Der Zwiespalt eines jüdischen Lebens
Rafael Seligmann, Sohn deutscher Juden, schreibt in seiner Autobiografie über die Rückkehr der Familie von Israel nach Deutschland und den Zwiespalt zwischen den Traumata der elterlichen Vergangenheit und den persönlichen Bemühungen, Gefallen am "Land der Täter" zu gewinnen.
Rafael Seligmann, Sohn deutsch-jüdischer Eltern, die vor Hitler nach Palästina geflohen waren, geboren 1947 in Israel, aufgewachsen und verheiratet in Deutschland, ein Schriftsteller, der Zeit seines bisherigen Lebens über jüdische Themen schreibt und dabei von einer Normalität träumt, die es für seine Generation kaum geben dürfte. Dieser Zwiespalt eines jüdischen Lebens zwischen den Traumata der elterlichen Verfolgungserfahrungen und den persönlichen Bemühungen um ein Arrangement mit der nichtjüdischen Gesellschaft fasziniert seit Langem ein deutsches Nachkriegspublikum – weit mehr als Juden selbst.
Engagierte nichtjüdische Leser erhoffen sich – sicher auch von Seligmann – Antworten und Perspektiven. Wie mit dem eigenen Leiden an einem Deutschland nach Auschwitz umgehen? Wie dies mit der Sehnsucht verbinden, so ("normal") zu sein wie alle anderen? Wie der Erkenntnis gerecht werden, dass die braunen Mörderbanden (Juden wie Nichtjuden) ein Erbe hinterlassen haben, dem man sich nicht entziehen kann.
In gewisser Weise ist das der Inhalt von Seligmanns Autobiografie. Die Schilderung seines Ringens, als Jude in Deutschland ein neues Selbstverständnis zu entwickeln. Und das fesselt den Leser: der Einblick ins private Erleben. Die Familie Seligmann mit Sohn Rafael im Zentrum wird zum Beispiel für das Große und Ganze. Das lebt von der Offenheit des Autors, seiner Ehrlichkeit, die zugleich eine Selbstbefragung spiegelt: den Prozess einer Selbstfindung – bis zur Selbstkasteiung.
Das beginnt bereits mit dem Titel des Buches, "Deutschland wird dir gefallen". Ein Satz, zu Beginn weniger Verheißung als ein Offenbarungseid. Die Geschichte vom Scheitern des Vaters Ludwig, der trotz Schoa im fernen Tel-Aviv von Deutschland träumt und dem rauen Leben in Israel nicht gewachsen ist. So beginnt das Buch mit Seligmanns frühesten Erinnerungen als Kind in Israel an einen Vater, der auf allen Gebieten gescheitert war. Ein Vater, der gegen den heftigsten Widerstand der Ehefrau nur einen Ausweg sieht, die Rückkehr ins Land der Mörder (wie es die Mutter empfindet). Eine Entscheidung, die damals kaum jemand in der jüdischen Welt begreifen konnte.
"Deutschland wird dir gefallen", tröstet der Vater seinen Sohn, nicht ahnend, dass er zu Rafaels Lebensprogramm werden sollte. Die Biografie des nunmehr Mittsechzigers schildert mit vielen schmerzlichen, aber auch lustigen Details, wie schwierig es war und ist, Gefallen an Deutschland zu finden.
Die Stärke des Buches ist es, das große Ganze auf das kleine Persönliche herunterzubrechen. Beispiel, der drohende Sechstage-Krieg im Jahr 1967. "Bei den Juden Münchens", so schildert Seligmann seine Erfahrungen in dieser Gemeinde von Überlebenden, "herrschte Weltuntergangsstimmung." In der Synagoge wurde wie zu biblischen Zeiten Gott angefleht, Israel zu retten. Dann der Tag des Kriegsausbruchs. Raphael ist auf dem Weg in die Werkstatt eines Fernsehgeschäftes, wo er eine Lehre absolviert. Er ist voller Sorgen, ägyptische Truppen haben den Angriff eingeleitet. "Jetzt rotten sie endlich die Juden aus, bemerkte unser Geselle Rainer." Wie darauf reagieren? Ohnmacht, Unterlegenheit: Eine Situation, charakteristisch für jüdisches Leben in Deutschland?
Erinnerungssplitter wie diese lohnen das Lesen. Und der Leser folgt gern einem Autor, der beim Schreiben und Erzählen sich selbst und seine Mitmenschen "besser kennen lernen" will.
