"Der Zuschauer, zumindest ich, bleibt ratlos zurück!"
Das Ganze sei sehr mutig und auch wahnsinnig egozentrisch, fasst der Schauspieler Florian Lukas seinen Eindruck von der Fake-Doku "I'm Still Here" zusammen. Immerhin sei Joaquin Phoenix ein toller Schauspieler, der sich traue, die Grenzen in Hollywood zu überschreiten.
Susanne Burg: Musik aus dem Film "Walk the Line" aus dem Jahr 2005. Joaquín Phoenix gibt darin den Johnny Cash, und zwar so überzeugend, dass er für seine Darstellung für den Oscar nominiert wird. Ein Höhepunkt in der Karriere des Schauspielers. Und es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis er in der nächsten großen Charakterrolle zu sehen ist. Aber stattdessen verkündet Joaquín Phoenix vor irgendeiner Fernsehkamera, dass er das Schauspielen an den Nagel hängt und von nun an Rapper sei.
Eineinhalb Jahre lässt er die Welt in diesem Glauben, eineinhalb Jahre begleitet ihn sein Schwager Casey Affleck mit der Kamera, filmt ihn bei seinen Rapversuchen und dabei, wie er verzweifelt P. Diddy hinterhertelefoniert, der seine neue Platte produzieren soll. "I'm Still Here" heißt der fertige Film, bei dem amerikanische Medien, als er dann dort in die Kinos kommt, noch rätseln, ob es wirklich eine Dokumentation ist. Inzwischen ist klar: Es ist ein Fake, alles ist inszeniert.
Am Donnerstag kommt "I'm Still Here" nun bei uns in die Kinos, und einer, der sich auskennt mit dem Vermischen von Realität und Fiktion, hat sich ihn schon jetzt für uns angesehen: Florian Lukas. Er hat den Tobias in dem Film "Keine Lieder über Liebe" gespielt, ebenfalls eine Pseudodokumentation über die Band "Hansen". Florian Lukas ist jetzt bei uns im Studio, guten Morgen!
Florian Lukas: Guten Morgen!
Burg: Und wie ist es Ihnen ergangen, wie fanden Sie den Film?
Lukas: Also, ich habe damals diesen legendären Auftritt bei David Letterman gesehen und dachte so: Ich glaube, da ist jemand enttäuscht, dass er seinen Oscar nicht gewonnen hat, den er eigentlich verdient hätte, und hat jetzt keinen Bock mehr und steigt aus und ...
Burg: ... man muss vielleicht auch noch beschreiben, wie dieser Auftritt vonstattenging, weil kein normaler Auftritt ...
Lukas: Es ist schwer zu beschreiben, da saß ein bärtiger, offensichtlich zugekiffter Mann, eigentlich nicht wiederzuerkennen - eigentlich ist das ja ein sehr attraktiver Mensch - und murmelt etwas in seinen verfilzten Bart. Und das war ein Auftritt, den ich eigentlich so, sagen wir mal, vergleichbar vielleicht in seiner Konsequenz jedenfalls nur von Kinski bisher gesehen habe. Jemand, der sich einfach komplett verweigert. Und ich habe jetzt von diesem Film gehört und dachte, das ist interessant, also der hat sich mit einer Kamera begleiten lassen, und habe dann aber erfahren, bevor ich den Film gesehen habe, dass das alles Fake ist. Und dann war ich schon etwas enttäuscht, bevor ich den Film überhaupt angefangen habe zu sehen.
Burg: Also, es hat das Gucken des Filmes geändert, als Sie wussten, dass es ein Fake ist?
Lukas: Ja, es hat sich schon geändert. Andererseits habe ich mich auch erschrocken, weil ich dachte, so, ich könnte mich jetzt auf eine wahnsinnig tolle voyeuristische Nummer einlassen und jemandem beim Absturz zuschauen, das muss ich leider zugeben. Und wenn man jetzt auftritt und sagt, ich spiele nur mein wahres Ich, dann fällt es mir schwer, mich damit zu identifizieren oder auch der Geschichte oder auch dem Charakter Joaquín Phoenix jetzt dann noch zu folgen. Das ist schwierig, weil dann eben Realität, Außendarstellung eines Schauspielers und Rolle einfach komplett vermischt werden. Das ist schwierig für einen Zuschauer, jedenfalls für mich, das auseinanderzuhalten und sich dann eine Meinung darüber zu bilden.
