Tatsuo Hori: „Der Wind erhebt sich“

Liebe in Zeiten der Tuberkulose

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Cover von Tatsuo Horis Novelle „Der Wind erhebt sich“. Auf dem Buchumschlag sind gemalte Bäume zu sehen.
© mitteldeutscher verlag

Tatsuo Hori

Aus dem Japanischen von Sabine Mangold

Der Wind erhebt sichMitteldeutscher Verlag, Halle 2022

78 Seiten

16,00 Euro

Von Katharina Borchardt |
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Die junge Setsuko liegt mit TBC in einem japanischen Sanatorium. Ihr Verlobter kümmert sich um sie. Tatsuo Horis Novelle über ein langes Leiden inspirierte Anime-Altmeister Hayao Miyazaki 2013 zu seinem Film „Wie der Wind sich hebt“.
Setsuko hat Tuberkulose. Doch im Jahr 1935 gibt es noch keine Antibiotika. Deshalb muss die junge Japanerin mit schwerem Husten in ein Sanatorium in den Bergen. Der guten Luft wegen.
Dort macht man ein modernes Röntgenbild von ihrem Rumpf. Auf der rechten Seite sind die hellen Rippen gut zu sehen, doch „auf der linken Seite war nichts dergleichen zu erkennen, sondern ein großer dunkler Fleck, gleich einer geheimnisvollen Blume, wo sich der Krankheitsherd abzeichnete“.

Intensiv und hoch verdichtet

Es ist ihr Verlobter, der diese intensive und hoch verdichtete Geschichte erzählt, die größtenteils im Sanatorium, später in einer Berghütte spielt. Im Laufe der knapp 80 Seiten umfassenden Novelle verlässt Setsuko nur selten das Bett.
Ihr Verlobter ist zwar stets an ihrer Seite, aber nicht in ihre Pflege involviert. Naturalistische Beschreibungen eines Klinikalltags – Essensausgabe, Körperpflege, Therapien – sind seine Sache nicht. Auch Politisches spielt keine nennenswerte Rolle, selbst wenn er mal die Zeitung liest.
Die medizinischen Abläufe muss der Autor Tatsuo Hori gut gekannt haben, starb doch auch seine eigene Frau früh an TBC. Knapp zwei Jahrzehnte später (1953) wurde Hori selbst von der Tuberkulose dahingerafft, lange nachdem er die Novelle „Der Wind erhebt sich“ geschrieben hatte.
Setsukos Verlobten aber lässt er bloß sinnend in die Natur hinausschauen, die den Zustand der Kranken meteorologisch spiegelt – im Frühjahr besser, über den Sommer stabil, im Herbst sehr viel schlechter.
Dabei beschwört sein Erzähler das romantische Ideal abgeschiedener Zweisamkeit. Wenn Setsuko sich also für ihre Mattigkeit entschuldigt, entgegnet er, „dass es gerade deine Zerbrechlichkeit ist, die meine Liebe zu dir noch verstärkt“. Ein durchaus zwiespältiges Liebesgeständnis, das dieser zunächst verträumt wirkenden Novelle etwas Abgründiges gibt.

Fragmentarische Tagebuch-Notate

Gerade dieser Besitzanspruch des Erzählers, dessen Herkunft zugleich weitestgehend unerklärt bleibt, ist es, was die Geschichte so rätselhaft und interessant macht. Was ist denn das für ein Typ? Zumal er im Laufe der Geschichte beginnt, einen Roman über seine sieche Verlobte zu schreiben. Nur das Romanende will ihm innerhalb der Novelle nicht glücken, die selbst in gut romantischer Tradition mit fragmentarischen Tagebuch-Notaten endet.
Es ist beeindruckend, wieviel Denkaufgaben eine so kurze Geschichte stellen und wie viele Assoziationen sie zu wecken vermag. Rilkes „Requiem“ zitiert Tatsuo Hori ausführlich, doch auch an Thomas Manns sehr viel umfangreicheren „Zauberberg“ und an Haruki Murakamis Sanatoriumsroman "Naokos Lächeln" mag man vergleichend denken.
Anime-Altmeister Hayao Miyazaki baute Horis Novelle 2013 ganz offensiv in seinen fast gleichnamigen Film „Wie der Wind sich hebt“ ein. Man kann die Novelle „Der Wind erhebt sich“ also nicht nur als eskapistische Liebesgeschichte begreifen, sondern auch als hochinteressantes Scharnier zwischen der frühen Rezeption europäischer Literatur in Japan und der eigenen späteren Verarbeitung in der japanischen Popkultur.
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