Design muss in Unternehmen "das zentrale Thema sein"
Der Erfolg des PC-Herstellers Apple wird häufig dem ausgefeilten Design der Geräte zugeschrieben. Der Designhistoriker Klaus Klemp von der Hochschule Rhein-Main findet, andere Unternehmen könnten daraus lernen: Derzeit werde das Produktdesign viel zu häufig dem Marketing untergeordnet.
Dieter Kassel: Simplicity is the ultimate Sophistication – zu Deutsch in etwa: Einfachheit ist die höchste Form der Raffinesse. Dieser Satz stammt von Steve Jobs, und der Satz ist schon ziemlich alt: In den 80er-Jahren stand das im ersten Apple-Verkaufsprospekt. Und auch wenn die Meinungen darüber, ob Apple-Produkte technisch wirklich immer überzeugen und ihr Geld wert sind, weit auseinandergehen, ein ganz eigenes, stets wiedererkennbares Design haben die Geräte – das geben auch Apple-Kritiker zu. Und über dieses Design wollen wir jetzt mit Klaus Klemp reden, er ist Ausstellungsleiter des Museums für Angewandte Kunst in Frankfurt am Main und Professor für Designgeschichte an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden. Und in Frankfurt ist er jetzt für uns im Studio, schönen guten Morgen, Professor Klemp!
Klaus Klemp: Schönen guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Was würden Sie denn sagen: Wie viel Prozent des Apple-Erfolgs beruhen auf Technik und wie viel auf Design?
Klemp: Das ist so einfach nicht zu sagen, vor allen Dingen, wenn man Technik und Design trennt. Ich glaube, wir müssen uns über den Designbegriff neu klar werden. Das Wort Design ist gerade in Deutschland – lassen Sie es mich etwas rigide sagen – ruiniert. Wenn ich in der Zeitung lese, Designer-Laptop beim Discounter, dann ist Design in Deutschland eigentlich nur noch ein Marketing-Begriff, der dazu benutzt wird, um Dinge teurer zu machen, als sie eigentlich sind. Design, auf Deutsch Gestaltung, ist aber etwas ganz anderes: Es ist nämlich, das Produkt von Anfang an zu durchdenken, zu erdenken. Und da kann man nicht zwischen Design und Technik bei technischen Geräten trennen, sondern da ist es ganz wichtig, dass die Gestalter und die Techniker sehr eng zusammenarbeiten.
Kassel: Das heißt doch, das, was Steve Jobs tatsächlich gemacht hat – man erfährt das auch in diesem Buch, das heute erscheint –, nämlich nicht zu sagen, wir haben hier eine Technik, und jetzt suchen wir eine schöne Verpackung dafür, sondern von Anfang an zu sagen, wir wollen mit Designern, mit Technikern, auch mit Marketingexperten zusammen das richtige Produkt entwickeln. Das ist für Sie auch die richtige Vorstellung von Design?
Klemp: Das ist es ganz sicher. Wir haben ja im Moment eine Reihenfolge, die nicht mehr stimmt. Wir haben am Anfang das Marketing, dann kommt erst das Design oder das Produkt, und zum Schluss wird dann noch nach einer Nützlichkeit gefragt. Wir müssen das genau umdrehen. Wir müssen erst mal fragen: Was ist die Nützlichkeit eines neuen Produktes, damit auch seine Legitimation? Dann müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie dieses Produkt gestaltet werden soll, und dann zum Schluss, denke ich, sollte erst das Marketing einsetzen.
Kassel: Reden wir doch über diesen – na ja, gut, es war dann schon ein Marketing-Spruch, er war ja in einer Broschüre – über diesen Spruch, der auf Deutsch übersetzt so halbwegs heißt: Einfachheit ist die höchste Form der Raffinesse. Wie wurde das denn in Ihren Augen konkret umgesetzt bei Apple?
