Der weibliche Helmut Newton

Von Ulrike Gondorf |
Bettina Rheims ist seit den 80er Jahren bekannt als Fotografin, die nahezu ausschließlich Frauen zum Thema ihrer Bilder macht. Viele ihrer Aufnahmen sind Inszenierungen, die nackte Haut und verführerische Posen in den Mittelpunkt stellen. Glamour ist ihr Thema - ob sie Schuhverkäuferinnen und Kellnerinnen, professionelle Models und Schauspielerinnen oder Stars wie Madonna, Catherine Deneuve oder Claudia Schiffer fotografiert.
Etwa 200 großformatige Bilder aus zwölf verschiedenen Serien, die Bettina Rheims zwischen 1979 und 2003 veröffentlicht hat, sind jetzt in einer Retrospektive bis zum 28. August im NRW-Forum Kultur und Wirtschaft in Düsseldorf zu sehen.

Eine Frau liegt auf dem Fußboden. Ihr Körper scheint halb einzusinken in einen plüschigen, fellartigen Teppich, ihre offene Bluse wird von einem einzigen Knopf über dem Busen zusammengehalten, die wirren blonden Haare verdecken eine Hälfte des Gesichts, ihre Augen sind auf eine Coladose in ihrer linken Hand gerichtet, die sie zu zerquetschen scheint.

"Pourquoi m’as tu abandonnée" - Warum hast du mich verlassen - ist der Titel des Fotozyklus von Bettina Rheims, aus dem dieses Bild stammt. 1994 bis 2001 hat die französische Fotografin bekannte und unbekannte, bekleidete, halb entkleidete und ganz nackte Frauen in Situationen hineininszeniert, die um Verlust und Einsamkeit kreisen, in denen erotische Attraktivität gleichsam leerläuft: Madonna kuschelt sich wie ein Kleinkind ganz verknäult auf einer Bettdecke zusammen, Claudia Schiffer steht völlig verdreht und linkisch an einen Türrahmen gestützt, Laetitia Casta vergräbt sich in einen Berg aus weißem Tüll.

Schon die Namen der Stars, die hier für Bettina Rheims Modell gestanden haben, stehen für Erotik und Verführung, für den gezielten Einsatz luxuriöser körperlicher Reize, für den Glamour, auf dem der Erfolg erotischer Fotografie beruht. Und auch die vollkommen unbekannten Frauen sind mit derselben Raffinesse in Szene gesetzt: die seidig schimmernde nackte Haut, die mit den Augen sozusagen fühlbare sinnliche Qualität der Stoffe, die bewusst aufreizenden oder scheinbar kindlich naiven Posen - Bettina Rheims weiß das alles virtuos zu bedienen. Zugleich aber stellt sie es auch wieder in Frage, lässt die Dargestellten nicht zu Lustobjekten der Betrachter werden - in dieser Serie schon allein durch die Verlorenheit der Figuren, die immer spürbare Melancholie und Brüchigkeit der Stimmung. Ein besonderer Blick, der für Petra Wenzel, Kuratorin der Ausstellung, die Fotografin charakterisiert.

Wenzel: " Es gibt viele Menschen, die sagen Bettina Rheims ist der weibliche Helmut Newton. Ich bin nicht der Meinung, weil ihr Blick auf Frauen von einer extrem großen Freundlichkeit geprägt ist. Sie drückt die Frauen nicht in Posen, die ihnen unangenehm sind, sondern sie agiert und interagiert so lange, bis sie gemeinschaftlich was gefunden haben, was funktioniert, und dann macht sie das Foto, und das sieht man sehr genau."

Bettina Rheims, 1952 geboren, hat selbst als Model gearbeitet und wechselte 1978 auf die andere Seite der Kamera. Zunächst machte sie in der Mode- und Werbefotografie Karriere. Die stilistischen Mittel dieses Genres beherrscht sie perfekt.

Wenzel: "Sie arbeitet mit sehr, sehr starken Farbkontrasten, das ist ein tiefes Lila neben quietsch-hellgrün, wo man sagen würde, das tut schon fast weh, ihre bilder ziehen sehr viel Kraft aus diesen Farbkontrasten."

Unübersehbar sind darüber hinaus aber die Bezüge zur klassischen Malerei, die den Raum- und Farbkompositionen ihrer Fotos zugrunde liegen - am augenfälligsten natürlich der Bezug zur christlichen Ikonografie in dem geradezu barock und plakativ inszenierten Fotoroman der Passionsgeschichte, mit dem sie 1997 einen Skandal provozierte. Heute prägen sich die vordergründig viel weniger spektakulären Schwarz- Reihen aus den 80er Jahren sehr viel stärker ein: die androgyne Portraitserie der "Modern Lovers", die Bilder des Transsexuellen Kim oder der Zyklus der Tierfotos, bei denen man erst auf den zweiten Blick bemerkt, dass die Hunde, Katzen und Vögel ausgestopft sind. Besonders intensiv entfaltet sich hier die Irritation, das Spiel mit der Illusion, die spannende Interaktion zwischen dem Bild und dem Betrachter, der nicht eindeutig klären kann, was er sieht: Mann oder Frau - Totes oder Lebendiges. Und in Atem gehalten wird von einer Kunst, die das scheinbar so verlässlich abbildende Medium Fotografie zum Schwingen bringt zwischen Realität und Fiktion.
Im Augenblick scheint sich das Interesse der Fotografin eindeutiger der Wirklichkeit zuzuwenden, wie die teilweise geradezu dokumentarischen Bilder ihres Shanghai- Zyklus zeigen, der in Düsseldorf zum ersten Mal vollständig zu sehen ist.


Service:
Bettina Rheims - Eine Retrospektive
21.5. - 28.8.2005
NRW-Forum Kultur und Wirtschaft
Ehrenhof 2, 40479 Düsseldorf
Dienstag bis Sonntag 11-20, Freitag bis 24 Uhr