Das Duell
Schalke gegen Borussia Dortmund - das ist in Deutschland das wohl populärste Derby. Dabei sind die Vereine nicht einmal Stadtrivalen. In Derbys treffen manchmal unterschiedliche Schichten aufeinander. Aber auch religiöse und politische Motive bestimmen Rivalitäten. Ein Überblick.
Reporter: "Die Rapidler führen mit 1:0. Und Tor, eben der Ausgleich für die Austria."
Fan: "Rapid gegen Austria. Ja klar. Das ist immer schon gewesen, das wird auch immer so sein. Die haben halt immer die Meisterschaft ausgemacht, die Austrianer und die Rapidler."
Reporter: "Spiel Benfica Lissabon gegen Sporting Lissabon."
Fan: "Ich komme aus Portugal. Mein Lieblingsderby, das ist Sporting Lissabon gegen Benfica."
Reporter: "Spiel AS Rom gegen Lazio Rom."
Fan: "Das beste Derby in Italien ist Lazio gegen Roma, die beste Atmosphäre."
Reporter: "Elfmeter auf Schalke, für Borussia Dortmund. Alex Frei läuft an - und Tor."
Fan: "Mein Lieblingsderby ist natürlich als Dortmund-Fan, Dortmund gegen Schalke."
Fan: "Rapid gegen Austria. Ja klar. Das ist immer schon gewesen, das wird auch immer so sein. Die haben halt immer die Meisterschaft ausgemacht, die Austrianer und die Rapidler."
Reporter: "Spiel Benfica Lissabon gegen Sporting Lissabon."
Fan: "Ich komme aus Portugal. Mein Lieblingsderby, das ist Sporting Lissabon gegen Benfica."
Reporter: "Spiel AS Rom gegen Lazio Rom."
Fan: "Das beste Derby in Italien ist Lazio gegen Roma, die beste Atmosphäre."
Reporter: "Elfmeter auf Schalke, für Borussia Dortmund. Alex Frei läuft an - und Tor."
Fan: "Mein Lieblingsderby ist natürlich als Dortmund-Fan, Dortmund gegen Schalke."
"Also Dortmund-Schalke, Schalke-Dortmund, das war ich. Als ich bewusst angefangen habe diese Spiele, Schalke-Dortmund und Dortmund-Schalke zu besuchen, das war so ungefähr Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre, da ging's auch schon hoch her. Die Rivalität muss auf jeden Fall sein. Das ist ja eine sportliche Auseinandersetzung. Hat also schon, in Anführungszeichen, etwas Kriegsähnliches. Ja, ich fand es ja zum Beispiel im Jahr 1997, als diese beiden Reviervereine innerhalb einer Woche Europapokalsieger geworden sind, etwas befremdlich, dass es so einige Tendenzen gab, sich weinend in den Armen zu liegen und dabei Ruhrpott zu rufen. Das lehne ich also komplett ab, so etwas brauchen wir gar nicht."
Die Bundesligastimme des Ruhrgebiets, Manfred, genannt Manni Breuckmann. Über 1000 Spiele hat er kommentiert, bis der bekennende Schalke-Sympathisant 2008 in den Radio-Ruhestand geht.
"Also so ein Derby-Tag war für mich immer ein großer Feiertag. Ich wusste auch schon vorher, dass das vielleicht gar nicht so aufregend wird auf dem Platz. Das die mal wieder 1:1 spielen. Ein sehr häufiges Ergebnis. Aber Schalke Dortmund und umgekehrt, das hatte einen großen Reiz."
Das populärste deutsche Derby: Schalke gegen Dortmund
Schalke gegen Borussia Dortmund. In Deutschland derzeit wohl das populärste Derby. Dabei sind die Vereine noch nicht einmal Stadtrivalen. Aber was macht das schon in einer Region, in der die Städte ineinanderfließen.