Klemp: Also: Einfachheit per se ist ja noch nicht Schönheit, sondern Einfachheit ist erst mal der Gegensatz von Komplexität. Das Interessante an Apple ist, dass sie sehr komplexe Geräte wie zum Beispiel ein iPhone mit einer sehr einfachen Bedienerführung ausstatten, einer intuitiven Bedienerführung und auch einer sehr klaren Formsprache. Ich denke, das ist der große Erfolg oder der Hintergrund des großen Erfolges von Apple. Dass die Geräte auch sehr harmonisch gestaltet sind, das ist sicher das Verdienst von Jonathan Ive und seiner Designgruppe.
Kassel: Dient ein Design, das das tut, was Sie gerade beschrieben haben, nämlich technisch eigentlich recht komplizierte Dinge scheinbar zu vereinfachen, dient das auch dem Zweck, dem Benutzer so ein bisschen die Angst vor dieser Technik zu nehmen?
Klemp: Sicher gehört das auch dazu. Gerade wenn wir uns die Geschichte von Apple anschauen, dann war Apple ja Pionier für eine grafische Oberfläche, zum ersten Mal die Maus eingesetzt, die die Bedienung von Computern viel einfacher gemacht hat. Da sehe ich eine große Kontinuität in der Geschichte von Apple vom ersten Macintosh bis heute zum iPad.
Kassel: Was für Einflüsse erkennen Sie bei Steve Jobs? Man erfährt in dieser Biografie, dass er verschiedene Phasen da auch durchlebt hat als sehr, sehr junger Mann in seiner ersten Apple-Zeit. Er war von italienischen Design beeinflusst, Bauhaus hat ihn interessiert, besonders beeindruckt hat ihn aber Dieter Rams, der legendäre Chefdesigner der Firma Braun. Welche dieser Einflüsse sind am Ende wirklich erkennbar?
Klemp: Ich denke, dass Steve Jobs ein sehr gebildeter und natürlich auch ein sehr intelligenter Mensch gewesen ist. Die Beziehung zu Braun ist sehr interessant. Wir haben uns intensiv mit Braun beschäftigt für eine Ausstellung, die 2008 zum ersten Mal in Japan gezeigt worden ist und die jetzt zur Zeit im San Francisco MOMA, sozusagen vor der Haustür von Apple, gezeigt wird. Es geht nicht so sehr, sagen wir mal, um die Form, es geht darum, um die Struktur eines Designprozesses, und da ist erst mal ganz, ganz wichtig die Unternehmensleitung.
Da ist Steve Jobs mit Sicherheit eine große Ausnahme gewesen, denn normalerweise wird das Thema Design delegiert ins Unternehmen, und meistens wird es hinter das Marketing delegiert. Steve Jobs hat ähnlich wie Erwin Braun in den 50er- und 60er-Jahren erkannt, dass Gestaltung von innen heraus kommen muss und dass Gestaltung in der Unternehmenshierarchie auch ganz oben angesiedelt werden muss. Von daher gibt es eine Reihe von Parallelen zwischen dem Designteam von Dieter Rams und von Jonathan Ive, gerade auch, was ihr Verhältnis zur Unternehmensleitung angeht.
Kassel: Gab es eigentlich je – ich muss sagen, die Biografie sagt dazu nichts konkretes – je persönliche Kontakte zwischen Jobs und Dieter Rams?
Klemp: Zwischen Jobs und Rams nicht, aber zu Jonathan Ive gab es in diesem September zum ersten Mal eine Begegnung: Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "Less and More – das Designethos von Dieter Rams" in San Francisco hat Jonathan Ive Dieter Rams eingeladen nach Cupertino, und es gab auch mehrere Treffen noch in San Francisco. Ich glaube, dass Ive einiges gelernt hat aus der Braun-Geschichte, die ja bis heute eigentlich eine Erfolgsgeschichte ist, und die als eine der ganz wenigen Unternehmen über Design und vor allen Dingen über innovatives Design, über neues, nützliches Design sich definiert hat, und da gibt es mit Sicherheit einen Vorbildcharakter von Braun für Apple, das hat Jonathan Ive auch immer gesagt.
