Der Weg zur Vergebung

"Forgiving Mengele" - Dr. Mengele vergeben - so heißt ein höchst umstrittener, aufwühlender amerikanischer Dokumentarfilm. Die 71-jährige Protagonistin Eva Kor spricht sich darin für das Vergeben, für eine Aussöhnung mit Josef Mengele aus, obwohl sie selbst ein Opfer der grausamen Experimente des KZ-Arztes von Auschwitz war. Ute Hempelmann hat sich mit Eva Kor über ihren Weg zur Vergebung und den Film unterhalten.
Filmausschnitt, Eva Korr:
"Just to be free from the Nazis did not remove the pain they have inflicted upon me. There might be another way that survivers can heel themselfes. I have found one way - forgive your worst enemy. It will heel your soul and it will set you free."

Mit diesen Worten, dem Appell, dem größten Feind zu vergeben und damit persönliche Freiheit zu erlangen beginnt der Film "Forgiving Dr. Mengele". Seit die Rumänin Eva Kor, Überlebende der sogenannten Zwillingsexperimente des KZ Arztes Josef Mengele in Auschwitz, ihre Thesen zur Versöhnung öffentlich macht - und sie tut das seit Jahren in Vorträgen und Schulungen - polarisiert sie mit ihren Gedanken. Vor allem die Mehrheit der Holocaust-Überlebenden lehnt es ab und verweigert seither den Kontakt zu Eva Kor:

"Ich war ehrlich schockiert. Ich denke, dass ihre Mentalität - und das tut mir wirklich weh - eine Operhaltung ist. Ich - armes Opfer? Ja. Jedes Opfer hat Mitleid mit sich selbst, jedes Opfer ist wütend und wenn Du in dieser Haltung verharrst, dann verweigerst Du alles andere. Ein Opfer fühlt sich hilflos, hoffnungslos, kraftlos und macht alle anderen für diese Probleme verantwortlich - wie lange soll das so gehen? Und warum hilft die Gesellschaft Opfern nicht, diese Bürde der Vergangenheit zu lösen, indem sie Lösungen anbietet, um einem Opfer andere Wege aufzuzeigen? Denn ein Opfer hat die Wahl."

Aufgrund solcher Äußerungen hat man hat ihr vorgeworfen, sich instrumentalisieren zu lassen. Man hat ihr vorgeworfen, die Täter zu entschuldigen. Man hat ihr vorgeworfen, dass sie mit ihrer Argumentation all jenen Vorschub leiste, die ihre Verantwortung an den Gräueltaten leugnen wollen. Das Unvergebbare könne nicht vergeben werden, heißt es.

Vorbehalte über Vorbehalte - zunächst auch bei der amerikanische Archivarin und Forscherin Cheri Pugh. Sie hatte vor rund fünf Jahren historische Filmaufnahmen entdeckt, die die 10-jährige Eva Kor bei der Befreiung von Auschwitz zeigten, und nahm Kontakt auf zu der gebürtigen Rumänin:

"Am Anfang war ich regelrecht enttäuscht. Ich hatte mich für den Holocaust interessiert, seit ich ungefähr 13 war, und dieses Vergeben schien mir eine Art Schwäche zu sein, ein Aufgeben, aber Eva hat mir erklärt, welche Macht das Vergeben hat. Wie alle Macht von ihr genommen wurde, wie ihre Familie ihr genommen wurde und sie als Versuchskaninchen benutzt wurde. Und trotzdem hatte sie die Kraft, zu verzeihen. Und das gab ihr eine Kontrolle - auch eine Kontrolle über Mengele. Das hat mich so überzeugt. "

Im Alter von zehn Jahren wurde Eva Kor mit ihrer Zwillingsschwester Miriam von Rumänien nach Auschwitz verschleppt. Bis heute weiß sie nicht, was Josef Mengele ihr und ihrer Schwester in Folge der sogenannten Zwillingsexperimente injizierte. Eva Kor verliert außer ihrer Schwester alle Familienangehörigen, Miriam stirbt 1993 als Spätfolge der Mengele-Experimente. Dazu unaussprechliche Seelenqualen:

