"Der Wettbewerb ist in diesem Jahr sehr grottig"

Moderation: Tom Grothe |
Am Samstag werden die Goldenen und Silbernen Bären auf der Berlinale verliehen. Hans-Ulrich Pönack hat bereits seine Top drei der deprimierendsten Wettbewerbsfilme aufgestellt. Den deutschen Beitrag "Yella" von Christian Petzold nannte er unglaubwürdig. Als herausragend lobt er allein den Film "Irina Palm" mit Marianne Faithfull in der Hauptrolle.
Grothe: Das Berlinale-Wetter lässt einen in der Regel nicht jubeln. Der Februarhimmel ist nun mal in Berlin eher hübsch grau. Daran hat man sich gewöhnt, das ist eben so. Was aber viele Filmkritiker in diesem Jahr besonders fertigmacht, ist nicht das Wetter, es sind die Themen der Berlinale-Filme, fast immer ernst, meistens schwer und so gut wie nie gibt es was zu lachen. Hans-Ulrich Pönack ist Filmkritiker und als solcher Dauergast der Berlinale. Guten Tag, Herr Pönack!

Pönack: Hallo, seien Sie gegrüßt!

Grothe: Zieht Sie das auch so runter, ewig diese ernsten Filme?

Pönack: Also wissen Sie, ernst und schwer wäre ja nicht so schlimm, aber Sie vergessen den allerwichtigsten Punkt: Kino ist ja Kino. Kino bedeutet Unterhaltung. Die sind langweilig teilweise, die sind grottig, die sind schlecht, die sind theoretisch. Die sind so was an den Haaren herbeigezogen, dass man drinsitzt und sich jederzeit fragt, was ist das eigentlich? Also es gibt ein bestes Beispiel, ich bin so wütend von dem zweiten deutschen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag gestern, "Yella". Also der ist so was Dämliches, so was Konstruiertes, so was Unglaubwürdiges, so was 90 Minuten nur Langweilendes, dass ich sage, a) er hat in einem Wettbewerb aber nun gar nichts zu suchen, und wenn er nun schon bei der Berlinale laufen soll, dann bitteschön, da gibt es ja genug andere Sektionen. Aber der Wettbewerb, der schmücken soll, der internationales Aushängeschild ist, der darf nicht mit so einem wirklich dämlichen und läppischen Film bestückt werden. Und das bringt einen auf die Palme, aber davon habe ich in der Berlinale eine ganze Menge gesehen im Wettbewerb. Wohl gemerkt, ich beobachte den Wettbewerb ausschließlich, also wenn ich in die Retro gehe, lebe ich auf, Arthur-Penn-Filme, da gehe ich schon wieder hoch. Aber ich beobachte den Wettbewerb, und der ist in diesem Jahr in der Tat sehr, sehr grottig.

Grothe: Und sehr deprimierend. Die Top drei der deprimierendsten Filme bis jetzt für Sie bei der Berlinale?

Pönack: Das kann ich Ihnen sagen. Also Italien, das große Filmland Italien, ich behaupte mal, da gibt es mindestens zehn bessere Filme, brachte uns einen Film, der heißt " A memory of myself", erzählt so was von verquast zwischen Genie, Glauben und Sinn und Unsinn von einem Novizen im Kloster. Grauenvoll! Der zweite Film am Montagfrüh, da hätten Sie sich wirklich die Kugel geben können, "When a man falls in the forest", Sharon Stone spielt da mit. Kosslick verkauft das teilweise als deutschen Film, weil deutsche Anleger da ihr Geld reingesteckt haben, und die kriegen das nie mehr raus. Also da ist nach zehn Minuten wirklich alles gesagt, und da sitzen Sie nur noch da und sagen, die Welt ist nur noch schlecht und deprimierend und überhaupt, also wozu lebe ich überhaupt noch – völlig sinnlos. Und der dritte Film war gestern "Yella" von Christian Petzold, der nun wirklich einem den letzten Rest gegeben hat an Stimmung.
Aber, aber: Es gab ja am Dienstagabend einen Riesenaufschrei bei der Berlinale, einen stimmungsvollen Aufschrei, einen begeisternden Aufschrei, war der allererste Film nach dem Eröffnungsfilm, dem wunderbaren Eröffnungsfilm, der nächste Woche gleich ins Kino kommt, gab es diesen britischen Film "Irina Palm" mit Marianne Faithfull. Der war humorvoll, der war witzig, der war menschlich, der war unterhaltsam, und seltsamerweise alle schrieen auf und sagten, Hurra, Hurra, Hurra! Ja, wenn alle aufschreien und sagen, Hurra, Hurra, dann frage ich mich – Umkehrschluss –, warum laufen nicht mehr solcher Filme im Wettbewerb oder gibt es die nicht? Natürlich gibt es die, und man muss suchen. Wir haben hier ein Missverhältnis. Wir haben einen Zeremonienmeister Dieter Kosslick. Der ist draußen auf dem roten Teppich ein Clown und in der Ansage, und der ist ulkig und der ist komisch. Aber bei der Filmauswahl, sein Filmgeschmack, der ist so was von unterirdisch und so was von grottig. Das zeichnet sich in diesem Jahr ganz besonders aus.

