Der Weg der Bundesrepublik
Der Marburger Historiker Eckart Conze beleuchtet in seiner Monographie "Die Suche nach Sicherheit" auf mehr als 1000 Seiten die deutsche Geschichte von 1949 bis heute. Er beschreibt den Weg der Bundesrepublik vor allem als eine Suche nach Stabilität und bezeichnet die DDR als "Fürsorgediktatur".
Es gab viel zu feiern im Mai dieses Jahres in der deutschen Politik. Rühmende Reden wurden gehalten, auf 60 Jahre Bundesrepublik und 60 Jahre Grundgesetz, und immer fiel ein Wort: "Erfolgsgeschichte". Dem Marburger Historiker Eckart Conze kommt dieses Wort nicht gar so leicht über die Lippen.
Einerseits, so Conze, erwecke "die schiere Lebensdauer" der Republik tatsächlich den Eindruck einer Erfolgsgeschichte. (60 Jahre - kein anderer deutscher Staat im 19. und 20. Jahrhundert existierte so lange.) Andererseits war die bundesdeutsche Historie - belastet durch zwei Weltkriege, die NS-Diktatur und die Spaltung - zumindest in ihren Anfängen eher die "Geschichte einer ausgebliebenen Katastrophe". Die Umstände seien für eine Demokratie halt günstig gewesen, "man kann auch von Glück sprechen".
Conze hat – pünktlich zum Jubiläum - den Weg des modernen deutschen Staates von 1949 bis in die Gegenwart in einer tausend Seiten starken Studie chronologisch nachgezeichnet. Zum selben Thema gibt es bereits rund ein Dutzend aktueller Titel. Was ist das Besondere an diesem Werk? Der Marburger fand zwei interessante methodische Ansätze, um das oft Erzählte neu zu erzählen. Zum einen sieht der Zeithistoriker das Werden und Wachsen des Staates, begleitet von einer beständigen "Suche nach Sicherheit". Zum anderen postuliert er "Geschichte ist Gegenwart".
Conze zeigt, wie das Verlangen nach größtmöglicher Sicherheit das System zwar stabil, aber immobil gemacht hat. Das austarierte Macht- und Sozialgefüge entfaltete auf Dauer beträchtliche "Blockadewirkung", es kam zu "Reformdruck und Reformstau". Conze, drastisch: Das Streben nach Sicherheit ziele darauf, die Offenheit der Zukunft einzuschränken.
"Geschichte ist immer Gegenwart" – mit dieser so naheliegenden wie provokanten These erklärt Eckart Conze das scheinbar Abgeschlossene und Abgelegte zu einem Prozess mit offenem Ende. Er bekräftigt, was manche Politiker nicht wahrhaben möchten: dass Entscheidungen weitreichende Folgen haben können, Folgen, die auf ihre Urheber zurückverweisen. Selbstbewusst hofft der Historiker, "durch seine Analyse zur Erklärung der Gegenwart beizutragen".
Dieses Ziel hat er erreicht. Der Autor liefert in einer gut lesbaren Monographie ein differenziertes Bild der alten und neuen Republik. Ein umfangreicher Apparat (mit je fünfzig Seiten Anmerkungen und Bibliographie) rundet die Studie ab.
Angenehm, weil gelassen im Ton, aber präzise in den Fakten, wirken auch die Auslassungen über die DDR und deren "Suche nach Sicherheit". Der Autor umschreibt den zweiten deutschen Staat treffend als "Fürsorgediktatur": Die Oberen erkauften politische Legitimation durch "soziale Geborgenheit" und bescheidenen Wohlstand. Als der kleine Wohlstand auf Pump nicht mehr finanziert werden konnte, war die Diktatur am Ende. Es blieb ein verklärtes DDR-Bild; laut Conze zeigt es "den Sicherheit und Geborgenheit stiftenden Staat, den man in der Gegenwart so sehr vermisst".
Eifrige Kritiker haben das dicke Buch rasch zum "Standardwerk" geadelt. Allerdings wird das zentrale Motiv, die "Suche nach Sicherheit", überstrapaziert. Noch jeder moderne Staat verstand sich als Garant von Sicherheit. Das Ambivalente des Kernbegriffs stellt Conze nicht deutlich heraus: Was soll das überhaupt sein, Sicherheit? Sicherheit für wen, wofür, wovor? Ist Staates Sicherheit auch die seiner Bürger? Auch wirkt der Text aufgebläht, wo er sich im Faktendschungel der Tagespolitik verliert.
Am Ende, bei der Betrachtung unserer Zeit, wird man dem Historiker indes beipflichten: "Das Vertrauen in den Staat, der in den Augen vieler Menschen nicht mehr in der Lage ist, den globalisierten Kapitalismus zu zügeln, nimmt ab." Der Zusammenhalt der Gesellschaft stehe auf dem Spiel, so warnt Eckart Conze. "Es geht um Vertrauen in die Politik, und es geht um das Schutzversprechen des Staates. Es geht um Sicherheit."