"BVB, für uns sind das die Zecken oder Meier Lüdenscheid. Dortmund ist immer, ich weiß nicht, ich mag sie nicht. Warum, kann ich ihnen nicht erklären. Die Dortmunder, die sind so verbissen. Da winken sie alle ab, komischerweise, ich weiß auch nicht warum."
Beim ältesten deutschen Fanclub in Gelsenkirchen. Zumindest was die Lebensjahre betrifft. Bei "Wohl-auf-blau-Weiß", ist das jüngste Mitglied 78, das älteste bald 96. Einig ist man sich vor allem in zwei Punkten: In der Liebe zu Schalke und in der Abneigung zu den Schwarz-Gelben. Die man, wie gerade gehört, lieber nicht als Borussia Dortmund, sondern gern ein wenig abfällig auch als "Doofmund" bezeichnet.
Doch auch so erfahrenen Fans wie Ursula Lorenz, 90 Jahre, passieren manchmal entscheidende Fehler.
"Ein Weihnachten hab ich meinem Enkel eine schwarz-gelbe Unterhose geschenkt, wunderschön eingepackt. Der packt die aus, schreit mich an: Oma, wie kannst du mir eine schwarz-gelbe Unterhose schenken. Da sag ich so dummerweise, ja warum denn? Ja das ist doch Dortmund, das sind doch unsere Erzfeinde. Und die Unterhose trage ich noch nicht einmal am Arsch, sagt er. Und da stand ich dumm da. Daher weiß ich, die Schalker und die Dortmunder, die hassen sich wer weiß wie."
Eigentlich sind die Duelle zwischen Schalke und dem BVB zunächst keine besonderen, nicht bedeutender als Partien gegen Essen oder Duisburg. Das ändert sich allmählich nach 1945.
"Es war aber immer nur eine rein sportliche Rivalität"
"Schalke 04 war immer die stärkere Mannschaft historisch, bis nach dem 2. Weltkrieg. 1947 hat der BVB zum ersten Mal bei einem bedeutenden Spiel um die Westfalenmeisterschaft glaube ich, 47, die Schalker geschlagen. Und das war so eine Art Zeitenwende. Es war aber immer nur eine rein sportliche Rivalität. Von Revierderby und einer besonderen aggressiven Stimmung war nie die Rede."
Hartmut Hering beschäftigt sich als Sozialwissenschaftler schon lange mit dem Phänomen der Derbys, speziell im Pott. 2002 gibt er ein Buch dazu heraus: "Das Land der tausend Derbys. Die Fußball-Geschichte des Ruhrgebiets":
"Der Derbycharakter kommt dadurch zustande, dass da emotionaler Zunder drin ist. Ja, und der kommt eben daher, dass die Zuschauer ein Rivalitätsverhältnis sehen zu den anderen. Wir sind natürlich die Guten und die anderen sind die Bösen oder die Schlechten. Und so ist das auch im Ruhrgebiet, das ist ja dann leicht abzuleiten. Das waren früher die Zechenclubs untereinander, die eine Zeche gegen die andere Zeche. Der eine Stadtteil gegen den anderen Stadtteil, die Polacken gegen die Deutschen, um mal diese Schimpfbegriffe von früher zu verwenden. Da wurden dann Rivalitäten ausgetragen, und da entwickelten sich langsam solche Zuschreibungen auch. Erst der Spieler selber, denn Zuschauer gab's am Anfang ja gar nicht viele und dann später der Zuschauer. Das wir gegen die spielen."
"Viereinhalb Minuten noch zu spielen, im Kohlenpottderby zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund. Stammspieler auf Anhieb, Steffen Freund aus Ostdeutschland. Nicht mehr wegzudenken aus den Reihen des FC Schalke 04."