Burg: Also, man muss vielleicht sagen, beim Absturz zugucken, hatten Sie ja gesagt. Also, dieser Joaquín Phoenix, den man da sieht, der Rapper, ist nicht ein wirklich sympathischer Mensch, man sieht ihn koksen, fluchen, fett werden, also rundum eigentlich seine Karriere in den Sand setzen. Wenn man den so gesehen hätte, dann wäre das irgendwie so ein bisschen voyeuristisch geworden. Haben Sie denn verstanden, da es ja nun ein Fake ist, worum es eigentlich geht in dem Film?
Lukas: Ich glaube, darüber kann man eine Diplomarbeit schreiben, vermutlich. Ich habe mir da auch den Kopf zerbrochen. Ich glaube, es gibt nun verschiedene Sachen. Zunächst einmal dachte ich so, ja, er ist enttäuscht – das sagt er ja auch letztendlich in dem Film –, er hat keinen Bock mehr, nur noch als Schauspieler sich sagen zu lassen, wo er zu stehen hat und was er zu sagen hat, er hat keine Lust mehr, Joaquín Phoenix zu spielen, er will jetzt er selber sein, der wahre Mensch möchte er sein. Und zunächst einmal, finde ich, geht es auch darum zu zeigen, dass man Angst vor dem Ausstieg hat.
Das, glaube ich, kennt jeder, oder viele von uns, die sagen, wir haben keine Lust mehr auf das, was wir machen, wir haben keine Lust mehr auf die Leute, die uns umgeben, wir wollen aussteigen. Die Zweifel, die man damit verbindet: Trifft man die richtige Entscheidung, ist man wirklich sicher, einen anderen Weg einzuschlagen, und eben die Angst davor, vielleicht die falsche Entscheidung zu treffen und abzustürzen, das ist ein ganz interessantes Thema eigentlich des Films.
Burg: Das Sie auch selber kennen, aus eigener Gedankenwelt?
Lukas: Das kennt, glaube ich, jeder, das beschreibt er in seinem Film, das beschreiben viele Leute, die auch in völlig anderen Bereichen arbeiten. Ich glaube, das gibt es viel, dass Leute überlegen, vielleicht was ganz anderes zu machen, vielleicht nicht wissen, was, oder auch die Angst davor haben, diesen Schritt zu gehen. Und dann, glaube ich, geht es ihm darum, dass man als Schauspieler doch irgendwie in mindestens drei Identitäten lebt: Einmal die Rollen, die man spielt, die einen beschäftigen im Privatleben, dann der private Mensch, der man ja eigentlich nur sein kann, wenn man zu Hause ist oder unter Freunden, und dann eben die öffentliche Figur.
Also, das kenne ich natürlich nur ansatzweise, weil ich ja kein Star bin in dem Sinne, aber ich merke, dass man zwischen diesen Dreien immer hin- und herpendelt, in der Außenwirkung auch, wie man sich angeblich privat gibt dann. Und das versucht er, sozusagen in eine Figur zu verschmelzen. Also, er spielt sich selber als wahrer Mensch und versucht gleichzeitig, diese Grenze niederzureißen zwischen wirklicher Privatheit und zur Schau gestellter Privatheit. Dass das natürlich auch nur zur Schau gestellt ist, wenn man weiß, dass diese Dokumentation ein Fake ist, finde ich problematisch. Es ist wahnsinnig schwierig, das zu beurteilen, ist aber trotzdem sehr, sehr interessant.
Burg: Wenn man es jetzt als Schauspielerleistung nimmt, also der Joaquín Phoenix, der diese Rollen alle spielt, wie bewerten Sie dann diese Rolle aus Sicht eines Schauspielers, Sie, Florian Lukas?
Lukas: Ich finde es toll gespielt, ohne Frage, auch erst recht, weil er eigentlich mit einem Tabu bricht. Wenn man als Schauspieler erfolgreich sein will, in der Regel jedenfalls, sollte man sich nicht unbeliebt machen. Das tut er aber die ganze Zeit und zwar öffentlich. Und andererseits – und da beißt sich die Katze wieder in den Schwanz – sind auch Tabubrüche etwas, was mehr Popularität bedeutet und mehr Interesse hervorruft und vielleicht auch einen höheren Grad von Beliebtheit, weil man ja dann weiß, dass das ja alles so wahnsinnig toll gespielt ist.
