Der Zar und der Wandermönch
Die biografischen Erzählungen des Romans von Asta Scheib zeigen ein breit angelegtes Panorama Russlands an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Auffällig an "Frost und Sonne" ist, wie genau der Autor recherchiert hat. Damit führt er vor, wie das "Nacherleben" vergangener Zeiten im historischen Roman möglich ist.
Nicht eben häufig vollzieht sich die Geschichte als Roman. Der Zusammenbruch des Zarismus in Russland war ohne Zweifel ein Moment, in dem sich vor dem Hintergrund großer historischer Umwälzungen eine Intrige abspielte, die man kaum anders als eine Einladung für jeden Romancier nennen kann.
Die Erklärung für ein solches Phänomen liegt wohl immer in der genauen Personifizierung der einzelnen beteiligten Haupt- und Unterströmungen der Geschichte und ihre Einbettung in ein hochdramatisches Geschehen.
Im konkreten Fall sind die Ingredienzien des Romans die folgenden: ein theoretisch allgewaltiger, in der Praxis aber völlig überforderter und manipulierbarer Zar, in seiner Umgebung ein mondäner, dabei morbider Hochadel, der sich seinem Ende entgegenfeiert und politisch weitgehend eigene Interessen verfolgt, im Hintergrund ein unruhiges bis rebellisches Volk.
Und schließlich jener sprichwörtliche Stein, der eine Lawine ins Rollen bringen kann - ein geheimnisvoller sibirischer Bauer, der als "Heiler" (für den hämophiliekranken Sohn des Zaren) an den Zarenhof gelangt und seine suggestiven Kräfte auch politisch spielen lässt: Rasputin.
Auffällig an diesem Roman ist, wie genau er recherchiert ist. Geographische, meteorologische oder architektonische Details, Hausrat, Fahrzeuge, Kleidung, Schmuck und sonstige Accesoires werden mit großer Kenntnis beschrieben, was nicht nur über den gesamten Verlauf des Romans eine dichte Atmosphäre erzeugt, sondern auch vorführt, wie dieses "Nacherleben" vergangener Zeiten im historischen Roman bewerkstelligt werden kann.
Ebenso gelungen ist das Nachzeichnen der Lebenslinien der beiden Protagonisten in wechselseitigen biographischen Schüben: hier der Adelsspross Felix Jussupow aus einer der angesehensten - und reichsten - Familien des Landes, da der sibirische Wandermönch Rasputin, der sich durch das arme Russland schlägt, bis ihn der Zufall - oder war es Folgerichtigkeit? - an den Zarenhof bringt.
In diesen biografischen Erzählungen scheint immer wieder der politische Hintergrund auf, so dass in der Tat von einem breitangelegten Panorama jenes Russland der Jahrhundertwende (vom 19. zum 20.) die Rede sein kann.
Problematisch hingegen ist die Engführung des Stoffes, je näher es zum Kulminationspunkt des Romans kommt, dem von Jussupow mitverübten Mord an Rasputin. Asta Scheib lässt als Motiv für diesen Mord praktisch nichts übrig als Jussupows Leiden an jener homosexuellen amour fou, die sich zwischen ihm und Rasputin entzündet hatte.
Obendrein belässt sie Rasputin in der Rolle eines sehr sonderbaren, aber im wesentlichen aufrichtigen Menschen, der lediglich seine Rolle als "Narr in Christo" akzeptierte, dabei durchaus materielle, aber keinerlei politische Interessen hatte. Seine vielfach bezeugten Ausschweifungen in jeder Hinsicht deutet sie zwar an, sie bleiben aber nur das: Andeutungen.
Bis zu dem Punkt, dass ein imaginärer (und sehr "romanhafter", weil von dem Toten unter dem Eis hervor "geschriebener") Abschiedsbrief Rasputins dessen hehre und reine Liebe zu Jussupow ausmalt. Und so wirkt das Romanfinale doch etwas weniger gut dokumentiert als der Großteil dieses dennoch sehr lesenswerten Romans.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Asta Scheib: Frost und Sonne
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007, 320 Seiten, 19,95 Euro
Die Erklärung für ein solches Phänomen liegt wohl immer in der genauen Personifizierung der einzelnen beteiligten Haupt- und Unterströmungen der Geschichte und ihre Einbettung in ein hochdramatisches Geschehen.
Im konkreten Fall sind die Ingredienzien des Romans die folgenden: ein theoretisch allgewaltiger, in der Praxis aber völlig überforderter und manipulierbarer Zar, in seiner Umgebung ein mondäner, dabei morbider Hochadel, der sich seinem Ende entgegenfeiert und politisch weitgehend eigene Interessen verfolgt, im Hintergrund ein unruhiges bis rebellisches Volk.
Und schließlich jener sprichwörtliche Stein, der eine Lawine ins Rollen bringen kann - ein geheimnisvoller sibirischer Bauer, der als "Heiler" (für den hämophiliekranken Sohn des Zaren) an den Zarenhof gelangt und seine suggestiven Kräfte auch politisch spielen lässt: Rasputin.
Auffällig an diesem Roman ist, wie genau er recherchiert ist. Geographische, meteorologische oder architektonische Details, Hausrat, Fahrzeuge, Kleidung, Schmuck und sonstige Accesoires werden mit großer Kenntnis beschrieben, was nicht nur über den gesamten Verlauf des Romans eine dichte Atmosphäre erzeugt, sondern auch vorführt, wie dieses "Nacherleben" vergangener Zeiten im historischen Roman bewerkstelligt werden kann.
Ebenso gelungen ist das Nachzeichnen der Lebenslinien der beiden Protagonisten in wechselseitigen biographischen Schüben: hier der Adelsspross Felix Jussupow aus einer der angesehensten - und reichsten - Familien des Landes, da der sibirische Wandermönch Rasputin, der sich durch das arme Russland schlägt, bis ihn der Zufall - oder war es Folgerichtigkeit? - an den Zarenhof bringt.
In diesen biografischen Erzählungen scheint immer wieder der politische Hintergrund auf, so dass in der Tat von einem breitangelegten Panorama jenes Russland der Jahrhundertwende (vom 19. zum 20.) die Rede sein kann.
Problematisch hingegen ist die Engführung des Stoffes, je näher es zum Kulminationspunkt des Romans kommt, dem von Jussupow mitverübten Mord an Rasputin. Asta Scheib lässt als Motiv für diesen Mord praktisch nichts übrig als Jussupows Leiden an jener homosexuellen amour fou, die sich zwischen ihm und Rasputin entzündet hatte.
Obendrein belässt sie Rasputin in der Rolle eines sehr sonderbaren, aber im wesentlichen aufrichtigen Menschen, der lediglich seine Rolle als "Narr in Christo" akzeptierte, dabei durchaus materielle, aber keinerlei politische Interessen hatte. Seine vielfach bezeugten Ausschweifungen in jeder Hinsicht deutet sie zwar an, sie bleiben aber nur das: Andeutungen.
Bis zu dem Punkt, dass ein imaginärer (und sehr "romanhafter", weil von dem Toten unter dem Eis hervor "geschriebener") Abschiedsbrief Rasputins dessen hehre und reine Liebe zu Jussupow ausmalt. Und so wirkt das Romanfinale doch etwas weniger gut dokumentiert als der Großteil dieses dennoch sehr lesenswerten Romans.
Rezensiert von Gregor Ziolkowski
Asta Scheib: Frost und Sonne
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2007, 320 Seiten, 19,95 Euro