Grothe: Also das Trauma nach wie vor "Das Leben der Anderen"?

Pönack: Der hat ein Riesentrauma. Der zeigt uns im vorigen Jahr vier Filme, vier deutsche Filme, und sagt, das ist das Aushängeschild des deutschen Films, über einen Vergewaltiger, "Der freie Wille", "Elementarteilchen", dieses Missverständnis Pseudoleben, "Sehnsucht", dieses nette Laienspiel aus Brandenburg, und dieses hervorragende "Requiem", und sagt tatsächlich, "Das Leben der Anderen" sei der fünfte, von den vieren der fünfte. "Das Leben der Anderen" hat inzwischen weltweit alles abgeräumt, was es gab. Filmkritik ist keine Wahrheit, Filmkritik ist subjektiv. Aber: So irren, sage ich, so irren wie bei "Das Leben der Anderen", der jetzt eine Oscar-Nominierung hat und wahrscheinlich am übernächsten Montag einen Oscar bekommen wird, so irren darf man sich nicht, und dieses Trauma verfolgt Kosslick und seine Auswahljury, und ich nehme an, da sind die völlig frustriert. Ich hätte eine Lösung: Wir müssen neue Auswahlkriterien machen. Wir müssen nach anderen Film suchen.

Grothe: Herr Pönack, ein ernsthaftes Festival, das braucht ja auch nur ernsthafte Filme. Steckt dieses Thema so ein bisschen dahinter bei den Berlinale-Machern?

Pönack: Billy Wilder hat ernsthafte komische Filme gemacht. Ich bitte Sie! Es ist gar nichts dagegen zu sagen, dass wir hier ernsthafte, seriöse Filme, dass wir andere Filme haben als im Tagesprogramm das ganze Jahr über. Das wäre doch schlimm, wenn wir hier diese Mainstream Filme haben.

Grothe: Dazu sind Festivals da.

Pönack: Dazu sind Festivals da. Aber Festivals sind doch nicht dazu da, um zu langweilen, um zu belästigen, wo man rauskommt und sagt, ich weiß nicht, warum dieser Film gedreht wurde. Wir haben aus Argentinien einen Film gesehen, A geht nach B und nach C, und Sie wissen bis zum Schluss nicht, warum der nach A, B und C geht. Sie sitzen da und sagen, aha, es ist der Pflichtbeitrag aus Argentinien. Das kann es doch bitteschön nicht sein! Also da ist ein Missverhältnis in diesem Jahr ganz besonders zum Vorschein gekommen. Das ist anzuprangern.

Grothe: Ist es denn immer noch so, dass nur Problemfilme eine Chance haben bei einem Festival wie jetzt der Berlinale wie zum Beispiel ein Film über was weiß ich einen einbeinigen Stehgeiger, der ein Kindheitstraumata bewältigt und zwanghaft Streichhölzer nach Größe sortiert und schließlich, weiß ich nicht, den Sinn des Lebens entdeckt?

Pönack: Also da müssten Sie eigentlich die Leute fragen, die diese Filme auswählen. Ich denke mir, Dieter Kosslick hat ein Problem mit seinen Auswahlleuten. Auch das wird übrigens nicht transparent gemacht, wer da welche Filme aussucht und überhaupt, wie die zustande kommen, welche Filme zum Beispiel sie gerne gehabt hätten und abgelehnt wurden. Das akzeptiere ich ja, wenn sie mir sagen, der und der Filmemacher will nicht nach Berlin, der will gleich nach Cannes im Mai. Wir dürfen ja nicht vergessen, im Mai ist Cannes, und da kommen ja wieder neue große Namen, neue große Filme. Und ich sehe auch die Schwierigkeiten für ein Festival, immer wieder hervorragende Filme ranzuholen. Nochmal gesagt: Ein seriöser Film, ein ernsthafter Film muss ja nicht ein schlechter sein, ganz im Gegenteil. Aber es darf nicht langweilen, und Kino ist Schauwert auch und Kino ist auch Unterhaltung, Kino ist Seele, Kino ist Herz. Und die Seele und das Herz werden auf dieser Berlinale wirklich dermaßen strapaziert, also das ist schon, von den Augen ganz abgesehen, das ist schon, ja …

Grothe: Bei welchen Festivals geht es nicht so ernst zu?