August 1991. Der Mittelfeldspieler Steffen Freund erlebt sein erstes Revierderby. Gerade ist der 21-Jährige aus der Stahlarbeiterstadt Brandenburg in die ehemalige Zechenstadt Gelsenkirchen gewechselt. Statt für Stahl Brandenburg in der 2., kickt Steffen Freund jetzt für Schalke in der 1. Bundesliga. Von der Rivalität zu Borussia Dortmund hat man ihm zumindest erzählt:
"Ich habe schon gewusst, dass das unser Erzfeind ist. Das sind die großen Derbys gewesen. Mein erstes, kann ich mich genau erinnern, mit Schalke. Ottmar Hitzfeld mit den Dortmundern kam. Und wir haben 5:2 gewonnen. Und danach sind alle Dämme gebrochen. 70.000 im Parkstadion standen so ungefähr auf dem Platz und haben mit uns zusammen gefeiert. Da habe ich schon gemerkt, oh, das ist ein besonderes Spiel für die Fans. Und diese Derbys dann zu erleben, weitere bei Schalke und dann fünfeinhalb Jahre auch mit Dortmund, das war für mich immer etwas Besonderes."
Von Schalke zum BVB verkauft
Wie schwierig das Verhältnis zwischen Schalke und Dortmund ist, erlebt Steffen Freund zwei Jahre später aus ganz anderer Perspektive. Schalke braucht mal wieder dringend Geld und verkauft ihn 1993 zum BVB.
"Die Konsequenz des Wechsels, dessen war ich mir nicht bewusst. Und die Konsequenzen waren natürlich auch bei einigen Leuten sehr bitter: Autogrammkarten verbrannt, große Todesanzeigen bei meinem ersten Spiel mit Dortmund im Stadion. Für uns ist der Mensch Steffen Freund gestorben mit dem Wechsel. Also, so war das gemeint gewesen von den Fans. Und wissen sie was, ich kann das sogar verstehen. Weil die Schalker oder auch die Dortmunder, ihren Verein extrem lieben und extrem reagieren auf diesen Wechsel. "
Die ständigen Vereinswechsel, Spieler, die aus der ganzen Welt kommen, das verändert natürlich auch das Derby. Für den Buchautor und Sozialwissenschaftler Hartmut Hering haben die Zuschauer und Spieler die Rollen getauscht.
"Ich glaube, die Spieler spielen, was das Derby angeht, buchstäblich keine besondere Rolle. Also, die sind nicht diejenigen, die den Derbycharakter definieren, das sind eher die Zuschauer, das sind die Anhänger. Das war früher anders. Also, sagen wir in den 10er, 20er-Jahren. Als man noch Fußball gespielt hat ohne viele Zuschauer hat man diesen Derbycharakter als Spieler, glaube ich, ausgetragen. Ja, weil man selber mit der Region verwurzelt war. Man kam aus Schalke, als Stadtteil, die anderen kamen aus Horst, von der anderen Zeche. Und es war der eigene Konflikt. Es war die eigene Identität. Es war die Identität der Spieler, die auf dem Spiel stand. Das hat sich aber spätestens in den 50er-Jahren aufgelöst, diese Bindung, diese räumliche Bindung der Spieler an den Verein. Und damit auch die emotionale Bindung an den Verein."
Heute, helfen die Vereine daher ein wenig nach.
"Diese Derbys, sind eigentlich schon auf den Vertragsgesprächen teil der Gesamtsituation. Wenn es dann nicht der Fall ist, dann wird man das schnell erleben, wenn der erste Trainingstag ist und man kriegt dann die Liste der Saisonspiele. Dann ist dieses Spiel schon rot angekreuzt. Also, das wird man ganz schnell aufnehmen, selbst wenn man sagt, für mich ist das eigentlich egal, gibt es ja auch den Spielertyp. Dass man eben sagt, ok das ist ein Spiel wie jedes andere. Ist es aber am Ende nicht. Und der Spieler kriegt es dann eigentlich genau zu spüren, wenn der Tag kommt."