Besprochen von Uwe Stolzmann
Eckart Conze: Die Suche nach Sicherheit - Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart
Siedler Verlag, München 2009
1071 Seiten, 39,95 Euro
Einerseits, so Conze, erwecke "die schiere Lebensdauer" der Republik tatsächlich den Eindruck einer Erfolgsgeschichte. (60 Jahre - kein anderer deutscher Staat im 19. und 20. Jahrhundert existierte so lange.) Andererseits war die bundesdeutsche Historie - belastet durch zwei Weltkriege, die NS-Diktatur und die Spaltung - zumindest in ihren Anfängen eher die "Geschichte einer ausgebliebenen Katastrophe". Die Umstände seien für eine Demokratie halt günstig gewesen, "man kann auch von Glück sprechen".
Conze hat – pünktlich zum Jubiläum - den Weg des modernen deutschen Staates von 1949 bis in die Gegenwart in einer tausend Seiten starken Studie chronologisch nachgezeichnet. Zum selben Thema gibt es bereits rund ein Dutzend aktueller Titel. Was ist das Besondere an diesem Werk? Der Marburger fand zwei interessante methodische Ansätze, um das oft Erzählte neu zu erzählen. Zum einen sieht der Zeithistoriker das Werden und Wachsen des Staates, begleitet von einer beständigen "Suche nach Sicherheit". Zum anderen postuliert er "Geschichte ist Gegenwart".
Conze zeigt, wie das Verlangen nach größtmöglicher Sicherheit das System zwar stabil, aber immobil gemacht hat. Das austarierte Macht- und Sozialgefüge entfaltete auf Dauer beträchtliche "Blockadewirkung", es kam zu "Reformdruck und Reformstau". Conze, drastisch: Das Streben nach Sicherheit ziele darauf, die Offenheit der Zukunft einzuschränken.
"Geschichte ist immer Gegenwart" – mit dieser so naheliegenden wie provokanten These erklärt Eckart Conze das scheinbar Abgeschlossene und Abgelegte zu einem Prozess mit offenem Ende. Er bekräftigt, was manche Politiker nicht wahrhaben möchten: dass Entscheidungen weitreichende Folgen haben können, Folgen, die auf ihre Urheber zurückverweisen. Selbstbewusst hofft der Historiker, "durch seine Analyse zur Erklärung der Gegenwart beizutragen".
Dieses Ziel hat er erreicht. Der Autor liefert in einer gut lesbaren Monographie ein differenziertes Bild der alten und neuen Republik. Ein umfangreicher Apparat (mit je fünfzig Seiten Anmerkungen und Bibliographie) rundet die Studie ab.
Angenehm, weil gelassen im Ton, aber präzise in den Fakten, wirken auch die Auslassungen über die DDR und deren "Suche nach Sicherheit". Der Autor umschreibt den zweiten deutschen Staat treffend als "Fürsorgediktatur": Die Oberen erkauften politische Legitimation durch "soziale Geborgenheit" und bescheidenen Wohlstand. Als der kleine Wohlstand auf Pump nicht mehr finanziert werden konnte, war die Diktatur am Ende. Es blieb ein verklärtes DDR-Bild; laut Conze zeigt es "den Sicherheit und Geborgenheit stiftenden Staat, den man in der Gegenwart so sehr vermisst".
Eifrige Kritiker haben das dicke Buch rasch zum "Standardwerk" geadelt. Allerdings wird das zentrale Motiv, die "Suche nach Sicherheit", überstrapaziert. Noch jeder moderne Staat verstand sich als Garant von Sicherheit. Das Ambivalente des Kernbegriffs stellt Conze nicht deutlich heraus: Was soll das überhaupt sein, Sicherheit? Sicherheit für wen, wofür, wovor? Ist Staates Sicherheit auch die seiner Bürger? Auch wirkt der Text aufgebläht, wo er sich im Faktendschungel der Tagespolitik verliert.
Am Ende, bei der Betrachtung unserer Zeit, wird man dem Historiker indes beipflichten: "Das Vertrauen in den Staat, der in den Augen vieler Menschen nicht mehr in der Lage ist, den globalisierten Kapitalismus zu zügeln, nimmt ab." Der Zusammenhalt der Gesellschaft stehe auf dem Spiel, so warnt Eckart Conze. "Es geht um Vertrauen in die Politik, und es geht um das Schutzversprechen des Staates. Es geht um Sicherheit."
Besprochen von Uwe Stolzmann
Eckart Conze: Die Suche nach Sicherheit - Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart
Siedler Verlag, München 2009
1071 Seiten, 39,95 Euro