Der Witzigste, der Eleganteste
Als vielleicht "witzigster deutscher Schriftsteller" ist der Satiriker Max Goldt mit dem Kleist-Preis 2008 ausgezeichnet worden. Laudator und Schriftsteller-Kollege Daniel Kehlmann nannte Goldt einen "Alltagsbeobachter", der genau hinsehe, Bemerkenswertes erkenne und die Wirklichkeit in Worte fassen könne.
Max Goldt steht an der Spitze der deutschen Gegenwartsliteratur. Er ist der Witzigste, der Genaueste, der Eleganteste, der Unerschrockenste. Darin waren sich alle einig, die bei der Verleihung des Heinrich-von-Kleist-Preises geredet haben. Ganz vorne mit dabei: Günter Blamberger, der Präsident der Kleist-Gesellschaft. Der Groß-Moralist Max Goldt steht für ihn in einer glänzenden Tradition:
"Moralisten sind keine Idealisten, sondern Skeptiker, und deshalb in Deutschland bisher selten. Lichtenberg, Schopenhauer, Nietzsche, Adorno gehören dazu - und Kleist, der ‘mit dem Gefühl des Elends, in welchem dieses Zeitalter darniederliegt‘, geschlagen ist und mit der ‘Einsicht in alle Erbärmlichkeiten, Halbheiten, Unwahrhaftigkeiten, und Gleisnereien, von denen es die Folge ist‘"."
Nur gut, dass Max Goldt selbst aus der weihevollen Vergötterung seiner Person ab und an die Luft rausgelassen hat. Zum Beispiel mit einer Lesung aus seinem Text "Vom Zauber des seitlich daran Vorbeigehens", der sich mit der Verfallserscheinung Weihnachtsmarkt auseinandersetzt:
""Weihnachten ist eine der drei großen Volksschwächen. Die anderen beiden sind Autos und Fußball. Wer bevorzugt, sich seinen persönlichen Defekten zu widmen und daher schon terminlich Schwierigkeiten hat an Massenschwächen teilzunehmen, sollte sich aber mit ihnen arrangieren. Wir fangen also gar nicht erst damit an, leise tickende Taschen auf Weihnachtsmärkten abzustellen."
Diese Weihnachtsmarkt-Kolumne konnte Goldt auch gleich dazu nutzen, einen zarten Bezug zu Heinrich von Kleist herzustellen. Kleist habe mal eine Miniatur über einen Weihnachtsmarkt geschrieben - und er nun auch. Ansonsten sei seine einprägsamste Begegnung mit dem preußischen Dichter sein kindliches Betrachten des Kleist-Porträts auf der 80-Pfennig-Briefmarke der Deutschen Post gewesen. Die nächste tiefere Begegnung mit Kleist hatte Max Goldt dann schon Daniel Kehlmann zu verdanken:
"42 Jahre später, am kalten Ostermontag des Jahres 2008, fragte mich Daniel Kehlmann, gebeugt über eine dampfende Schüssel mit brennend scharfem Mapo-Tofu, ob ich etwas dagegen hätte, den Kleist-Preis zu kriegen. Passt schon! sagte ich."
Daniel Kehlmann hat die Laudatio auf den neuen Kleist-Preisträger gehalten und sich dabei einen literarischen Begleitschutz organisiert. Indem er Goldt lobte, hat Kehlmann geschickt seinen eigenen Stil gepriesen: das elegante und süffige, leichte und intelligente literarische Schreiben. Keile bekam dafür ein seit Jahrzehnten gebräuchliches, reichlich abgenutztes Schreckensbild: der viel zu ernste deutsche Autor:
"Große Kunst, so nehmen nicht ganz urteilsfeste Menschen an, solle trist sein, bedächtig, schwerfällig, und man müsse ihr noch Mühe, Last und Qual der Produktion anmerken."
Dagegen: der witzige Goldt, der Mann mit der frei flottierenden und allerschärfsten Aufmerksamkeit, der Autor mit dem Mut zu Irrsinn und Absurdität, der Schöpfer perfekter Sätze, die Daniel Kehlmann ähnlich nur bei einem Allergrößten der deutschen Literatur gelesen hat: bei Thomas Mann. Schließlich begründet Kehlmann mit einem Liedtext von Max Goldt, warum dieser Dichter jeden Literaturpreis verdient hat.