Eine Ablenkung vom Alltag
Auch wenn Steffen Freund nicht aus dem Ruhrgebiet stammt, die Fans akzeptieren ihn schnell. Der Europameister von 1996 ist überzeugt, seine Herkunft hat ihm dabei geholfen. In seiner Heimatstadt Brandenburg arbeiten zu DDR-Zeiten über 10.000 Menschen in der Stahlindustrie. Nach der Wende werde die meisten entlassen. Was die Leute in Gelsenkirchen und Dortmund beschäftigt, das kann er also nachempfinden. Er weiß, die Derbys sind auch immer eine Ablenkung vom Alltag und wahre Festtage.
"Alle Leute die für den Verein gearbeitet haben, alle Leute, Eltern Bekannte, der Bäcker. Wo du auch jeden Morgen warst, war völlig unter Strom. Und somit hast du eigentlich schon Wochen vor dem Spiel, pass auf in drei Wochen, da gibt's nur eins. Da waren, glaube ich, die Zuschauer, alle waren eher da. Die haben gesungen bis aufs Blut. Und die Leute singen deinen Namen, du wirst verrückt vor Freude."
Dass die Zuschauer Teil der Schalker und Dortmunder Derbylegende sind, beweist auch diese Geschichte. September 1969: Schauplatz ist das alte Dortmunder Stadion "Rote Erde".
"Eine Stunde vor Spielbeginn war das Stadion "Rote Erde" mit 40.000 Zuschauern restlos ausverkauft und die Ordner hatten große Mühe, Torauslinie und Seitenlinien von den Besuchern freizuhalten."
Bei diesem Spiel entsteht eines der bekanntesten Bilder der Bundesliga-Geschichte. Darauf verewigt: Schalke-Spieler Friedel Rausch und Rex der Rüde. Gerade haben die Gelsenkirchener das 1:0 geschossen, da stürmen jubelnd die königsblauen Anhänger den Rasen. Mit ihren Hunden versuchen die Ordner das Spielfeld zu räumen. Leider unterscheiden die Vierbeiner nicht zwischen Fans und Aktiven. Und so beißt der Schäferhund Rex Friedel Rausch in seinen Allerwertesten.
Die Geschichte findet eine Fortsetzung in der "Glückauf-Kampfbahn" in Gelsenkirchen. Den Hundebiss hat man bis dahin nicht vergessen. Im Stadion sitzt damals als Fan, noch nicht als Radio-Reporter, Manni Breuckmann.
"Ich war ja auch Augenzeuge als Friedel Rausch gebissen wurde. Und fand es eine so tolle Aktion, dass beim Rückspiel aus dem Löwenpark Westerholt so kleine Löwen in fahrbaren Käfigen rund um den Platz gezogen wurden. Die Leute sangen: Rudi lass die Löwen los. Das war nämlich der Trainer Rudi Gutendorf, der damals Schalke 04 trainierte. Ist aber auch ein Beweis dafür, dass man es doch mit einer gewissen Art von Humor damals genommen hat."
Bürgerliche Oberschicht gegen proletarische Unterschicht
Auch wenn das erste Spiel zwischen Schalke und Dortmund bereits 1925 ausgetragen wird, an die Tradition der englischen Derbys reicht das Ruhrgebietsduell nicht heran. 1866 soll es gewesen sein, als zum ersten Mal die Vereine aus Nottingham Forest und Notts County, gegeneinander antreten. Kern ihrer Rivalität: Hier spielt die bürgerliche Oberschicht aus Nottingham, gegen die proletarische Unterschicht der Stadt. Die Begegnung gilt heute als "die Mutter aller Derbys".
Legendär ist vor allem auch ein schottisches Duell. Wenn man in Glasgow über Derbys spricht, dann ist eigentlich nur vom "Old Firm" (alte Firma) die Rede. So wird das Duell zwischen den Glasgow Rangers und Celtic Glasgow genannt. Kein Derby wurde in Europa häufiger ausgetragen. Die Abneigung der beiden Vereine ist vor allem konfessionell zu erklären. Die Rangers gelten als Verein der Protestanten, Celtic ist über Jahrzehnte vor allem der Club der Katholiken.