Es ist wahnsinnig toll gespielt, ohne Frage, allerdings, also das kenne ich ansatzweise aus "Keine Lieder über Liebe": Wenn man so lange in der Öffentlichkeit eine Figur spielt, ist man an einem bestimmten Punkt auch kaum noch in der Lage, sich selbst und die gespielte Figur auseinanderzuhalten, beziehungsweise auch die vermeintliche Realität wird zu so einer Spielebene, wir zu einer Art Fiktion. Und dann stellt man fest, dass man in sehr, sehr vielen Situationen, auch im vermeintlich sehr privaten Bereich, auch oft spielt. Also, das ist mir nie so klar geworden wie in diesen drei Wochen, die ich da nur in dieser Fake-Dokumentation "Keine Lieder über Liebe" verbracht habe.
Burg: Wie kam das, dass das ausgerechnet bei dieser Rolle passiert ist?
Lukas: Es lag einfach daran, weil wir uns ununterbrochen einfach immer nur in diesen fiktionalen Bereichen bewegt haben. Wir haben nie miteinander privat gesprochen, wir haben eigentlich drei Wochen lang nur in dieser Geschichte gelebt.
Burg: .Und ja auch sehr viel improvisiert!
Lukas: Ja, es gab kein Drehbuch, wir haben alles improvisiert und eben auch nicht nur in einem abgegrenzten fiktionalen Raum, in abgegrenzten Bereichen, sondern eben auch in der Öffentlichkeit, also die Konzerte waren ja real, die Konzerte waren öffentlich. Wir sind Leuten begegnet, die spontan auf uns reagiert haben oder wir auf die. Und gleichzeitig sind uns Schauspieler begegnet, von denen wir nicht wussten, dass sie Schauspieler sind, und man mit denen aber trotzdem genau so interagiert wie mit vermeintlich normalen Menschen.
Irgendwann ist es so kompliziert, das auseinanderzuhalten, dass man diese Grenzen auch selbst niederreißt und dann alles entweder für Realität oder für Fiktion hält, das kann man sich irgendwann aussuchen. Und wenn man das länger macht, wird man verrückt davon.
Burg: Also, jetzt zurück noch mal zu Joaquín Phoenix, der hat das 18 Monate lang getan. Wie bewerten Sie das, ist das mutig, engagiert, verrückt, das so zu tun?
Lukas: Es ist auf jeden Fall mutig, es ist aber auch wahnsinnig egozentrisch. Weil, was ich am Ende sehe, ganz am Ende, ist, dass er ein toller Schauspieler ist, der sich traut, die Grenzen zu dieser öffentlichen Realität in Hollywood zu überschreiten. Und der Zuschauer, zumindest ich, bleibt ratlos zurück!
Burg: Ich spreche im Deutschlandradio Kultur mit Florian Lukas über den neuen Film "I'm Still Here" mit Joaquín Phoenix. Wir haben eben schon gesprochen übers Improvisieren. In "Keine Lieder über Liebe" wurde improvisiert, aber Sie waren ja immer unterwegs. In "I'm Still Here" tritt ja Joaquín Phoenix auch hinaus in die Welt und improvisiert, indem er mit Leuten interagiert. Würde Sie das auch reizen?
Lukas: Eigentlich nicht. Ich mag meinen Beruf wahnsinnig gerne, aber ich mag auch, diese Bereiche zu trennen. Es ist ohnehin so: Wenn ich in die Öffentlichkeit gehe, öffentliche Auftritte habe, bin ich auch nicht immer ganz bei mir selbst, also auch da spielt man auf eine Art und Weise, aber unter anderen Vorzeichen. Also, jetzt so radikal sich zwei Jahre einer Laune hinzugeben, wie er das getan hat, kann man vielleicht nur, wenn man sehr, sehr etabliert ist und finanziell abgesichert und einfach Lust auf dieses Experiment hat und einfach nur zeigen will, was für ein toller Typ er ist, toller Schauspieler.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, ehrlich gesagt, dass das anderthalb Jahre geheim bleibt. Das ist ja auch hin und wieder Thema in dem Film, dass man glaubt, dass das alle eine Fälschung wäre. Wie auch immer, vielleicht hat er auch einfach keinen Bock gehabt, hat gedacht, ist mir jetzt alles scheißegal, ich mach das jetzt einfach, ich fresse mir eine Plauze an wie Robert De Niro damals und vielleicht hat er sich auch darin verloren oder weil es ihm so einen Spaß gemacht hat, hinterher kann man immer noch sagen, es ist ein Fake!
