Der Gegensatz zum Gedenken an die Krieger
Ein neues Denkmal rückt in Hamburg dem alten Kriegerdenkmal vor dem Dammtor zu Leibe. Dass den Deserteuren ein Monument gesetzt wird, wäre früher undenkbar gewesen. Heute wird dieses Tabu immer öfter gebrochen.
Mit geradem Blick marschieren die jungen Männer. Wehrmachtshelme, geschulterte Gewehre, blanke Stiefel, Stechschritt. Wie aufgezogen schiebt sich der Block durch die Straße, auf den Gehwegen steht das begeisterte Publikum Spalier. Die Häuser beflaggt mit Hakenkreuzfahnen.
"Paraden sind prächtig anzusehen! Zur aufreizenden Musik schlagen die blankgeputzten Stiefel den Asphalt. Die Augen blitzen. Im gleichen Schritt geht es voran!" (O-Ton Filmausschnitt Wochenschau)
Ein monumentaler "Kriegsklotz" aus der NS-Zeit
Die Bilder, die Begeisterung, scheinen wie aus der Zeit gefallen. Und genauso thront auch das Ehrenmal für das "Infanterieregiment 76" vor dem Hamburger Dammtor-Bahnhof. 1936 eingeweiht, vier Meter hoch, neun Meter lang, 4,30 Meter breit, gestaltet vom Bildhauer Richard Kuöhl.
"Also schon ein monumentales Denkmal. Und es war seinerzeit, als es 1936, im März 1936, eröffnet wurde, eingeweiht wurde, mit einem Ehrenhof umgeben, der gepflastert war: als Aufmarschstätte für, wie es damals auch offiziell hieß: Heldengedenken."
Dr. Detlef Garbe, der Direktor der Gedenkstätte Neuengamme, steht vor einer alten Platane neben dem Denkmal. Genau dort, wo es im März 1936 feierlich enthüllt wurde:
"Und diese 'Großtaten der Vergangenheit', an die erinnert wird, sind vor allem die siegreichen Schlachten im Krieg 1870/71, die das Infanterieregiment geführt hat. Und man wollte sozusagen diese Siege wiederholen, um die Schmach der Niederlage im Ersten Weltkrieg ausgleichen zu können."
80 Soldaten marschieren in Reih und Glied als Relief um die vier Seiten des Denkmals. Und zwar, erklärt der Historiker, mit Marschgepäck, auf dem Weg zu neuen Heldentaten.
Bis in die 70er Jahre wurde dieser Ort, dieses Sinnbild für deutsches, einst so revanchistisch aufgeladenes Kriegerheldentum, auch von der Bundeswehr für Aufmärsche und Gedenktage genutzt. Dann, 1986, setzte der österreichische Künstler Alfred Hrdlicka den ersten Kontrapunkt dazu. Rechts der Platane wurde das "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus" eingeweiht: schreiende, verbrennende, zusammengesunkene Figuren, Opfer der Hamburger Bombennächte. Ertrinkende Gefangene aus dem KZ Neuengamme vor den Toren Hamburgs.
Mehr als 300 Todesurteile der Wehrmachtsjustiz
Ende November soll zwischen dem Mahnmal Hrdlickas und dem sogenannten Kriegsklotz aus der NS-Zeit ein drittes Denkmal platziert sein: das Denkmal für die Deserteure und Opfer der Wehrmachtsjustiz. Mehr als 300 Männer und Frauen wurden von den Hamburger Wehrmachtsgerichten zum Tode verurteilt. Sie wurden erschossen, starben unter der Guillotine oder an Krankheiten in Gefangenenlagern.
Entworfen hat das Denkmal der Hamburger Künstler Volker Lang:
"Meine Arbeit besteht aus einem skulpturalen Baukörper, der auf dem Grundriss eines Dreiecks errichtet ist. Und dieser Baukörper hat – entsprechend des Dreiecks – drei Wände, von denen eine dem Winkel des Dreiecks folgend gefaltet ist. Diese gefaltete Wand ist geschlossen und ist aus Beton gearbeitet, aus Beton gegossen."
Volker Lang steht am Arbeitstisch in seinem Atelier am Hamburger Stadtrand. Liest einen der Texte, die in Bronze gegossen wurden. Die Buchstaben werden – die Bauarbeiten am Denkmal sind fast abgeschlossen - zwei der Wände des Denkmals bilden. Texte, die die Brutalität damaligen Denkens dokumentieren:
"Hier heißt es zum Beispiel: 'Man muss diese gemeinsten Kreaturen, die jemals den Soldatenrock der Geschichte getragen haben, dieses Gesindel, das sich aus der einstigen Zeit herübergerettet hat, abstoßen und austreiben.' Dieser Satz ist von einem, ich nehme mal an, ranghöheren Nazi gesprochen. Wahrscheinlich im Radio oder bei einer Rede. Die dann per Funk übertragen wurde."
Überliefert hat den Satz der Schriftsteller Helmut Heißenbüttel. Er kämpfte als Soldat im Zweiten Weltkrieg. Wurde verwundet und erlebte das Jahr 1944 fernab der Front. Heißenbüttel notierte Textfragmente der Zeit, konservierte die blechern-scheppernden Stimmen aus dem Radio, dem Volksempfänger, aus öffentlichen Reden oder Zeitungen. Das neue Denkmal steht nicht mittig zwischen den schon existierenden. Es steht dicht neben dem Kriegsklotz, rückt ihm zu Leibe.
Ergebnis einer langen jahrzehntelangen Debatte
Nicht alle werden begeistert sein vom neuen Denkmal, fürchtet Lang. Aber es könnte die Wunden heilen, die die jahrzehntelangen Debatten um die schon existierenden Mahnmale, die Antipoden am Dammtor-Bahnhof hinterlassen haben. Und die einst als Verräter gebrandmarkten Deserteure ehren. Eine 180-Grad-Wende, für die viel Zeit vergehen musste:
"Es hat schon etwas Heilendes. Es gibt ja auch wieder das Bewusstsein einer Zivilgesellschaft, dass man in der Lage ist, diesem Thema sich öffentlich zu stellen, in der Öffentlichkeit zu stellen. Und es gibt bestimmt eine Menge Widersacher oder Aggressionen darauf. Aber allein, dass man in der Lage ist, einen Senatsbeschluss zu fassen – einstimmig! – der so etwas genehmigt, das ist schon eine Entwicklung."
Bei der Eröffnung des Denkmals wird auch der 92-jährige Ludwig Baumann dabei sein. Von ihm ging vor einigen Jahren die Initiative für das Hamburger Denkmal für die Deserteure aus. Eingeweiht wird es 73 Jahre, nachdem Ludwig Baumann aus der Wehrmacht desertierte.