"Einige hundert begeisterte Jugendliche, sie sind harmlos, aber sie sind fußballbegeistert. Sie sind also jetzt auf das Spielfeld gestürmt, haben hinter dem Rapid-Tor Aufstellung genommen. Und die Polizei hat alle Hände voll zu tun um die Jugendlichen wieder hinaus zu bringen."
Neben sozialen und religiösen, bestimmen auch politische Motive die Rivalität bei Derbys. Etwa beim Duell Rapid Wien gegen Austria Wien. Das Bürgertum, darunter viele Juden, zieht es besonders in der 1930er-Jahren zur Austria.
Selbst wenn heute die ideologischen Grenzen verschwimmen, bei Rapid bezeichnet man sich noch immer gern als Arbeiterverein.
Die Liste von berühmten Derbys ist lang. Man würde wohl scheitern, sie alle aufzuzählen.
Die Liste von berühmten Derbys ist lang. Man würde wohl scheitern, sie alle aufzuzählen.
Umfrage: Welche Derbys sind bekannt?
"Als erstes, fällt mir natürlich das sagenumwobene Derby HSV gegen St. Pauli ein. Lazio und AS Rom. Ja, vielleicht Bayern gegen 1860 München, auch so ein Klassiker. Natürlich Bremen gegen Hamburg. Chelsea gegen Arsenal. Nürnberg-Fürth. Atletico Madrid gegen Real Madrid."
"Ein Derby ist eigentlich nur, wenn sie auf Augenhöhe sind"
Lokalderby, Nord- oder Ost-Derby, der Begriff wird heute fast inflationär gebraucht. Nur die lokale Nähe von Vereinen reicht nicht. Sozialwissenschaftler Hartmut Hering.
"Also ein Derby zum Beispiel zwischen Schalke 04 und dem SC Schaffrath hier in Gelsenkirchen ist kein Derby. Da spielen zwei Gelsenkirchener Mannschaften, da kommt aber keine Freude und keine Spannung auf. Weil natürlich kein Zunder drin ist. Weil es sportlich uninteressant ist, für beide Seiten. Ein Derby ist eigentlich nur, wenn sie auf Augenhöhe sind. Wenn sie in der Nachbarschaft sind und wenn es um etwas geht. Und das, worum es geht, ist nicht unbedingt der sportliche Erfolg. Sondern das, worum es geht ist, wer die Besseren sind. Ja, das hat also mit Identität zu tun. Und zwar nicht der Mannschaften, sondern derer, die zugucken."
Nicht jedes Spiel gegen einen Club aus der Nachbarschaft muss also zwangsläufig ein brisantes Duell sein. Diese Erfahrung hat auch Steffen Freund in der englischen Premiere League gemacht. 1998 wechselt er von Borussia Dortmund nach London zu den Tottenham Hotspurs.
"So, in London gibt's nicht nur ein Derby. Wir haben ja Derbys ohne Ende. Und dann würde ich sagen, muss man das auch auf besondere Derbys sogar heben. In Nord-London ist das dann eben, weil es in Nord-London ist, eben Tottenham- Arsenal. Und nicht Tottenham Chelsea. Man muss das auch relativieren. Das sind so viele Spiele, meistens sind immer so circa sechs Londoner Vereine in der Premiere League. Dann wird das natürlich schon etwas anders."
Platzwechsel: Vom Fußball zum Handball.
"Für uns gibt es nur ein Derby, und das ist das gegen die aus der verbotenen Stadt. An der falschen Förde wohnen die halt. Die wohnen auch in Schleswig Holstein, aber es ist halt die falsche Förde. Ja, Hasselröder-Turnverein oder wie die heißen, ich weiß nicht genau."