Was auch immer, also das ist wahnsinnig schwer zu beurteilen. Man kann einfach sich ihn nur angucken und sich seine eigene Meinung drüber bilden, das ist wirklich sehr, sehr schwer, das wirklich einzuordnen.
Burg: Man hat ja auch immer ein bisschen den Eindruck in Hollywood, dass viele Filme unter Kumpels entstehen. Also, wenn man an George Clooney und Brad Pitt denkt zum Beispiel. Auch dieser Film ist ja zwischen Kumpels entstanden: Casey Affleck und Joaquín Phoenix. Haben Sie ein bisschen die Sehnsucht danach, dass es hier in Deutschland auch so was gibt?
Lukas: Das kann man natürlich machen, wenn man sehr, sehr, sehr viel Zeit investiert und kein Geld verdienen möchte, dann kann sich jeder zusammen hinsetzen und die Filme machen, die ihnen gerade einfallen. Allerdings ist das nicht realistisch. Wir sind alle keine Millionäre, die sich mal zwei Jahre Auszeit nehmen können.
Burg: Na ja, aber bei Brad Pitt und George Clooney sieht man ja, dass die Filme durchaus auch kommerziell erfolgreich sein können, aber trotzdem merkt man den Filmen ja auch den Spaß an, den sie beim Machen, die Schauspieler, hatten.
Lukas: Das ist natürlich wahnsinnig beneidenswert, ohne Frage. Nur, wir bedienen keinen gigantischen Milliardenmarkt, das ist der Unterschied.
Burg: Woran arbeiten Sie denn derzeit und wie viel Florian Lukas taucht darin auf?
Lukas: Ich bin gerade in der Vorbereitung für die zweite Staffel von "Weissensee", die wir fortsetzen, die lief ja im Herbst in der ARD, und die erste Staffel spielte 1980, jetzt springen wir ins Jahr 1986. Das ist eine wahnsinnig spannende Zeit auch gewesen. Und weil uns das großen Spaß gemacht hat, freue ich mich da sehr drauf, jetzt da weiterzuarbeiten bis Weihnachten.
Burg: Florian Lukas war bei uns zu Gast, wir sprachen über seine Ansichten zum Film "I'm Still Here" mit Joaquín Phoenix. Der Film läuft am Donnerstag bei uns in den Kinos an. Vielen Dank fürs Kommen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Eineinhalb Jahre lässt er die Welt in diesem Glauben, eineinhalb Jahre begleitet ihn sein Schwager Casey Affleck mit der Kamera, filmt ihn bei seinen Rapversuchen und dabei, wie er verzweifelt P. Diddy hinterhertelefoniert, der seine neue Platte produzieren soll. "I'm Still Here" heißt der fertige Film, bei dem amerikanische Medien, als er dann dort in die Kinos kommt, noch rätseln, ob es wirklich eine Dokumentation ist. Inzwischen ist klar: Es ist ein Fake, alles ist inszeniert.
Am Donnerstag kommt "I'm Still Here" nun bei uns in die Kinos, und einer, der sich auskennt mit dem Vermischen von Realität und Fiktion, hat sich ihn schon jetzt für uns angesehen: Florian Lukas. Er hat den Tobias in dem Film "Keine Lieder über Liebe" gespielt, ebenfalls eine Pseudodokumentation über die Band "Hansen". Florian Lukas ist jetzt bei uns im Studio, guten Morgen!
Florian Lukas: Guten Morgen!
Burg: Und wie ist es Ihnen ergangen, wie fanden Sie den Film?
Lukas: Also, ich habe damals diesen legendären Auftritt bei David Letterman gesehen und dachte so: Ich glaube, da ist jemand enttäuscht, dass er seinen Oscar nicht gewonnen hat, den er eigentlich verdient hätte, und hat jetzt keinen Bock mehr und steigt aus und ...
Burg: ... man muss vielleicht auch noch beschreiben, wie dieser Auftritt vonstattenging, weil kein normaler Auftritt ...