"Ich hatte verschiedene Alpträume. Ich wachte mitten in der Nacht auf in kaltem Schweiß, weil ich geträumt hatte, das ich mich gewaschen hatte - mit Seife, die aus den Überresten meiner eigenen Eltern und Schwestern gemacht worden war. Ich konnte mich für einige Zeit nicht länger mit Seife waschen, bis wir Israel erreichten - in 1950. "

Zehn Jahre später, in Amerika, wo ihre beiden Kinder geboren werden, beginnt eine neue, andere Auseinandersetzung mit ihrem Schicksal. Eva Kor forscht über Josef Mengele, spürt andere Überlebende der Mengele-Experimente auf, gründet ein Museum, beginnt Vorträge zu halten, initiiert eine Sammelklage gegen den Bayer-Konzern und veranlasst die Max Planck Gesellschaft zu einer Entschuldigung für die Taten ihrer Vorgängerinstitution bei den medizinischen Experimenten in Auschwitz.

Der wirklich entscheidende Wendepunkt aber kommt 1995, als sie einen Mitverantwortlichen der Experimente, den Arzt Hans Münch, in Auschwitz persönlich trifft. Sie entscheidet sich, ihm, dem Täter ein besonderes persönliches Geschenk zu machen: Einen Vergebungsbrief:

"Dieser Moment, dieses Heureka, wie ich das nenne, machte mir klar, dass er den Brief begrüßen würde. Aber was für mich viel entscheidender war: Dass ich die Kraft zur Vergebung habe. Was wäre, wenn jeder Nazi ins Gefängnis gesteckt oder getötet worden wäre. Hätte das meine Schmerzen gelindert. Die Antwort war: Nein. Und dann gibt's da Leute, die sagen, dass es Dinge gibt, die nicht vergeben werden können. Und ich antwortete: Wer gibt Dir das Recht, über mein Leben zu urteilen und zu sagen, dass ich, weil Du nicht verzeihen kannst, für den Rest meines Lebens mit den Schmerzen leben muss? "

Mengele selbst scheint sich all diese Gedanken über seine Taten, über Schuld und Verantwortung nie gemacht zu haben. Er starb in Südamerika ohne irgendein sichtbares Zeichen der Reue. Und doch soll ihm vergeben werden. Eine amerikanische Erfolgsgeschichte a la: so kommen Sie mit ihrem Schicksal klar. Nein, meint Bob Hercules, Produzent und Regisseur. Sein Film nehme auch die Position der Kritiker auf:

"Es gibt die Kontroverse - auch in dem Film. Es gibt diese Vorbehalte gegen die Idee der Vergebung. Eva ist ständig diesen Angriffen ausgesetzt. Es ist kein Film, den man sich mal eben so anschaut. Er ist eine Herausforderung und man muss sich ihn aufmerksam anschauen.

Der Film zeigt einen Prozess, Evas Prozess, der Jahre dauerte, bis sie an dem Punkt war, verzeihen zu können. Cheri bezeichnet das als Zwiebelschälen. All diese Schichten. Du schälst und schälst und schließlich kommst Du zu dem Punkt, dass Du den Nazis vergeben kannst. So was passiert nicht an einem Tag. "

Vor gerade zwei Monaten wurden die Arbeiten am Film beendet. In Amerika hat Bob Hercules für den Film einen Verleih gefunden - dort kommt er im Februar des kommenden Jahres in die Kinos. Mit Europa und Deutschland sind erste Kontakte geknüpft - zu Kinos und Fernsehanstalten. Für Eva Kor geht das Leben weiter - sie lehrt an Schulen, versucht Menschen die Idee nahezubringen, dass es möglich ist, weiter zu leben - trotz des Leids, trotz des Unrechts, dass ihr angetan wurde.

"Vergeben beginnt in jeder einzelnen Person und jene Person kann das nur für sich allein. Es ist so persönlich wie eine Chemotherapie. Wenn jemand Krebs hat, dann kann ich sagen: Du brauchst eine Chemotherapie. Ich kann die Chemotherapie nicht selbst machen, dann stirbt der andere an Krebs. Darum muss Vergeben jeder für sich allein lernen. Die andere Sache ist, dass Vergeben mir die Kraft gibt, mich von meinem Schmerz zu befreien. Und - es ist der Samen, aus dem der Friede herauswächst. "