Der zweite amerikanische Unabhängigkeitskrieg

Von Monika Köpcke |
Auch nach der Unabhängigkeit Amerikas nahmen die Differenzen mit dem ehemaligen Mutterland Großbritannien nicht ab. Die jahrelangen Spannungen kulminierten schließlich: Am 19. Juni 1812 erreichte Großbritannien die Kriegserklärung der USA.
Seit mehr als 24 Stunden ergießt sich ein Regen aus Feuer und Stahl über das Fort McHenry an der Hafeneinfahrt zur amerikanischen Handelsstadt Baltimore. Knapp 600 amerikanische Soldaten haben sich in der Festung verschanzt und schießen aus allen Rohren zurück. Am frühen Morgen des 14. September 1814 kehrt plötzlich Stille ein; die Briten ziehen sich sieglos zurück. Als sich die Nebel lichten, weht noch immer, wenn auch ein wenig zerzaust, die amerikanische Flagge auf dem Fort. Ein amerikanischer Anwalt, der über einen Gefangenenaustausch verhandeln sollte und das Bombardement von einem britischen Schiff aus beobachtet hat, versetzt dieser Anblick in einen patriotischen Überschwang, den er sofort in Verse gießt.

"Sagt an, könnt ihr sehen im Licht, das erwacht,
was so stolz wir begrüßt, als der Abend verglühte,
breite Streifen, helle Sterne, die in mordender Schlacht
überm Wall, den wir hielten, erhaben geflutet?
Und die Blitze der Schlacht machten taghell die Nacht,
zeigten leuchtend uns an: unsere Fahne hält Wacht.”


1931 werden diese Verse offiziell zur Nationalhymne der Vereinigten Staaten von Amerika. Ihr Text glorifiziert einen Ausnahmesieg in einem Krieg, dem die junge amerikanische Nation alles andere als mit einer von Nationalstolz getragenen Einigkeit begegnet. Nur wenige Wochen vor der Schlacht von Baltimore hatte ein New Yorker Kaufmann geschrieben:

"Unser Handel liegt hernieder: Entweder die Lagerhallen quellen über und die Waren verderben oder sie atmen gähnende Leere, weil der Nachschub an dringend benötigten Gütern ausbleibt. Dieser Krieg kann uns auf der Erde nichts Gutes bringen, er wird uns ruinieren. Vielleicht wäre es besser, wenn unser Präsident Napoleon auf Elba Gesellschaft leistet.”

1809 war James Madison der vierte Präsident der Vereinigten Staaten geworden. Zu dieser Zeit war das Verhältnis zum ehemaligen Mutterland Großbritannien schon länger äußerst gespannt. Immer wieder kaperten britische Kriegsschiffe amerikanische Handelsschiffe auf ihrem Weg nach Europa; Tausende amerikanischer Seeleute wurden von den Engländern verschleppt und zwangsweise in den Dienst der Royal Navy gestellt; außerdem gab es im amerikanischen Appalachen-Territorium immer noch von Briten bewohnte Festungen, die sich als Schutzmacht der Indianer auffassten und die Amerikaner daran hinderten, sich deren Land einzuverleiben. Im April 1812 schrieb Madison:

"Wir befinden uns in einer Situation, in der es nur zwei Möglichkeiten gibt: Krieg oder Erniedrigung.”

Am 19. Juni 1812 erreichte Großbritannien die Kriegserklärung der USA. Madison sah den Konflikt als "zweiten Unabhängigkeitskrieg” an, doch sein Land war weder militärisch noch wirtschaftlich auf eine längere Auseinandersetzung vorbereitet. Es war ein Glück für die USA, dass ein Großteil der britischen Flotte noch im Krieg gegen das napoleonische Frankreich gebunden war.

Bis auf einige bravouröse Seegefechte verlief der Krieg für die Amerikaner wenig glücklich. Die weit überlegene Flotte der Briten blockierte die amerikanische Küste und verhinderte so jeglichen Handel. Der wirtschaftliche Schaden stellte die USA mit der Zeit vor einen Überlebenskampf. Im Sommer 1814 mussten die Amerikaner gar erleben, dass ein britisches Flottengeschwader bis nach Washington vordrang, marodierende Soldaten durch die Straßen der Hauptstadt zogen und den Kongress und das Weiße Haus in Brand steckten.

Kurz darauf begannen im belgischen Gent Friedensverhandlungen, und an Heiligabend 1814 wurde der Friedensvertrag unterzeichnet. Nach dem Sieg über Napoleon war die englische Regierung sehr daran interessiert, die Handelsbeziehungen mit Amerika wieder zu normalisieren. So verzichtete sie auf die im Krieg eroberten Gebiete und willigte ein, den Status Quo der Vorkriegsverhältnisse wieder herzustellen.

Die Amerikaner hatten keines ihrer Kriegsziele erreicht. Weder beendeten die Briten die Entführung amerikanischer Seeleute, noch war es den USA gelungen, das britische Kanada zu besetzen. Dennoch feierten die Massen den Friedensschluss als Sieg. Dem patriotischen Stolz genügten Episoden wie die Verteidigung Baltimores. Die USA sahen sich nun endlich international als unabhängige Macht wahrgenommen. Und diese Unabhängigkeit sollte sich fortan auch wirtschaftlich und militärisch ausdrücken. Noch unter dem Eindruck der britischen Handelsblockade während des Krieges hatte Madisons Vorgänger Thomas Jefferson geschrieben:

"Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Manufaktur heute für unsere Unabhängigkeit ebenso wichtig ist wie für unser Wohlergehen. Unser Feind macht aus einer friedlichen und landwirtschaftlichen eine militärische und Waren produzierende Nation.”