Lukas: Es ist schwer zu beschreiben, da saß ein bärtiger, offensichtlich zugekiffter Mann, eigentlich nicht wiederzuerkennen - eigentlich ist das ja ein sehr attraktiver Mensch - und murmelt etwas in seinen verfilzten Bart. Und das war ein Auftritt, den ich eigentlich so, sagen wir mal, vergleichbar vielleicht in seiner Konsequenz jedenfalls nur von Kinski bisher gesehen habe. Jemand, der sich einfach komplett verweigert. Und ich habe jetzt von diesem Film gehört und dachte, das ist interessant, also der hat sich mit einer Kamera begleiten lassen, und habe dann aber erfahren, bevor ich den Film gesehen habe, dass das alles Fake ist. Und dann war ich schon etwas enttäuscht, bevor ich den Film überhaupt angefangen habe zu sehen.
Burg: Also, es hat das Gucken des Filmes geändert, als Sie wussten, dass es ein Fake ist?
Lukas: Ja, es hat sich schon geändert. Andererseits habe ich mich auch erschrocken, weil ich dachte, so, ich könnte mich jetzt auf eine wahnsinnig tolle voyeuristische Nummer einlassen und jemandem beim Absturz zuschauen, das muss ich leider zugeben. Und wenn man jetzt auftritt und sagt, ich spiele nur mein wahres Ich, dann fällt es mir schwer, mich damit zu identifizieren oder auch der Geschichte oder auch dem Charakter Joaquín Phoenix jetzt dann noch zu folgen. Das ist schwierig, weil dann eben Realität, Außendarstellung eines Schauspielers und Rolle einfach komplett vermischt werden. Das ist schwierig für einen Zuschauer, jedenfalls für mich, das auseinanderzuhalten und sich dann eine Meinung darüber zu bilden.
Burg: Also, man muss vielleicht sagen, beim Absturz zugucken, hatten Sie ja gesagt. Also, dieser Joaquín Phoenix, den man da sieht, der Rapper, ist nicht ein wirklich sympathischer Mensch, man sieht ihn koksen, fluchen, fett werden, also rundum eigentlich seine Karriere in den Sand setzen. Wenn man den so gesehen hätte, dann wäre das irgendwie so ein bisschen voyeuristisch geworden. Haben Sie denn verstanden, da es ja nun ein Fake ist, worum es eigentlich geht in dem Film?
Lukas: Ich glaube, darüber kann man eine Diplomarbeit schreiben, vermutlich. Ich habe mir da auch den Kopf zerbrochen. Ich glaube, es gibt nun verschiedene Sachen. Zunächst einmal dachte ich so, ja, er ist enttäuscht – das sagt er ja auch letztendlich in dem Film –, er hat keinen Bock mehr, nur noch als Schauspieler sich sagen zu lassen, wo er zu stehen hat und was er zu sagen hat, er hat keine Lust mehr, Joaquín Phoenix zu spielen, er will jetzt er selber sein, der wahre Mensch möchte er sein. Und zunächst einmal, finde ich, geht es auch darum zu zeigen, dass man Angst vor dem Ausstieg hat.
Das, glaube ich, kennt jeder, oder viele von uns, die sagen, wir haben keine Lust mehr auf das, was wir machen, wir haben keine Lust mehr auf die Leute, die uns umgeben, wir wollen aussteigen. Die Zweifel, die man damit verbindet: Trifft man die richtige Entscheidung, ist man wirklich sicher, einen anderen Weg einzuschlagen, und eben die Angst davor, vielleicht die falsche Entscheidung zu treffen und abzustürzen, das ist ein ganz interessantes Thema eigentlich des Films.
Burg: Das Sie auch selber kennen, aus eigener Gedankenwelt?
Lukas: Das kennt, glaube ich, jeder, das beschreibt er in seinem Film, das beschreiben viele Leute, die auch in völlig anderen Bereichen arbeiten. Ich glaube, das gibt es viel, dass Leute überlegen, vielleicht was ganz anderes zu machen, vielleicht nicht wissen, was, oder auch die Angst davor haben, diesen Schritt zu gehen. Und dann, glaube ich, geht es ihm darum, dass man als Schauspieler doch irgendwie in mindestens drei Identitäten lebt: Einmal die Rollen, die man spielt, die einen beschäftigen im Privatleben, dann der private Mensch, der man ja eigentlich nur sein kann, wenn man zu Hause ist oder unter Freunden, und dann eben die öffentliche Figur.
