Wie die Hauptstadtpresse ums Überleben kämpft
Auf dem Berliner Zeitungsmarkt schrumpft die Vielfalt - sinkende Auflagen haben dazu geführt, dass viele Verleger nach neuen Geschäftsmodellen und Einnahmequellen suchen. Jüngstes Beispiel: "Berliner Zeitung" und "Berliner Kurier".
"Berliner Zeitung" und "Berliner Kurier" – noch prangen die Logos über dem Eingang zum Gebäude des Berliner Verlags am Alexanderplatz. Doch auf den Fluren wird nicht mehr über die Aufmacher auf der Seite eins diskutiert oder über die Schlagzeilen von morgen. Einzig Betriebsratschefin Renate Gensch ist noch vor Ort:
"Ich räume mein Büro aus und versuche die Dinge zu ordnen, die noch aufzubewahren sind für meine Nachfolger und für eventuell anhängige Prozesse."
Auflage im Sinkflug
Ende Juni ist auch für Renate Gensch Schluss, dann wechselt sie in eine Transfergesellschaft. An den Wänden stapelt sich meterhoch das Papier, Akten liegen verstreut auf dem Schreibtisch, eine vergilbte Ausgabe der "taz" vom 30. Mai 2006 auf dem ausgetretenen Teppichboden. Sie beschäftigt sich mit den Protesten von Angestellten der Berliner Zeitung. Titelschlagzeile: "Meuterei am Alex". Mit der Meuterei ist jetzt auch Schluss. Tränen?
"Ja, ganz viel. Also nicht nur bei mir. Auch bei vielen anderen Kollegen. Da sind ja Leute dabei, die sind noch viel länger da als ich. 37 Jahre, 40 Jahre."
Die Berliner Zeitung ist ein Blatt mit Tradition – die erste Zeitung, die nach dem Zweiten Weltkrieg im besetzten Deutschland neu gegründet wurde. Zu DDR-Zeiten erschien sie in einer täglichen Auflage von 345.000 Exemplaren, nach der Vereinigung waren es 200.000, jetzt werden nur noch 76.000 Exemplare verkauft.
Langjährige Beschäftigte wurden "einfach aussortiert"
Eigentümer und Chefredakteure wechselten gefühlt im Jahresrhythmus: Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Mecom, aktuell Dumont. Die Kernbelegschaft schrumpfte und schrumpfte, der ganz harte Schnitt kam dann zum Jahreswechsel – der Dumont-Verlag gründete eine neue Gesellschaft, die Newsroom GmbH – alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten sich dort neu bewerben. Jörg Reichel von der Gewerkschaft Verdi nennt das Verhalten des Arbeitgebers Dumont schäbig:
"Schäbig deshalb, weil die Neugründung des Newsrooms darauf baut, dass er denjenigen, die vorher die Zeitung gemacht haben, dass er denen gekündigt hat. Es sind Beschäftigte, die in der Regel 20, 25 Jahre die Zeitung gemacht haben und dann einfach aussortiert worden sind. Und das ist ein Prozess gewesen, der nicht transparent war."
Durch die Abwicklung der alten und Gründung der neuen Gesellschaft hatte der Dumont-Verlag freie Hand – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die man für ungeeignet hielt, bekamen keinen neuen Job, allenfalls eine Abfindung sowie das Angebot, eine Zeitlang in einer Transfergesellschaft zu arbeiten.
Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi wurden 85 von 160 Angestellten nach Hause geschickt, 75 sind in die neue Gesellschaft gewechselt, dazu kommen Neueinstellungen vor allen Dingen im Online-Bereich.
Online und Print sollen sich beflügeln
Der Dumont-Verlag hat in ein neues repräsentatives Gebäude in Kreuzberg investiert, die Redakteurinnen und Redakteure von Berliner Zeitung und Berliner Kurier sitzen jetzt mit den schlechter bezahlten Online-Kollegen in gemeinsamen Großraum-Büros.
"Ich finde, das ist ein sehr schönes Haus hier. Ich finde, das ist sehr licht, sehr hell, sehr durchlässig für alles, für Gedanken, für Texte, für Gespräche mit den Kollegen."
Jochen Arntz gibt sich optimistisch – als Chefredakteur der Berliner Zeitung muss er das auch. Online und Print arbeiteten jetzt zusammen, das beflügele gegenseitig, meint er.
"Wir haben die Berliner Zeitung, den Berliner Verlag jetzt hier neu aufgebaut, und das ist schon mal etwas. Die Redaktion steht jetzt hier zwischen Kreuzberg und Mitte. Und wir haben ein großes Vertrauen unseres Verlages, dass wir diese Titel und die Digitalangebote weiterentwickeln."
Mit weniger Redakteuren eine bessere Zeitung?
Doch jetzt müssen Jochen Arntz und seine zwei Chefredakteurskollegen liefern. Den Sinkflug der Auflagen stoppen, die Marken nach vorne bringen, neue Digitalangebote entwickeln, die im besten Fall Geld einspielen.
