oder das "Stillleben mit toter Krähe" aus den frühen 20er-Jahren. In die Kunstgeschichte eingegangen sind insbesondere Boeckls Bilder und Zeichnungen aus der Anatomie, die er 1931 in der Prosektur des Wiener Franz-Joseph-Spitals fertigte. Erschütternd realistische Darstellungen toter Säuglinge sind da zu sehen, ein ausgeweideter Frauenleichnam oder die Sektion eines Sepsis-Toten durch fleischhauerartig agierende Anatomen.
Dass Herbert Boeckls Berühmtheit sich bis heute vor allem auf österreichische Lande beschränkt, erklärt Agnes Husslein nicht zuletzt aus den Lebensumständen des Künstlers heraus.
"Man muss sagen, im Großen und Ganzen war er eigentlich sein ganzes Leben über ein Einzelgänger. Schon auch durch seine familiäre Situation: Er war Vater von neun Kindern, das hat für ihn eine immense Belastung bedeutet. Er hat ganz klar gewusst, er hätte eigentlich aus Österreich weggehen müssen, um international zu reüssieren. Dabei war er ein gläubiger Katholik, der sich seiner familiären Verantwortung bewusst war. Diese ganze Situation war ein großes Lebensproblem für ihn."
Neun Kinder, das bedeutete für Familie Boeckl über lange Zeit hinweg ein Leben am Rande der materiellen Verelendung. Ein Thema, zu dem Agnes Husslein einige Anekdoten zu erzählen weiß.
"Der Boeckl wollte einmal ein Stillleben malen, und da hat er bei einem seiner Mäzene angerufen und hat gebeten, ob man ihm die Utensilien schicken kann, das Brot und die Birnen und was man halt sonst noch so braucht für ein Stillleben. Dann kam der Korb, und die Boeckl-Kinder waren so verhungert, dass sie alles aufgegessen haben, das ganze Stillleben. Das heißt, es war pure Armut, in der die Familie gelebt hat."
Das änderte sich erst, als Herbert Boeckl 1934 mit dem großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet wurde. Ein Jahr später ernannte man ihn zum Professor an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Damit avancierte der gläubige Katholik zu einem der künstlerischen Aushängeschilder des österreichischen Ständestaats, der im Unterschied zum nationalsozialistischen Deutschland einem gewissen, gemäßigten Modernismus gegenüber durchaus aufgeschlossen war. Während der NS-Zeit verschwand Boeckl – von den Machthabern immerhin nicht an Leib und Leben bedroht – für einige Jahre in der Versenkung. In dieser Zeit der, wie man sagen könnte, inneren Emigration, schuf er einige seiner großartigsten Landschaftsbilder, erste, spektakuläre Ansichten des steirischen Erzbergs etwa.
Und so ermöglicht die Wiener Ausstellung einen eindrucksvollen Überblick über das Lebenswerk eines Künstlers, der sich zwischen 1913 und 1964 mehrfach neu erfand – von den expressionistischen Anfängen bis hin zur geometrisierenden Farbflächenmalerei der späten Jahre. Herbert Boeckl war ein Maler, der sich durch alle Wandlungen hindurch – auf eine ganze spezifische, listig-österreichische Weise - immer treu geblieben ist.