Also, das kenne ich natürlich nur ansatzweise, weil ich ja kein Star bin in dem Sinne, aber ich merke, dass man zwischen diesen Dreien immer hin- und herpendelt, in der Außenwirkung auch, wie man sich angeblich privat gibt dann. Und das versucht er, sozusagen in eine Figur zu verschmelzen. Also, er spielt sich selber als wahrer Mensch und versucht gleichzeitig, diese Grenze niederzureißen zwischen wirklicher Privatheit und zur Schau gestellter Privatheit. Dass das natürlich auch nur zur Schau gestellt ist, wenn man weiß, dass diese Dokumentation ein Fake ist, finde ich problematisch. Es ist wahnsinnig schwierig, das zu beurteilen, ist aber trotzdem sehr, sehr interessant.
Burg: Wenn man es jetzt als Schauspielerleistung nimmt, also der Joaquín Phoenix, der diese Rollen alle spielt, wie bewerten Sie dann diese Rolle aus Sicht eines Schauspielers, Sie, Florian Lukas?
Lukas: Ich finde es toll gespielt, ohne Frage, auch erst recht, weil er eigentlich mit einem Tabu bricht. Wenn man als Schauspieler erfolgreich sein will, in der Regel jedenfalls, sollte man sich nicht unbeliebt machen. Das tut er aber die ganze Zeit und zwar öffentlich. Und andererseits – und da beißt sich die Katze wieder in den Schwanz – sind auch Tabubrüche etwas, was mehr Popularität bedeutet und mehr Interesse hervorruft und vielleicht auch einen höheren Grad von Beliebtheit, weil man ja dann weiß, dass das ja alles so wahnsinnig toll gespielt ist.
Es ist wahnsinnig toll gespielt, ohne Frage, allerdings, also das kenne ich ansatzweise aus "Keine Lieder über Liebe": Wenn man so lange in der Öffentlichkeit eine Figur spielt, ist man an einem bestimmten Punkt auch kaum noch in der Lage, sich selbst und die gespielte Figur auseinanderzuhalten, beziehungsweise auch die vermeintliche Realität wird zu so einer Spielebene, wir zu einer Art Fiktion. Und dann stellt man fest, dass man in sehr, sehr vielen Situationen, auch im vermeintlich sehr privaten Bereich, auch oft spielt. Also, das ist mir nie so klar geworden wie in diesen drei Wochen, die ich da nur in dieser Fake-Dokumentation "Keine Lieder über Liebe" verbracht habe.
Burg: Wie kam das, dass das ausgerechnet bei dieser Rolle passiert ist?
Lukas: Es lag einfach daran, weil wir uns ununterbrochen einfach immer nur in diesen fiktionalen Bereichen bewegt haben. Wir haben nie miteinander privat gesprochen, wir haben eigentlich drei Wochen lang nur in dieser Geschichte gelebt.
Burg: .Und ja auch sehr viel improvisiert!
Lukas: Ja, es gab kein Drehbuch, wir haben alles improvisiert und eben auch nicht nur in einem abgegrenzten fiktionalen Raum, in abgegrenzten Bereichen, sondern eben auch in der Öffentlichkeit, also die Konzerte waren ja real, die Konzerte waren öffentlich. Wir sind Leuten begegnet, die spontan auf uns reagiert haben oder wir auf die. Und gleichzeitig sind uns Schauspieler begegnet, von denen wir nicht wussten, dass sie Schauspieler sind, und man mit denen aber trotzdem genau so interagiert wie mit vermeintlich normalen Menschen.
Irgendwann ist es so kompliziert, das auseinanderzuhalten, dass man diese Grenzen auch selbst niederreißt und dann alles entweder für Realität oder für Fiktion hält, das kann man sich irgendwann aussuchen. Und wenn man das länger macht, wird man verrückt davon.
Burg: Also, jetzt zurück noch mal zu Joaquín Phoenix, der hat das 18 Monate lang getan. Wie bewerten Sie das, ist das mutig, engagiert, verrückt, das so zu tun?
Lukas: Es ist auf jeden Fall mutig, es ist aber auch wahnsinnig egozentrisch. Weil, was ich am Ende sehe, ganz am Ende, ist, dass er ein toller Schauspieler ist, der sich traut, die Grenzen zu dieser öffentlichen Realität in Hollywood zu überschreiten. Und der Zuschauer, zumindest ich, bleibt ratlos zurück!