Hinter dem "Hasselröder-Turnverein", wie Handball-Fan Ingo Thomsen ihn mit einem Augenzwinkern bezeichnet, steckt der THW Kiel. Kiel gegen die SG Flensburg-Handewitt, es ist DAS Handball-Derby in Deutschland. Besonders für die Anhänger in Schleswig Holstein.
"Schalke gegen Dortmund ist genauso wie Flensburg gegen Kiel, das sind auch so Erzrivalen."
Beide Vereine stammen aus Schleswig Holstein, sind sportlich überaus erfolgreich. Das macht einen großen Teil ihrer Rivalität aus. Kiel ist das Bayern München der Handball-Bundesliga. Rekordmeister, drei Mal die Champions-League gewonnen, die meisten Zuschauer.
Flensburg steht ein wenig im Schatten der "Zebras" aus Kiel. Nach der Meisterschaft 2004 ist der Champions-League Titel im letzten Jahr der bislang größte Erfolg der Vereinsgeschichte.
"Die Flensburger die feiern vor ihrem Block, eine Riesenjubelmeute. Totales Chaos, Anarchie."
Für Ingo Thomsen und seinen Fanclub "Die Wikinger" das größte Glück. Hat doch sein Team im Finale in Köln den Konkurrenten aus der Landeshauptstadt bezwungen.
"Wenn ich dann so an den 1. Juni 2014 denke, war das schon ein ziemlich geiles Ereignis, irgendwie. Das man im Halbfinale noch gewonnen hat und dann, naja, diesen komischen Pokal in Köln mitnimmt, das war, das war schon das Größte. Und die aus der verbotenen Stadt, klar haben die gedacht, dass die uns da mit zehn Toren abschießen, wie immer. Aber es war nicht so. Und einmal Flensburg, immer Flensburg."
Wenn Flensburg und Kiel in der Liga aufeinandertreffen, elektrisiert das nicht nur die Fans sondern alarmiert auch die Polizei. Friede, Freude, Eierkuchen, so Ingo Thomsen, herrscht zwischen den beiden Fanlagern ganz sicher nicht. Auseinandersetzungen gibt es auch im Handball, erst recht seitdem es in Flensburg und Kiel sogenannte Ultras unter den Anhängern gibt. Aber schwere Ausschreitungen und Verletzte, wie etwa beim Revierderby 2012, solche Szenarien sind für den Fanclub-Vorsitzenden Ingo Thomsen im Handball unvorstellbar.
Selbst Tote hat es schon gegeben
Derbys und Gewalt, im Fußball gehört das leider zusammen. Selbst Tote hat es schon gegeben. Etwa beim argentinischen Derby zwischen den Boca Juniors und River Plate aus Buenos Aires oder in Italien beim römischen Stadt-Duell. Aber es geht auch anders. Gewalt beim Derby ist kein Naturgesetz.
"Wir freuen uns alle auf die zwei geilsten Spiele der ganzen Saison, das Revierderby. Und wir hoffen, dass die richtige Mannschaft gewinnt. Ich verzichte ganz bewusst auf das Wort bessere. Uns verbindet auch die Sehnsucht, dass das auch so ein friedliches Drumherum wird. Dass das Spiel auf dem Platz entschieden wird. "
Pfarrer Michael Dettmann beim fünften Derby-Gottesdienst im Stadtteil Gelsenkirchen-Horst.
Hier treffen sich vor dem letzten Revier-Duell im Februar Schalker und Dortmunder Anhänger. Sie kommen von zwei christlichen Fanclubs. Die einen nennen sich "Mit Gott auf Schalke", die anderen "Totale Offensive BVB". Ihr gemeinsames Motto: Respekt und Toleranz, gegen Gewalt und Randale. In diesen 90 Minuten Gottesdienst passiert für viele Anhänger Undenkbares. Schwarz-gelbe und königsblaue Fans feiern gemeinsam ihre Clubs in einer Kirche.