Kassel: Wir reden heute Vormittag im Deutschlandradio Kultur mit Klaus Klemp, Ausstellungsleiter des Museums für angewandte Kunst in Frankfurt und Professor für Designgeschichte über das Apple-Design und die Rolle, die das Design bei Apple gespielt hat. Wenn man es mal ganz praktisch sieht, Herr Klemp, scheitert der Versucht, so er unternommen wird, vielleicht auch anderer Firmen, diese Art von Design – Sie haben am Anfang ja erklärt, was für Sie und auch für Steve Jobs und andere echtes Design ist – diese Art von Design zu schaffen auch daran, dass es nicht besonderes viele Menschen auf der Welt gibt, die so was können.
Klemp: Es könnten viele, aber es tun nur wenige. Und das hat wirklich mit den Strukturen zu tun. Wir müssen uns ein bisschen von diesem Genie-Gedanken auch verabschieden. Es ist nicht das stille Genie, dass im Kämmerchen die genialen Produkte ausdenkt, sondern gerade innovatives Design – so hat es Jasper Morrison mal gesagt – entsteht durch Kommunikation. Dadurch, dass Menschen miteinander in einen Austausch treten, Ideen sozusagen hin und her spielen, und dazu gehört natürlich Talent auf beiden Seiten, das ist gar keine Frage. Und es gehört, glaube ich, auch Bildung dazu. In vielen Unternehmen ist das Wissen um Design viel zu gering, und ich denke, das wäre eine Aufgabe der Zukunft, auch für die Design-Geschichte, mehr in Unternehmen hineinzuwirken und darüber, sagen wir mal, Informationen zu geben, was Design eigentlich ist.
Kassel: Das heißt, es sollte in Zukunft für Firmen mehr sein als nur eines von mehreren Marketing-Instrumenten?
Klemp: Es muss für ein produzierendes, ein technisch produzierendes Unternehmen muss es meiner Meinung nach das zentrale Thema sein.
Kassel: Das heißt aber auch, dass der Designgedanke, so wie es bei Apple offenbar war, nicht allein in der Design-Abteilung stecken sollte, sondern eigentlich schon in der Vorstandsetage.
Klemp: Absolut. Das ist absolut notwendig.
Kassel: Reden wir bitte trotzdem auch über einen negativen Aspekt. Es hat bei Apple immer Menschen gegeben – es gibt sie bis heute, und ich muss sagen, dass ich als Apple-Benutzer diese Idee auch nicht völlig abwegig finde –, die sagen, dieses Design, dieses perfekte Design, hat auch dazu gedient, technische Mängel zu verstecken.
Klemp: Na ja, technische Mängel, sagen wir mal, macht man ja nicht bewusst, sondern technische Mängel sind eben ein Mangel, also Dinge, die noch nicht gelöst sind. Das wäre dann, sagen wir mal, sicher keine richtige Funktion von Design, wenn sie Mängel verstecken würde. Ich glaube auch nicht, dass das bei Apple der Fall ist. Mängel werden verbessert. Das ist Entwicklung. Jedes Gerät, und auch Apple-Geräte, haben sich ja weiterentwickelt. Wir sind, glaube ich, jetzt bei der vierten oder fünften Generation eines iPhones. Mängel kann man einfach nur durch weitere Entwicklung beheben.
Kassel: Ein anderer Vorwurf an Apple ist aber immer auch gerade im Zusammenhang mit dem iPhone, das Sie gerade erwähnt haben, dass die Produkte unter menschenunwürdigen Bedingungen in China zum Beispiel hergestellt werden. Lange Zeit gab es, was die Apple MacBooks, also die Laptops angeht, Vorwürfe, dass die extrem umweltfeindlich wären, viel schlimmer als Konkurrenzprodukte. Wenn Design – und so habe ich sie verstanden, Herr Klemp – wenn Design auch so eine Art Philosophie ist und eben nicht nur äußerer Schmuck, sollte dann zu der Philosophie nicht zum Beispiel auch der Gedanke der Nachhaltigkeit gehören?
Klemp: Ganz bestimmt. Ich würde es nicht Philosophie, ich würde es Ethik nennen. Und Dieter Rams hat dazu aus der Erfahrung seines langen Arbeitslebens einmal zehn Regeln für gutes Design aufgestellt, unter anderem eben auch, dass gutes Design umweltfreundlich sein muss, ehrlich sein muss, unaufdringlich, langlebig und anderes. Und die letzte These, die er aufgestellt hat, dass Design, gutes Design, so wenig Design wie möglich sein sollte, das hört sich etwas widersprüchlich an, aber ich glaube, genau das trifft es. Design nicht als Dekoration, Design nicht als Verpackung, sondern als Kern, als ganz elementarer Inhalt von Produkten.