Burg: Ich spreche im Deutschlandradio Kultur mit Florian Lukas über den neuen Film "I'm Still Here" mit Joaquín Phoenix. Wir haben eben schon gesprochen übers Improvisieren. In "Keine Lieder über Liebe" wurde improvisiert, aber Sie waren ja immer unterwegs. In "I'm Still Here" tritt ja Joaquín Phoenix auch hinaus in die Welt und improvisiert, indem er mit Leuten interagiert. Würde Sie das auch reizen?
Lukas: Eigentlich nicht. Ich mag meinen Beruf wahnsinnig gerne, aber ich mag auch, diese Bereiche zu trennen. Es ist ohnehin so: Wenn ich in die Öffentlichkeit gehe, öffentliche Auftritte habe, bin ich auch nicht immer ganz bei mir selbst, also auch da spielt man auf eine Art und Weise, aber unter anderen Vorzeichen. Also, jetzt so radikal sich zwei Jahre einer Laune hinzugeben, wie er das getan hat, kann man vielleicht nur, wenn man sehr, sehr etabliert ist und finanziell abgesichert und einfach Lust auf dieses Experiment hat und einfach nur zeigen will, was für ein toller Typ er ist, toller Schauspieler.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, ehrlich gesagt, dass das anderthalb Jahre geheim bleibt. Das ist ja auch hin und wieder Thema in dem Film, dass man glaubt, dass das alle eine Fälschung wäre. Wie auch immer, vielleicht hat er auch einfach keinen Bock gehabt, hat gedacht, ist mir jetzt alles scheißegal, ich mach das jetzt einfach, ich fresse mir eine Plauze an wie Robert De Niro damals und vielleicht hat er sich auch darin verloren oder weil es ihm so einen Spaß gemacht hat, hinterher kann man immer noch sagen, es ist ein Fake!
Was auch immer, also das ist wahnsinnig schwer zu beurteilen. Man kann einfach sich ihn nur angucken und sich seine eigene Meinung drüber bilden, das ist wirklich sehr, sehr schwer, das wirklich einzuordnen.
Burg: Man hat ja auch immer ein bisschen den Eindruck in Hollywood, dass viele Filme unter Kumpels entstehen. Also, wenn man an George Clooney und Brad Pitt denkt zum Beispiel. Auch dieser Film ist ja zwischen Kumpels entstanden: Casey Affleck und Joaquín Phoenix. Haben Sie ein bisschen die Sehnsucht danach, dass es hier in Deutschland auch so was gibt?
Lukas: Das kann man natürlich machen, wenn man sehr, sehr, sehr viel Zeit investiert und kein Geld verdienen möchte, dann kann sich jeder zusammen hinsetzen und die Filme machen, die ihnen gerade einfallen. Allerdings ist das nicht realistisch. Wir sind alle keine Millionäre, die sich mal zwei Jahre Auszeit nehmen können.
Burg: Na ja, aber bei Brad Pitt und George Clooney sieht man ja, dass die Filme durchaus auch kommerziell erfolgreich sein können, aber trotzdem merkt man den Filmen ja auch den Spaß an, den sie beim Machen, die Schauspieler, hatten.
Lukas: Das ist natürlich wahnsinnig beneidenswert, ohne Frage. Nur, wir bedienen keinen gigantischen Milliardenmarkt, das ist der Unterschied.
Burg: Woran arbeiten Sie denn derzeit und wie viel Florian Lukas taucht darin auf?
Lukas: Ich bin gerade in der Vorbereitung für die zweite Staffel von "Weissensee", die wir fortsetzen, die lief ja im Herbst in der ARD, und die erste Staffel spielte 1980, jetzt springen wir ins Jahr 1986. Das ist eine wahnsinnig spannende Zeit auch gewesen. Und weil uns das großen Spaß gemacht hat, freue ich mich da sehr drauf, jetzt da weiterzuarbeiten bis Weihnachten.
Burg: Florian Lukas war bei uns zu Gast, wir sprachen über seine Ansichten zum Film "I'm Still Here" mit Joaquín Phoenix. Der Film läuft am Donnerstag bei uns in den Kinos an. Vielen Dank fürs Kommen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.