"Also ich bin Dortmund-Fan, stehe seit 20 Jahren auf der Südtribüne und einem Block, wo, wenn diese Hassgesänge kommen, wir uns alle angucken und meinen, was soll das? Wir wollen ja hier den Gottesdienst nicht machen, damit die Rivalität weniger wird. Das darf kein Spiel sein wie jedes andere. Das ist ein Derby, und das gehört dazu. Aber alles Drumherum, das lehnen wir natürlich ab. Also, ich stoß bisher nicht auf Unverständnis. Ich stoß eigentlich nur auf Verständnis. Sowohl bei, ja, Freunden und Bekannten, mit denen ich den Glauben teil, als auch mit nichtgläubigen Menschen. Die dann das ganze vielleicht mal unter einem ganz anderen Aspekt betrachten und die sagen, cool."
Ein gemeinsames Treffen von eigentlich verfeindeten Fangruppen ist eine simple und gleichzeitig geniale Idee. Denn immer mehr Polizisten sind beim Revierderby im Einsatz. Eine vierstellige Zahl an Sicherheitskräften soll es sein. Genaue Angaben macht die Polizei darüber nicht. Sozialwissenschaftler Hartmut Hering ist überrascht, dass alte Feindbilder bis heute konserviert werden, sich sogar verstärken.
"Früher wohnte jeder in seinem Stadtteil, aber wer von den Gelsenkirchenern oder von denen, die aus Horst kommen, ist denn schon mal nach Essen, Oberhausen oder Dortmund gefahren? Das gab's kaum. Während heutzutage für junge Leute es ganz normal ist, die wohnen in Gelsenkirchen, arbeiten in Dortmund. Und da ist es auf der anderen Seite ja erstaunlich, dass man dann so lokale oder regionale Rivalitäten aufbaut. Dass es gerade wieder interessant ist, zu sehen, dass die Menschen zwar den ganzen Raum besetzen, aber doch kleinräumiger denken und fühlen. Und dann einen kleinen Raum haben, auf den sie sich emotional zurückziehen können und dann sagen, das sind wir. Fußballtechnisch sind wir die Guten."
Die Rolle der Medien
Nicht ganz unschuldig an der sich zuspitzenden Rivalität, so Hartmut Hering, seien wir, die Journalisten. Er hat für sein Buch über die Derbys im Ruhrgebiet auch die Rolle der Medien untersucht.
"Den Begriff Revierderby gibt es eigentlich in dieser emotionalen Besetzung seit den 1980er-Jahren. Der kommt nicht aus 1950. Ja, was heute immer gesagt wird, das ewige Revierderby, das ist alles Marketing. Das ist eine Zuschreibung der Medien. Vorher taucht das in den Zeitungen auch gar nicht auf. Revierderby, besonderes Feuer, Fan-Clubs, die darauf warten nur aufeinanderzuprallen, das gab es vorher nicht. Vorher war es eine ganz normale sportliche Rivalität."
Das nächste Derby kommt bestimmt. Dann wird rund um die Dortmunder Arena erneut der Ausnahmezustand herrschen. Dann steht das nächste Revierderby, Ruhrpott-Duell oder wie auch immer man das Spiel zwischen Schalke 04 und dem BVB bezeichnen möchte, an.
80.000 werden im Stadion sein, der Senioren-Fanclub "Wohl-Auf Blau & Weiß" vor dem Fernseher seinen Schalkern die Daumen drücken. Und vielleicht denkt Erwin Ernst dabei an sein erstes Spiel gegen Dortmund zurück, 1946 in der überfüllten "Glückauf-Kampfbahn".
"Da sind wir auf den Baum geklettert und der Ast ist abgebrochen, bin ich in die Zuschauer reingefallen. Das war schon was. Und den Schuh habe ich nicht mehr wiedergefunden. Und nachher bin ich da so hergehumpelt. Dann hat ein Polizist ein Auto angehalten, und die haben mich nach Hause gebracht. Und zu Hause hat es eine Abreibung gegeben."