Der zornige Blogger
In seinem eigenen Internetblog ließ José Saramago seinem Zorn freien Lauf und zeigte sich als derber Provokateur. Unter dem Titel "Das Tagebuch" erscheinen die Texte des im Sommer verstorbenen Portugiesen nun gedruckt.
Als er schon über 80 war, ließ sich José Saramago überreden, ein Internetblog zu schreiben. Von Herbst 2008 bis Frühjahr 2009 publizierte der Portugiese mehrfach pro Woche Beiträge über den Zustand der Welt. In seinen Romanen (etwa "Die Stadt der Blinden", 1995) zeigte sich der Nobelpreisträger als distanzierter und skeptischer Beobachter der westlichen Gesellschaft. Er arbeitete mit Parabeln, mit Eleganz und feiner Ironie. In den Internettexten erleben wir Saramago nun von einer anderen Seite. Hier ist der bekennende Linke ein recht derber Provokateur, einer, der erst draufhaut und dann schaut, ob es auch den Richtigen traf.
Saramago als Blogger sei "ein zorniger Wüterich", bemerkt Umberto Eco im Vorwort. Was macht den Blogger so wütend? Die Unmoral der Banker, der desolate Zustand der Linken und – immer wieder – das Spitzenpersonal des Westens. Berlusconi sei "ein Verbrecher", der Papst (Ratzinger) ein Mensch von mittelalterlicher Denkart. Am schärfsten geht der Texter mit dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush ins Gericht. "Er weiß, dass er lügt, er weiß, dass wir wissen, daß er lügt." Ständig rede er "Blödsinn" – Bush, ein dümmlicher Cowboy, der die Welt wie seine Viehherde behandle. - Das kann man so sehen.
Doch manchmal übertreibt der Autor auf befremdliche Weise - immer dann, wenn er den Palästina-Konflikt erwähnt. Da wird nicht mehr differenziert, da verleugnet Saramago die zeitlose Weisheit seiner Romane. Israels Politiker und Soldaten seien "Spezialisten der Grausamkeit", arabische Attentäter hingegen kleine Davids, die gegen "Goliaths Panzer" aufstünden. Von einem neuen Holocaust spricht der Meister: Die Israelis folgten "den völkermörderischen Doktrinen derer, die ihre Vorfahren folterten, vergasten und verbrannten". In mancher Hinsicht hätten die jüdischen Schüler ihre faschistischen Lehrmeister gar überholt.
Die peinlichen Bemerkungen führten kurz vor dem Tod des Portugiesen (er starb im Juni 2010) zu einem Eklat mit seinem deutschen Verlag. Rowohlt mochte die Israel-Schelte so nicht publizieren, der Verfasser verweigerte Änderungen – und wechselte mit dem Gesamtwerk zu Hoffmann und Campe (eben erschien dort der Roman "Die Reise des Elefanten"). Über die Entgleisungen kann man enttäuscht sein oder entsetzt; das Prosa-Monument Saramago werden die Ausfälle nicht beschädigen. Andere Schwächen des kleinen Buchs dürften der Form geschuldet sein. Postings sind Texte für den Tag, auf die Schnelle geschrieben, und so wird verkürzt, vergröbert, wiederholt.
In einigen Passagen erkennen wir den anderen Saramago wieder, den feinfühligen Erzähler - in Skizzen über Pessoa, Borges, Amado und in mancher lebensklugen Äußerung. Bisweilen, so der Dichter, höre er den Vorwurf, Skepsis sei eine Alterskrankheit. Er kontert philosophisch: "Noch nie haben die Hoffnungen der Jungen die Welt zu verbessern vermocht, und der stets neue Missmut der Alten war nie groß genug, um die Welt schlechter zu machen."
Besprochen von Uwe Stolzmann
José Saramago: Das Tagebuch
Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis und Karin von Schweder-Schreiner
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2010
206 Seiten, 16 Euro
Saramago als Blogger sei "ein zorniger Wüterich", bemerkt Umberto Eco im Vorwort. Was macht den Blogger so wütend? Die Unmoral der Banker, der desolate Zustand der Linken und – immer wieder – das Spitzenpersonal des Westens. Berlusconi sei "ein Verbrecher", der Papst (Ratzinger) ein Mensch von mittelalterlicher Denkart. Am schärfsten geht der Texter mit dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush ins Gericht. "Er weiß, dass er lügt, er weiß, dass wir wissen, daß er lügt." Ständig rede er "Blödsinn" – Bush, ein dümmlicher Cowboy, der die Welt wie seine Viehherde behandle. - Das kann man so sehen.
Doch manchmal übertreibt der Autor auf befremdliche Weise - immer dann, wenn er den Palästina-Konflikt erwähnt. Da wird nicht mehr differenziert, da verleugnet Saramago die zeitlose Weisheit seiner Romane. Israels Politiker und Soldaten seien "Spezialisten der Grausamkeit", arabische Attentäter hingegen kleine Davids, die gegen "Goliaths Panzer" aufstünden. Von einem neuen Holocaust spricht der Meister: Die Israelis folgten "den völkermörderischen Doktrinen derer, die ihre Vorfahren folterten, vergasten und verbrannten". In mancher Hinsicht hätten die jüdischen Schüler ihre faschistischen Lehrmeister gar überholt.
Die peinlichen Bemerkungen führten kurz vor dem Tod des Portugiesen (er starb im Juni 2010) zu einem Eklat mit seinem deutschen Verlag. Rowohlt mochte die Israel-Schelte so nicht publizieren, der Verfasser verweigerte Änderungen – und wechselte mit dem Gesamtwerk zu Hoffmann und Campe (eben erschien dort der Roman "Die Reise des Elefanten"). Über die Entgleisungen kann man enttäuscht sein oder entsetzt; das Prosa-Monument Saramago werden die Ausfälle nicht beschädigen. Andere Schwächen des kleinen Buchs dürften der Form geschuldet sein. Postings sind Texte für den Tag, auf die Schnelle geschrieben, und so wird verkürzt, vergröbert, wiederholt.
In einigen Passagen erkennen wir den anderen Saramago wieder, den feinfühligen Erzähler - in Skizzen über Pessoa, Borges, Amado und in mancher lebensklugen Äußerung. Bisweilen, so der Dichter, höre er den Vorwurf, Skepsis sei eine Alterskrankheit. Er kontert philosophisch: "Noch nie haben die Hoffnungen der Jungen die Welt zu verbessern vermocht, und der stets neue Missmut der Alten war nie groß genug, um die Welt schlechter zu machen."
Besprochen von Uwe Stolzmann
José Saramago: Das Tagebuch
Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis und Karin von Schweder-Schreiner
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2010
206 Seiten, 16 Euro