Design

Bikinifrauen und ondulierte Pudel

Zwei Außerirdische aus der Comic-Fernsehserie "Die Simpsons" an Mauersegmenten in Berlin
Zwei Außerirdische aus der Comic-Fernsehserie "Die Simpsons" an Mauersegmenten in Berlin © picture alliance / Hans Joachim Rech
Von Laf Überland |
Character-Designer entwerfen Figuren für Comic, Film, Kunst und Werbung. Die Vielfalt ihrer Arbeit ist auf dem Pictoplasma-Festival in Berlin zu bestaunen – in Ausstellungen, Performances und bei Filmvorführungen. Der Besuch ist ein skurriler Erlebnisparcours.
"Illustration war für mich immer ein Begriff, da dachte ich immer an Frauenzeitschriften, die ich als Kind bei meiner Mutter gelesen habe – mit geschwungenen Linien und so. Und plötzlich kam halt was, das aussah wie eine Steckdose und trotzdem total emotional wirkt."
Der Kulturwissenschaftler Lars Denicke ist der künstlerische Partner des Animationsfachmanns Peter Thaler, der 1999 anfing, diese neuen, völlig reduziert gestylten Figuren zusammenzutragen, wie sie in diesem neuen Internet plötzlich auftauchten: freundlich grinsende Pixelmännchen, die dem Anfänger die Angst vorm unbekannten Netz nehmen sollten. Thaler und Denicke gaben dann Bücher und DVDs mit diesen seltsamen Figuren heraus, trugen Ausstellungen in die ganze Welt – und fingen vor zehn Jahren dann an, ein Festival zu veranstalten, zu dem prompt Character-Designer aus der ganzen Welt anreisten, weil Pictoplasma, so hieß das Festival, das einzige Forum war – und bis heute das wichtigste ist –, wo solche Künstler sich treffen konnten, die durch Weglasseneine neue Ästhetik entwickelten.
Denicke: "Es ist eine Ästhetik, die – sobald man sich auf sie einlässt – Leute sehr, sehr schnell dann mitnimmt und fesselt."
Zum zehnten Geburtstag haben die beiden Macher Thaler und Denicke Hundert Selbstporträts in Auftrag gegeben von den Wesen, die die Pictoplasma und das Character-Design am stärksten beeinflusst haben. Und als ein Gang durch die Geschichte der figürlichen Gestaltung in dieser Zeit ist die Portrait Gallery im Kaufhaus Jandorf zu durchstreifen – eine Ahnengalerie voller höchst seltsamer Artefakte. Und nichts wird dem Besucher erklärt.
Denicke: "Punkt, Punkt, Komma, Strich."
Drollige Geschöpfe und sadistische
Im Babylon-Kino werden abends experimentelle und völlig unterschiedlich animierte Kurzfilme gezeigt – zwischen Kryptozoo, Psychedelic und empathischer Akkuratesse der Macher. Tagsüber tauscht sich in diesem Kino hinter verschlossenen Türen ein 700-köpfiges hochinformiertes Fachpublikum über die Arbeit aus. Währenddessen können interessierte Besucher auf dem sogenannten Characterwalk 15 Einzelausstellungen ansehen – ein paar nördlich des Hackeschen Marktes in Berlin Mitte, ein paar in Neukölln, aber alle jeweils gut zu Fuß abzuflanieren. Und das ist tatsächlich ein Erlebnisparcours:
Karg bestrichelte oder vor Farben überlaufende Blätter hängen da in kleinen Galerien an den Wänden – und Collagen, die nach Schere, Computer oder Laubsäge aussehen. Phantastische Figuren stehen oder laufen herum, drollige Geschöpfe zumeist, aber auch sadistische oder ganz und gar abstrakte.
Blockbuster trifft auf Underground
Bei Pictoplasma trifft der Blockbusterdesigner (wie Peter de Sève, der sämtliche Figuren der "Ice Age"-Filme entworfen hat) auf den Undergroundzeichner, wie den Japaner Kimiaki Yaegashi alias Okimi. Der packt in seine Bilder alles rein, was ihn an der Pop-durchdrungenen japanischen Kultur interessiert. Octagonnennt er seine Ausstellung, weil er Achtecke mag, aber seine nüchternen Zeichnungen bevölkern gelangweilt-sexy Bikinifrauen, kleine Schweinchen und ondulierte Pudel, Helden und Kobolde, Michael Jackson, eine bunte Katze – und immer dabei: Pizza!
Das Kugelmännchen des Engländers James Jarvis dagegen – völlig reduziert als Kugel mit Augen, Mund und Beinen – erfährt in einzelnen Cartoons auf witzige und doppelbödige Weise kleine Wahrheiten über das Wesen der Dinge: zwischen Zen und den Weltdeutungs-Dialogen von Charlie Brown bei den Peanuts – nur cooler im knappen Gesichtsausdruck.
Dagegen gehen einem die Augen über bei den Wimmelbildern des Witz-sprühenden Belgiers Brecht Vandenbroucke, der auch für die New York Times zeichnet und T-Shirts für große Modemarken gestaltet. Das moderne Leben in all seinen Facetten bemalter in kinderbuchhaften, aber bösartig klarsichtigen Darstellungen; macht sich lustig über all die Absurditäten zwischen Popkultur und Arbeitswelt, Banken und Diktaturen, Disney und Apple, Wurstfabrik und Einkaufszone. Allein in seine surrealistisch-absurden Situationen kann man stundenlang eintauchen.
Geradezu erschütternde Vielfalt
Zwischen Kitsch und Abstraktion, zwischen bildender Kunst und Trash, erschüttert einen geradezu die Vielfalt der Stile, die sich da mischen – und der Kulturen, deren Symbole von deutschen Betrachtern erst enträtselt werden wollen. Einige Figuren erzählen Geschichten, andere sind einfach nur da und harren zurecht der Entschlüsselung:
Denicke: "Weil alle Leute nur noch Fotos vom Essen und von ihren Katzen und von allem Quatsch machen und das permanent ausgetauscht wird. Und das ist ja wahnsinnig ermüdend, dieser Realitätsterrorismus von den fotografischen Endgeräten, die jetzt jeder in der Hand hat und eben verteilt. Und dass die da eigentlich ein bisschen gegenstehen und uns versuchen wollen, immer wieder zu sagen: Ein Bild ist immer was anderes. Ein Bild ist nie die Realität, ein Bild ist nie ein Abbild, ein Bild ist immer von woanders. Und deshalb hat eben das Bild so eine große Tradition von Ritualität, Göttern, Visualisierung des Magische und so. Das ist ja untrennbar miteinander verbunden in der Geschichte."
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