Kassel: Wenn man die heute wie gesagt auch auf Deutsch erscheinende Biografie des Steve Jobs liest, dann begreift man noch einmal viel deutlicher als vielleicht vorher, wie wichtig Jobs persönlich gerade für das Design der Produkte seiner Firma gewesen ist. Er ist seit drei Wochen tot. Glauben Sie, dass Apple diese Stellung, die es im Bereich des Designs hat, auch ohne Steve Jobs wird halten können?
Klemp: Also darauf kann man natürlich nur spekulativ antworten. Ich habe Jonathan Ive im September in San Francisco getroffen. Er hat mir lange berichtet, wie dieses Unternehmen aufgestellt ist. Und damals war der Firmenleiter ja schon von seiner aktiven Tätigkeit zurückgetreten, und er hat das sehr glaubwürdig gesagt, als er sagte: Dieses Unternehmen ist einfach so aufgestellt, es tickt anders.
Was für mich aber wichtiger wäre, wäre eine Analogie zu Braun. Wenn wir uns Braun ansehen, dann ist ja zwischen 1955 und 1967 dieses Unternehmen so entstanden, wie es auch heute noch ist, und 1967 schon verkauft worden. Das heißt, auch da war der innovative Unternehmensleiter nicht mehr präsent, Braun wurde von Gillette gekauft, und dennoch sind eigentlich ganz wichtige Produkte erst nach dieser Zeit 1967 entstanden. Denken Sie an die Regie-HiFi-Anlagen, an die Nizo-Kameras, an die Uhren und Wecker – die sind erst in den 70er-Jahren überhaupt neu ins Programm aufgenommen worden.
Dieter Rams war bis 1997 der Chef dieser Einheit, das war natürlich eine große Kontinuität. Fritz Eichler war Vorstandsvorsitzender, der auch aus dieser Frühphase von Braun kam. Also bei Braun ist es gelungen, diese Haltung auch nach dem Ausscheiden des Unternehmensleiters sehr konsequent weiterzuführen. Da kann man eben spekulativ sagen: Vielleicht gelingt das Apple auch.
Kassel: Vielen Dank! Klaus Klemp war das. Er ist Professor für Design-Geschichte an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden und Ausstellungsleiter des Museums für Angewandte Kunst in Frankfurt. Danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Klemp!
Klemp: Danke, Herr Kassel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Klaus Klemp: Schönen guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Was würden Sie denn sagen: Wie viel Prozent des Apple-Erfolgs beruhen auf Technik und wie viel auf Design?
Klemp: Das ist so einfach nicht zu sagen, vor allen Dingen, wenn man Technik und Design trennt. Ich glaube, wir müssen uns über den Designbegriff neu klar werden. Das Wort Design ist gerade in Deutschland – lassen Sie es mich etwas rigide sagen – ruiniert. Wenn ich in der Zeitung lese, Designer-Laptop beim Discounter, dann ist Design in Deutschland eigentlich nur noch ein Marketing-Begriff, der dazu benutzt wird, um Dinge teurer zu machen, als sie eigentlich sind. Design, auf Deutsch Gestaltung, ist aber etwas ganz anderes: Es ist nämlich, das Produkt von Anfang an zu durchdenken, zu erdenken. Und da kann man nicht zwischen Design und Technik bei technischen Geräten trennen, sondern da ist es ganz wichtig, dass die Gestalter und die Techniker sehr eng zusammenarbeiten.
Kassel: Das heißt doch, das, was Steve Jobs tatsächlich gemacht hat – man erfährt das auch in diesem Buch, das heute erscheint –, nämlich nicht zu sagen, wir haben hier eine Technik, und jetzt suchen wir eine schöne Verpackung dafür, sondern von Anfang an zu sagen, wir wollen mit Designern, mit Technikern, auch mit Marketingexperten zusammen das richtige Produkt entwickeln. Das ist für Sie auch die richtige Vorstellung von Design?