Schade nur, dass der Lektor manch politische Elaborate etwa über die Nahostpolitik nicht drastisch gekürzt hat. Das alles kennt man, hat man schon oft gelesen, ach je: Warum nur solch ein flacher Abgang.
Fazit: Buch lesen, die letzten 30, 40 Seiten vergessen.
Besprochen von Günther B. Ginzel
Rafael Seligmann: Deutschland wird dir gefallen. Autobiografie
Aufbau Verlag, Berlin 2010
460 Seiten, 24,95 Euro
Engagierte nichtjüdische Leser erhoffen sich – sicher auch von Seligmann – Antworten und Perspektiven. Wie mit dem eigenen Leiden an einem Deutschland nach Auschwitz umgehen? Wie dies mit der Sehnsucht verbinden, so ("normal") zu sein wie alle anderen? Wie der Erkenntnis gerecht werden, dass die braunen Mörderbanden (Juden wie Nichtjuden) ein Erbe hinterlassen haben, dem man sich nicht entziehen kann.
In gewisser Weise ist das der Inhalt von Seligmanns Autobiografie. Die Schilderung seines Ringens, als Jude in Deutschland ein neues Selbstverständnis zu entwickeln. Und das fesselt den Leser: der Einblick ins private Erleben. Die Familie Seligmann mit Sohn Rafael im Zentrum wird zum Beispiel für das Große und Ganze. Das lebt von der Offenheit des Autors, seiner Ehrlichkeit, die zugleich eine Selbstbefragung spiegelt: den Prozess einer Selbstfindung – bis zur Selbstkasteiung.
Das beginnt bereits mit dem Titel des Buches, "Deutschland wird dir gefallen". Ein Satz, zu Beginn weniger Verheißung als ein Offenbarungseid. Die Geschichte vom Scheitern des Vaters Ludwig, der trotz Schoa im fernen Tel-Aviv von Deutschland träumt und dem rauen Leben in Israel nicht gewachsen ist. So beginnt das Buch mit Seligmanns frühesten Erinnerungen als Kind in Israel an einen Vater, der auf allen Gebieten gescheitert war. Ein Vater, der gegen den heftigsten Widerstand der Ehefrau nur einen Ausweg sieht, die Rückkehr ins Land der Mörder (wie es die Mutter empfindet). Eine Entscheidung, die damals kaum jemand in der jüdischen Welt begreifen konnte.
"Deutschland wird dir gefallen", tröstet der Vater seinen Sohn, nicht ahnend, dass er zu Rafaels Lebensprogramm werden sollte. Die Biografie des nunmehr Mittsechzigers schildert mit vielen schmerzlichen, aber auch lustigen Details, wie schwierig es war und ist, Gefallen an Deutschland zu finden.
Die Stärke des Buches ist es, das große Ganze auf das kleine Persönliche herunterzubrechen. Beispiel, der drohende Sechstage-Krieg im Jahr 1967. "Bei den Juden Münchens", so schildert Seligmann seine Erfahrungen in dieser Gemeinde von Überlebenden, "herrschte Weltuntergangsstimmung." In der Synagoge wurde wie zu biblischen Zeiten Gott angefleht, Israel zu retten. Dann der Tag des Kriegsausbruchs. Raphael ist auf dem Weg in die Werkstatt eines Fernsehgeschäftes, wo er eine Lehre absolviert. Er ist voller Sorgen, ägyptische Truppen haben den Angriff eingeleitet. "Jetzt rotten sie endlich die Juden aus, bemerkte unser Geselle Rainer." Wie darauf reagieren? Ohnmacht, Unterlegenheit: Eine Situation, charakteristisch für jüdisches Leben in Deutschland?
Erinnerungssplitter wie diese lohnen das Lesen. Und der Leser folgt gern einem Autor, der beim Schreiben und Erzählen sich selbst und seine Mitmenschen "besser kennen lernen" will.
Schade nur, dass der Lektor manch politische Elaborate etwa über die Nahostpolitik nicht drastisch gekürzt hat. Das alles kennt man, hat man schon oft gelesen, ach je: Warum nur solch ein flacher Abgang.
Fazit: Buch lesen, die letzten 30, 40 Seiten vergessen.
Besprochen von Günther B. Ginzel
Rafael Seligmann: Deutschland wird dir gefallen. Autobiografie
Aufbau Verlag, Berlin 2010
460 Seiten, 24,95 Euro