Der Witz als Umsturzwerkzeug

Renzensiert von Paul-Hermann Gruner |
Humor und kommunistische Diktaturen - das schließt sich nicht aus. Das beweist der Autor, denn er stöbert sich durch die Witze-Literatur der ehemaligen Ostblockstaaten. Dabei nimmt er auch sich und seine Analysen keinesfalls bierernst.
Schlechte Zeiten verschaffen sich im Volke Luft über den Humor, sind also hervorragende Zeiten für den Witz. Mit großer, ja dramatischer Geste ist im gesamten sogenannten Ostblock das Scheitern einer Idee vorgeführt worden – immer gemessen am finalparadiesischen Erlösungsversprechen der Bolschewiki, dem Erreichen des Vollkommunismus. Lewis sieht es selbstredend ironisch anerkennend: "Der Kommunismus ist das einzige politische System, das im Humor sein eigenes Genre geschaffen hat", sagt er, und hält die Witze für – Zitat: "das verführerischste, faszinierendste und überraschendste kulturelle Erbe, das 72 Jahre Marxismus-Leninismus zurückgelassen haben".

Lewis sieht den Witz im Kommunismus als "literarischen Korpus" und stöbert durch Witze-Literatur und Humor-Dokumentationen aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks und spricht mit Sammlern, Forschern, Zeitzeugen und Gulag-Überlebenden. Das hat in sich kompositorische Würze, Leichtigkeit und etwas rührend Verspieltes. Merke: Dies ist ein Buch, das sich selbst und seine Analysen nicht bierernst nimmt, den Witz der Zeit aber unbedingt.

Natürlich offeriert Lewis eine zentrale These. Er forscht sich zwar vergeblich an ihr ab, aber sie macht die gesamte Zeit über mächtig Dampf und Spaß. Sie lautet: Humor und Witz haben die Ostblock-Staaten erst mürbe gemacht und dann zu Fall gebracht. Der Witz als Umsturzwerkzeug. Schöne These. Bleibt aber auch eine. Zum Beispiel Rumänien. Der kommunistische Versuch dort nahm in den späten siebziger und den achtziger Jahren regelrecht volksvernichtende Steinzeit-Züge an. Dazu zwei Witze:

"Warum lässt Ceausescu am 1. Mai Großveranstaltungen abhalten? Um zu sehen, wie viele Leute den Winter überlebt haben."

Den dramatischen Versorgungsnotstand im Lande greift folgender Witz auf:

"Ein rumänischer Kosmonaut fährt zum Mond. Auf dem Küchentisch hinterlässt er eine Notiz für die Mutter. "Bin zum Mund geflogen, bin in einer Woche wieder zurück." Als er zurückkommt ins Haus, liest er den Zettel seiner Mutter. "Bin Brot und Käse einkaufen. Weiß nicht, wann ich heimkehre."

Auch wenn der Witz die Restseele der Menschen bewahren half und, so Lewis, "zum Jazz Osteuropas, zur Musik der Unterdrückten" wurde, hatte er nicht die Kraft, einen Schnüffel- und Polizeistaat von den Hebeln seines Machtmonopols zu verdrängen. Wie auch. Der Unrechtsstaat mit dem großen Glücksversprechen starb nicht am Lachen, im Gegenteil, er produzierte in seiner witzestärksten Zeit – der Stalin-Ära – seinen eigenen Humor und machte darüber hinaus auch noch Witze mit dem Witz – vollendet scham- und gewissenlos. Das dokumentiert Lewis mit Schärfe ohne Gnade. Diktator Stalin selbst riss die härtesten Witze.

Der Höhepunkt des Witzes unter Stalin markiert also gleichzeitig die dunkelste Zeit des Herrschens im Sowjetreich. Danach musste die Witzkultur verflachen. Dem Witz hat das seine Lebendigkeit gekostet, vielen Bürgern jedoch die ihrige erhalten. Dieser Prozess muss den Humorologen also keinesfalls grämen.

Das Buch von Lewis ist auch ohne Bestätigung seiner These ein amüsant-intelligent gelungenes: gallebitter-süß und zeitgeist-analytisch – wie jener Witz aus der Sowjetunion aus den 1930er Jahren, der Dekade des maßlos schrecklichen Terros nach innen:

"Ein Lehrer fragt die Klasse: 'Wer ist eure Mutter, wer ist euer Vater?' Ein Kind antwortet: 'Meine Mutter ist Russland, mein Vater ist Stalin.' 'Sehr gut', sagt der Lehrer, 'und was möchtest du werden, wenn du groß bist?' Antwort: 'Vollwaise."

Ben Lewis: Das komische Manifest. Kommunismus und Satire von 1917 bis 1989
Aus dem Englischen von Anne Emmert
Blessing Verlag, München 2010
Cover: Ben Lewis: "Das Komische Manifest. Kommunismus und Satire von 1917 bis 1989"
Cover: Ben Lewis: "Das komische Manifest. Kommunismus und Satire von 1917 bis 1989"© Blessing Verlag