"Schneid mich aus dem Leib der Erde
Schneid mich raus und wirf mich weit
Wirf, auf dass ich ewig falle
Fallende, so heißt es doch, haben alle Zeit auf Erden
Und hören die herrlichste Musik."
Max Goldt selbst hat seine Dankesrede genutzt, um ein für allemal mit allen falschen Vorstellungen von dem Autor Goldt aufzuräumen. Nein, er sei kein Satiriker, weil die sowieso nicht ernst genommen werden. Nein: er sei kein Kolumnist, weil er keine journalistischen Texte schreibe, sondern: Literatur. Und: er sei auch kein Kultautor, weil ihm noch keine interessanten Max-Goldt-Kulte zu Ohren gekommen sind.
"Ich sage das mit einer gewissen Wehmut, denn eigentlich würde sich mein kleines Werk zu kultischem Getue eignen. Wäre ich Kult-Autor, würde mir wenigstens jemand einen besseren Wikipedia-Eintrag schreiben. Seit Jahren steht da, ich würde mich dadurch auszeichnen, dass ich häufig die Ironie ironisiere. Wie das wohl geht?"
In seiner schön ironischen Dankesrede hat sich Max Goldt selbst porträtiert: als einen etwas versponnenen Menschen, der einmal Botaniker werden wollte, und der bis heute findet, dass sich Gebildete etwas weniger für die Literatur interessieren sollten und etwas mehr für die Pflanzen und Tiere. Auch bei Kleist störe ihn, dass es da kaum einmal um die Natur gehe und immer nur um Menschen.
Überhaupt hat Goldt eine leise Literaturfeindlichkeit zelebriert: längere Texte würden ihn zuverlässig ermüden, viele heutige Autoren findet er befremdlich elastisch und fremdbestimmt, etwa wenn sie sich in Interviews zur Tagespolitik äußern. Überraschenderweise hat sich der Spötter und Stilist Max Goldt aber am Ende als bekennender Gesellschaftskritiker geoutet:
"Doch glaube ich, unter anderem, einen hoffentlich verzeihlichen Hang zur hoffentlich nicht allzu platten Gesellschaftskritik entwickelt zu haben, wobei ich Gesellschaftskritik nie mit System- oder Regierungskritik verwechseln wollte. Denn Gesellschaftskritik, die das Grölen von Fußballfans in Bahnhöfen ganz unerwähnt lässt, ist keine."
"Moralisten sind keine Idealisten, sondern Skeptiker, und deshalb in Deutschland bisher selten. Lichtenberg, Schopenhauer, Nietzsche, Adorno gehören dazu - und Kleist, der ‘mit dem Gefühl des Elends, in welchem dieses Zeitalter darniederliegt‘, geschlagen ist und mit der ‘Einsicht in alle Erbärmlichkeiten, Halbheiten, Unwahrhaftigkeiten, und Gleisnereien, von denen es die Folge ist‘"."
Nur gut, dass Max Goldt selbst aus der weihevollen Vergötterung seiner Person ab und an die Luft rausgelassen hat. Zum Beispiel mit einer Lesung aus seinem Text "Vom Zauber des seitlich daran Vorbeigehens", der sich mit der Verfallserscheinung Weihnachtsmarkt auseinandersetzt:
""Weihnachten ist eine der drei großen Volksschwächen. Die anderen beiden sind Autos und Fußball. Wer bevorzugt, sich seinen persönlichen Defekten zu widmen und daher schon terminlich Schwierigkeiten hat an Massenschwächen teilzunehmen, sollte sich aber mit ihnen arrangieren. Wir fangen also gar nicht erst damit an, leise tickende Taschen auf Weihnachtsmärkten abzustellen."