Klemp: Das ist es ganz sicher. Wir haben ja im Moment eine Reihenfolge, die nicht mehr stimmt. Wir haben am Anfang das Marketing, dann kommt erst das Design oder das Produkt, und zum Schluss wird dann noch nach einer Nützlichkeit gefragt. Wir müssen das genau umdrehen. Wir müssen erst mal fragen: Was ist die Nützlichkeit eines neuen Produktes, damit auch seine Legitimation? Dann müssen wir uns darüber Gedanken machen, wie dieses Produkt gestaltet werden soll, und dann zum Schluss, denke ich, sollte erst das Marketing einsetzen.
Kassel: Reden wir doch über diesen – na ja, gut, es war dann schon ein Marketing-Spruch, er war ja in einer Broschüre – über diesen Spruch, der auf Deutsch übersetzt so halbwegs heißt: Einfachheit ist die höchste Form der Raffinesse. Wie wurde das denn in Ihren Augen konkret umgesetzt bei Apple?
Klemp: Also: Einfachheit per se ist ja noch nicht Schönheit, sondern Einfachheit ist erst mal der Gegensatz von Komplexität. Das Interessante an Apple ist, dass sie sehr komplexe Geräte wie zum Beispiel ein iPhone mit einer sehr einfachen Bedienerführung ausstatten, einer intuitiven Bedienerführung und auch einer sehr klaren Formsprache. Ich denke, das ist der große Erfolg oder der Hintergrund des großen Erfolges von Apple. Dass die Geräte auch sehr harmonisch gestaltet sind, das ist sicher das Verdienst von Jonathan Ive und seiner Designgruppe.
Kassel: Dient ein Design, das das tut, was Sie gerade beschrieben haben, nämlich technisch eigentlich recht komplizierte Dinge scheinbar zu vereinfachen, dient das auch dem Zweck, dem Benutzer so ein bisschen die Angst vor dieser Technik zu nehmen?
Klemp: Sicher gehört das auch dazu. Gerade wenn wir uns die Geschichte von Apple anschauen, dann war Apple ja Pionier für eine grafische Oberfläche, zum ersten Mal die Maus eingesetzt, die die Bedienung von Computern viel einfacher gemacht hat. Da sehe ich eine große Kontinuität in der Geschichte von Apple vom ersten Macintosh bis heute zum iPad.
Kassel: Was für Einflüsse erkennen Sie bei Steve Jobs? Man erfährt in dieser Biografie, dass er verschiedene Phasen da auch durchlebt hat als sehr, sehr junger Mann in seiner ersten Apple-Zeit. Er war von italienischen Design beeinflusst, Bauhaus hat ihn interessiert, besonders beeindruckt hat ihn aber Dieter Rams, der legendäre Chefdesigner der Firma Braun. Welche dieser Einflüsse sind am Ende wirklich erkennbar?
Klemp: Ich denke, dass Steve Jobs ein sehr gebildeter und natürlich auch ein sehr intelligenter Mensch gewesen ist. Die Beziehung zu Braun ist sehr interessant. Wir haben uns intensiv mit Braun beschäftigt für eine Ausstellung, die 2008 zum ersten Mal in Japan gezeigt worden ist und die jetzt zur Zeit im San Francisco MOMA, sozusagen vor der Haustür von Apple, gezeigt wird. Es geht nicht so sehr, sagen wir mal, um die Form, es geht darum, um die Struktur eines Designprozesses, und da ist erst mal ganz, ganz wichtig die Unternehmensleitung.
Da ist Steve Jobs mit Sicherheit eine große Ausnahme gewesen, denn normalerweise wird das Thema Design delegiert ins Unternehmen, und meistens wird es hinter das Marketing delegiert. Steve Jobs hat ähnlich wie Erwin Braun in den 50er- und 60er-Jahren erkannt, dass Gestaltung von innen heraus kommen muss und dass Gestaltung in der Unternehmenshierarchie auch ganz oben angesiedelt werden muss. Von daher gibt es eine Reihe von Parallelen zwischen dem Designteam von Dieter Rams und von Jonathan Ive, gerade auch, was ihr Verhältnis zur Unternehmensleitung angeht.