Pönack: Ach ich nehme an, die Franzosen, die sehen das etwas melancholischer, die sehen das mediterraner, die sehen das etwas lockerer. Also Cannes ist im Vergleich zu Berlin sicherlich immer noch die Übernummer eins. Bei Berlin merke ich auch immer diese Verkrampftheit. Wenn man irgendwo eine Frage stellt, fühlen die sich sofort belästigt und fühlen die sich sofort angeklagt und müssen sich sofort rechtfertigen, statt etwas lockerer, so locker wie auf dem roten Teppich, wenn er die Stars ankündigt und wenn er Berlin da präsentiert, das macht er ja wirklich hervorragend, der Kosslick. Aber in dem Moment, wenn man an die Filmtiefe reingeht, dann wird immer so getan: Das dürft ihr nicht fragen. Also das ist beleidigend, das ist anklagend, das ist belästigend. Wieso dürfen wir das nicht fragen? Wenn wir da drin sitzen und uns da letztlich die Kugel geben, überspitzt gesagt, dann dürfen wir doch bestimmte Fragen stellen, warum bestimmte Filme nicht da sind. Und der "Spiegel" hat in der vorletzten Ausgabe, immerhin der "Spiegel", Überschrift aufgemacht, "Floppmacher Kosslick?" Gott Sei Dank gibt es noch ein Fragezeichen.

Grothe: Es ist ja nicht unbedingt lustig, einen lustigen Film zu machen, wahrscheinlich manchmal sogar schwieriger als einen ernsthaften Film zu machen. Vielleicht gibt es deshalb so wenig gute Exemplare, die auf Festivals laufen können, vielleicht ist das der Grund?

Pönack: Ich denke, man muss sie suchen. Also "Irina Palm" ist das beste Beispiel, wie ein ganz ernsthaftes seriöses Thema, eine 60-jährige Frau, arbeitslos, verzweifelt, landet in einem Pornoshop. Also das könnte doch so dämlich peinlich sein. Wie die Briten, die sind unter anderem beteiligt, es ist britischer Humor, wie die das auffangen, wie die das sentimental, sinnlich, spannend, aufregend, mit einer großartigen Schauspielerin Marianne Faithfull angehen, das gibt es bestimmt weltweit. Man muss suchen und man muss andere Kriterien finden. Man muss nicht immer nur sagen, ich muss das Land haben, irgendeinen Film, sondern ich denke mir, wir müssen anders suchen. Das kann so nicht weitergehen, so deprimierend. Es ist deprimierend!

Grothe: Die Berlinale geht noch ein paar Tage. Wie geht es denn für Sie weiter, nach der Berlinale die Berlinale-Therapie oder was kommt?

Pönack: Sie werden lachen, ich schüttle mich einmal, trinke ein Glas Selter, Montagfrüh geht es in die nächste Pressevorführung, und dann ist gut. Nein, ich nehme das natürlich auf, aber das dauert eine Weile, um das zu analysieren und das nachzufragen, und wir sind in einer ständigen Diskussion mit der Berlinale-Leitung, aber in diesem Jahr häuft sich das in einer Größenordnung, das ist schon schlimm. Und dann noch: Wir sind ja ein deutsches Festival, und im vorigen Jahr mit vier deutschen Beiträgen aufzumachen und in diesem Jahr mit zweien, das ist auch nicht richtig. Dann muss er uns sagen, Leute, es gibt keine anderen Filme. Das sagt er nicht. Im vorigen Jahr wurden wir zugemüllt mit Pressepapier über einen Grundgesetzfilm. Jetzt höre ich von einem Kollegen, den gab es heimlich in einer Vorführung. Wieso läuft der nicht auf der Berlinale? Da haben sie ein halbes Jahr, ein Jahr von den Dreharbeiten gesprochen, mit den Prominenten, mit Politikern und mit allen. Wieso sehe ich das nicht auf der Berlinale? Das erklärt mir keiner. Ein Beispiel. Es gibt noch andere Beispiele, wo man fragt, warum dieser und jener Film nicht da ist, aber gut, lassen wir es dabei. Es ist nicht ganz einfach in diesem Jahr in den Wettbewerb der Berlinale zu gehen, aber es gibt immer "Irina Palm", und davon zehre ich und zehre ich und zehre ich, und heute kommt Jennifer Lopez, man sagt, die hat einen tollen Hintern, und wenn der Film dazu noch wunderbar ist, na, dann ist es doch fein, das wäre doch prima.

Grothe: Auf der Berlinale gibt es in diesem Jahr nicht so viel zu lachen – dazu Filmkritiker Hans-Ulrich Pönack. Vielen Dank für das Gespräch.

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