Diese Weihnachtsmarkt-Kolumne konnte Goldt auch gleich dazu nutzen, einen zarten Bezug zu Heinrich von Kleist herzustellen. Kleist habe mal eine Miniatur über einen Weihnachtsmarkt geschrieben - und er nun auch. Ansonsten sei seine einprägsamste Begegnung mit dem preußischen Dichter sein kindliches Betrachten des Kleist-Porträts auf der 80-Pfennig-Briefmarke der Deutschen Post gewesen. Die nächste tiefere Begegnung mit Kleist hatte Max Goldt dann schon Daniel Kehlmann zu verdanken:
"42 Jahre später, am kalten Ostermontag des Jahres 2008, fragte mich Daniel Kehlmann, gebeugt über eine dampfende Schüssel mit brennend scharfem Mapo-Tofu, ob ich etwas dagegen hätte, den Kleist-Preis zu kriegen. Passt schon! sagte ich."
Daniel Kehlmann hat die Laudatio auf den neuen Kleist-Preisträger gehalten und sich dabei einen literarischen Begleitschutz organisiert. Indem er Goldt lobte, hat Kehlmann geschickt seinen eigenen Stil gepriesen: das elegante und süffige, leichte und intelligente literarische Schreiben. Keile bekam dafür ein seit Jahrzehnten gebräuchliches, reichlich abgenutztes Schreckensbild: der viel zu ernste deutsche Autor:
"Große Kunst, so nehmen nicht ganz urteilsfeste Menschen an, solle trist sein, bedächtig, schwerfällig, und man müsse ihr noch Mühe, Last und Qual der Produktion anmerken."
Dagegen: der witzige Goldt, der Mann mit der frei flottierenden und allerschärfsten Aufmerksamkeit, der Autor mit dem Mut zu Irrsinn und Absurdität, der Schöpfer perfekter Sätze, die Daniel Kehlmann ähnlich nur bei einem Allergrößten der deutschen Literatur gelesen hat: bei Thomas Mann. Schließlich begründet Kehlmann mit einem Liedtext von Max Goldt, warum dieser Dichter jeden Literaturpreis verdient hat.
"Schneid mich aus dem Leib der Erde
Schneid mich raus und wirf mich weit
Wirf, auf dass ich ewig falle
Fallende, so heißt es doch, haben alle Zeit auf Erden
Und hören die herrlichste Musik."
Max Goldt selbst hat seine Dankesrede genutzt, um ein für allemal mit allen falschen Vorstellungen von dem Autor Goldt aufzuräumen. Nein, er sei kein Satiriker, weil die sowieso nicht ernst genommen werden. Nein: er sei kein Kolumnist, weil er keine journalistischen Texte schreibe, sondern: Literatur. Und: er sei auch kein Kultautor, weil ihm noch keine interessanten Max-Goldt-Kulte zu Ohren gekommen sind.
"Ich sage das mit einer gewissen Wehmut, denn eigentlich würde sich mein kleines Werk zu kultischem Getue eignen. Wäre ich Kult-Autor, würde mir wenigstens jemand einen besseren Wikipedia-Eintrag schreiben. Seit Jahren steht da, ich würde mich dadurch auszeichnen, dass ich häufig die Ironie ironisiere. Wie das wohl geht?"
In seiner schön ironischen Dankesrede hat sich Max Goldt selbst porträtiert: als einen etwas versponnenen Menschen, der einmal Botaniker werden wollte, und der bis heute findet, dass sich Gebildete etwas weniger für die Literatur interessieren sollten und etwas mehr für die Pflanzen und Tiere. Auch bei Kleist störe ihn, dass es da kaum einmal um die Natur gehe und immer nur um Menschen.
Überhaupt hat Goldt eine leise Literaturfeindlichkeit zelebriert: längere Texte würden ihn zuverlässig ermüden, viele heutige Autoren findet er befremdlich elastisch und fremdbestimmt, etwa wenn sie sich in Interviews zur Tagespolitik äußern. Überraschenderweise hat sich der Spötter und Stilist Max Goldt aber am Ende als bekennender Gesellschaftskritiker geoutet:
"Doch glaube ich, unter anderem, einen hoffentlich verzeihlichen Hang zur hoffentlich nicht allzu platten Gesellschaftskritik entwickelt zu haben, wobei ich Gesellschaftskritik nie mit System- oder Regierungskritik verwechseln wollte. Denn Gesellschaftskritik, die das Grölen von Fußballfans in Bahnhöfen ganz unerwähnt lässt, ist keine."