Kassel: Gab es eigentlich je – ich muss sagen, die Biografie sagt dazu nichts konkretes – je persönliche Kontakte zwischen Jobs und Dieter Rams?
Klemp: Zwischen Jobs und Rams nicht, aber zu Jonathan Ive gab es in diesem September zum ersten Mal eine Begegnung: Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "Less and More – das Designethos von Dieter Rams" in San Francisco hat Jonathan Ive Dieter Rams eingeladen nach Cupertino, und es gab auch mehrere Treffen noch in San Francisco. Ich glaube, dass Ive einiges gelernt hat aus der Braun-Geschichte, die ja bis heute eigentlich eine Erfolgsgeschichte ist, und die als eine der ganz wenigen Unternehmen über Design und vor allen Dingen über innovatives Design, über neues, nützliches Design sich definiert hat, und da gibt es mit Sicherheit einen Vorbildcharakter von Braun für Apple, das hat Jonathan Ive auch immer gesagt.
Kassel: Wir reden heute Vormittag im Deutschlandradio Kultur mit Klaus Klemp, Ausstellungsleiter des Museums für angewandte Kunst in Frankfurt und Professor für Designgeschichte über das Apple-Design und die Rolle, die das Design bei Apple gespielt hat. Wenn man es mal ganz praktisch sieht, Herr Klemp, scheitert der Versucht, so er unternommen wird, vielleicht auch anderer Firmen, diese Art von Design – Sie haben am Anfang ja erklärt, was für Sie und auch für Steve Jobs und andere echtes Design ist – diese Art von Design zu schaffen auch daran, dass es nicht besonderes viele Menschen auf der Welt gibt, die so was können.
Klemp: Es könnten viele, aber es tun nur wenige. Und das hat wirklich mit den Strukturen zu tun. Wir müssen uns ein bisschen von diesem Genie-Gedanken auch verabschieden. Es ist nicht das stille Genie, dass im Kämmerchen die genialen Produkte ausdenkt, sondern gerade innovatives Design – so hat es Jasper Morrison mal gesagt – entsteht durch Kommunikation. Dadurch, dass Menschen miteinander in einen Austausch treten, Ideen sozusagen hin und her spielen, und dazu gehört natürlich Talent auf beiden Seiten, das ist gar keine Frage. Und es gehört, glaube ich, auch Bildung dazu. In vielen Unternehmen ist das Wissen um Design viel zu gering, und ich denke, das wäre eine Aufgabe der Zukunft, auch für die Design-Geschichte, mehr in Unternehmen hineinzuwirken und darüber, sagen wir mal, Informationen zu geben, was Design eigentlich ist.
Kassel: Das heißt, es sollte in Zukunft für Firmen mehr sein als nur eines von mehreren Marketing-Instrumenten?
Klemp: Es muss für ein produzierendes, ein technisch produzierendes Unternehmen muss es meiner Meinung nach das zentrale Thema sein.
Kassel: Das heißt aber auch, dass der Designgedanke, so wie es bei Apple offenbar war, nicht allein in der Design-Abteilung stecken sollte, sondern eigentlich schon in der Vorstandsetage.
Klemp: Absolut. Das ist absolut notwendig.
Kassel: Reden wir bitte trotzdem auch über einen negativen Aspekt. Es hat bei Apple immer Menschen gegeben – es gibt sie bis heute, und ich muss sagen, dass ich als Apple-Benutzer diese Idee auch nicht völlig abwegig finde –, die sagen, dieses Design, dieses perfekte Design, hat auch dazu gedient, technische Mängel zu verstecken.
Klemp: Na ja, technische Mängel, sagen wir mal, macht man ja nicht bewusst, sondern technische Mängel sind eben ein Mangel, also Dinge, die noch nicht gelöst sind. Das wäre dann, sagen wir mal, sicher keine richtige Funktion von Design, wenn sie Mängel verstecken würde. Ich glaube auch nicht, dass das bei Apple der Fall ist. Mängel werden verbessert. Das ist Entwicklung. Jedes Gerät, und auch Apple-Geräte, haben sich ja weiterentwickelt. Wir sind, glaube ich, jetzt bei der vierten oder fünften Generation eines iPhones. Mängel kann man einfach nur durch weitere Entwicklung beheben.