Mit weniger Redakteurinnen und Redakteuren eine bessere Zeitung machen, das geht jedenfalls nicht. Blattkritik:
Auf der Seite eins eine exklusiv recherchierte Geschichte – dieser Punkt geht an den Chefredakteur. Doch wo ist der fundierte Artikel über die Fluggesellschaft Air Berlin, die am Tag zuvor auf die Staatsbürgschaft verzichtet hatte? Jochen Arntz blättert in seiner Zeitung – es findet sich nur eine kleine Meldung.
"Das ist gestern nicht so gut gelaufen, wie wir uns das gewünscht hätten mit Air Berlin. Das stimmt. Das war einfach ein Fehler."
Unzählige Überstunden und Wochenendeinsätze
Nicht alle guten Leute, die der 52-Jährige haben wollte, sind mitgekommen. Einige Edelfedern haben der Zeitung den Rücken gekehrt - zu ungewiss die Zukunft am neuen Standort, zu üppig die Abfindung, ein neuer Job lockte.
Der Druck auf die Redaktion ist weiter gewachsen, die Journalistinnen und Journalisten schreiben nun für die seriöse Berliner Zeitung und das Boulevard-Blatt Berliner Kurier gleichzeitig. Mitarbeiter berichten von unzähligen Überstunden und andauernden Wochenendeinsätzen. Einen Betriebsrat gibt es noch nicht. Fragt man Gewerkschaft und Chefredakteur nach der Lage – die Antwort könnte nicht gegensätzlicher ausfallen. Jörg Reichel von Verdi:
"Die Arbeitsbedingungen sind im Moment eine Katastrophe. Es gab eine Anfangseuphorie in den ersten ein, zwei Monaten. Im Moment fährt der Arbeitgeber die Beschäftigten auf Verschleiß."
Chefredakteur Jochen Arntz:
"Also Leute verschleißen, das kann man gar nicht, das sollte man einfach nicht tun. Natürlich sind wir weniger Leute als vorher. Weil wir diese Berliner Zeitung neu aufgebaut haben nach den Gegebenheiten, die ökonomisch einfach da sind in Berlin."
Wie vielen Zeitungen verträgt der Haupstadtmarkt?
Die Frage ist, ob der Markt der Hauptstadt weiter Platz bietet für drei Abo-Blätter. Die Berliner Zeitung wird traditionell im Osten der Stadt abonniert und gelesen, im Westen sind es die Morgenpost der Funke Mediengruppe und der liberale Tagesspiegel aus dem Holtzbrinck-Verlag.
Ein Blick auf die Auflage zeigt: die Morgenpost verliert zweistellig, die Berliner Zeitung einstellig, einzig der Tagesspiegel legt leicht zu. Hier finden zurzeit die größten Innovationen statt: ein morgendlicher, polemisch zugespitzter Newsletter namens Checkpoint vom Chefredakteur höchstpersönlich, wöchentliche sublokale Newsletter für die Bezirke, dazu der Versuch, sich als Debattenblatt auch überregional einen Namen zu machen.
Klingt Jochen Arntz von der Berliner Zeitung eher zweckoptimistisch, scheint Lorentz Maroldt vom Tagesspiegel ein Aufputschmittel genommen zu haben, wenn er sagt:
"Ich empfinde mich inmitten einer Revolution. Es hat noch nie so viel Spaß gemacht, Journalist zu sein. Es hat noch nie so die Möglichkeit gegeben, auch vernetzt zu arbeiten und zu denken, Dinge auszuprobieren, auch mal scheitern zu können. Wir müssen einfach nur diesen Schwung, der über diese digitale Revolution kommt, aufgreifen und sie auch als journalistische Revolution verstehen."
Mit Podcasts gegen den Auflagenschwund?
Um Verluste durch niedrigere Auflagen und eingebrochene Werbeeinnahmen aufzufangen, entwickelt der Tagesspiegel bezahlte Informations- und Rechercheangebote für eine zahlungskräftige Klientel – das sogenannte Politmonitoring. Die Marke "Tagesspiegel" wird gestärkt – mit öffentlichen Veranstaltungen und Konferenzen. Auch die Berliner Zeitung setzt auf neue Formate – auf einen freitäglichen Podcast des Chefredakteurs.
"Herzlich Willkommen zu Berlin Mitte, dem Podcast aus der Chefredaktion der Berliner Zeitung. Mein Name ist Jochen Arntz, ich bin der Chefredakteur der Berliner Zeitung, ich begrüße Sie zu einer neuen Ausgabe von Berlin-Mitte."
Ein Angebot, das Nutzer an die Marke "Berliner Zeitung" binden soll, zunächst allerdings nur Zeit kostet und kein Geld einbringt.
"Und das ist sicherlich die Aufgabe der nächsten Monate, der nächsten Jahre, zu sehen, wie wir mit dieser integrativ arbeitenden Redaktion für alle Kanäle Geld verdienen."
Jochen Arntz verneint eine zeitliche und wirtschaftliche Vorgabe seitens des Dumont-Verlags. Berliner Zeitung und Berliner Kurier sind durch den Neustart erst einmal gerettet – wie lange es welche Hauptstadt-Blätter noch geben wird, steht in den Sternen.