Kassel: Ein anderer Vorwurf an Apple ist aber immer auch gerade im Zusammenhang mit dem iPhone, das Sie gerade erwähnt haben, dass die Produkte unter menschenunwürdigen Bedingungen in China zum Beispiel hergestellt werden. Lange Zeit gab es, was die Apple MacBooks, also die Laptops angeht, Vorwürfe, dass die extrem umweltfeindlich wären, viel schlimmer als Konkurrenzprodukte. Wenn Design – und so habe ich sie verstanden, Herr Klemp – wenn Design auch so eine Art Philosophie ist und eben nicht nur äußerer Schmuck, sollte dann zu der Philosophie nicht zum Beispiel auch der Gedanke der Nachhaltigkeit gehören?
Klemp: Ganz bestimmt. Ich würde es nicht Philosophie, ich würde es Ethik nennen. Und Dieter Rams hat dazu aus der Erfahrung seines langen Arbeitslebens einmal zehn Regeln für gutes Design aufgestellt, unter anderem eben auch, dass gutes Design umweltfreundlich sein muss, ehrlich sein muss, unaufdringlich, langlebig und anderes. Und die letzte These, die er aufgestellt hat, dass Design, gutes Design, so wenig Design wie möglich sein sollte, das hört sich etwas widersprüchlich an, aber ich glaube, genau das trifft es. Design nicht als Dekoration, Design nicht als Verpackung, sondern als Kern, als ganz elementarer Inhalt von Produkten.
Kassel: Wenn man die heute wie gesagt auch auf Deutsch erscheinende Biografie des Steve Jobs liest, dann begreift man noch einmal viel deutlicher als vielleicht vorher, wie wichtig Jobs persönlich gerade für das Design der Produkte seiner Firma gewesen ist. Er ist seit drei Wochen tot. Glauben Sie, dass Apple diese Stellung, die es im Bereich des Designs hat, auch ohne Steve Jobs wird halten können?
Klemp: Also darauf kann man natürlich nur spekulativ antworten. Ich habe Jonathan Ive im September in San Francisco getroffen. Er hat mir lange berichtet, wie dieses Unternehmen aufgestellt ist. Und damals war der Firmenleiter ja schon von seiner aktiven Tätigkeit zurückgetreten, und er hat das sehr glaubwürdig gesagt, als er sagte: Dieses Unternehmen ist einfach so aufgestellt, es tickt anders.
Was für mich aber wichtiger wäre, wäre eine Analogie zu Braun. Wenn wir uns Braun ansehen, dann ist ja zwischen 1955 und 1967 dieses Unternehmen so entstanden, wie es auch heute noch ist, und 1967 schon verkauft worden. Das heißt, auch da war der innovative Unternehmensleiter nicht mehr präsent, Braun wurde von Gillette gekauft, und dennoch sind eigentlich ganz wichtige Produkte erst nach dieser Zeit 1967 entstanden. Denken Sie an die Regie-HiFi-Anlagen, an die Nizo-Kameras, an die Uhren und Wecker – die sind erst in den 70er-Jahren überhaupt neu ins Programm aufgenommen worden.
Dieter Rams war bis 1997 der Chef dieser Einheit, das war natürlich eine große Kontinuität. Fritz Eichler war Vorstandsvorsitzender, der auch aus dieser Frühphase von Braun kam. Also bei Braun ist es gelungen, diese Haltung auch nach dem Ausscheiden des Unternehmensleiters sehr konsequent weiterzuführen. Da kann man eben spekulativ sagen: Vielleicht gelingt das Apple auch.
Kassel: Vielen Dank! Klaus Klemp war das. Er ist Professor für Design-Geschichte an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden und Ausstellungsleiter des Museums für Angewandte Kunst in Frankfurt. Danke Ihnen sehr für das Gespräch, Herr Klemp!
Klemp: Danke, Herr Kassel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.