Eine Frage des Stils
Auf der Berliner Konferenz zum Thema Eleganz war zu hören, dass die Bundeshauptstadt zwar nicht mehr arm, aber noch immer ziemlich sexy sei. Etwas mehr Stil täte der Metropole aber dennoch gut.
Dieses Präludium, wie auch andere Präludien und Fugen aus dem Zyklus "Das Wohltemperierte Klavier", schrieb Johann Sebastian Bach "zum Nutzen und Gebrauch der lehrbegierigen musikalischen Jugend". Mit diesen Kompositionen setzte er wohl die Norm für ein "gut gestimmtes Tasteninstrument". Von da an stehen alle Tonarten gleichberechtigt nebeneinander. Eine bestimmte Harmonie wurde geschaffen. Denn wo, wenn nicht in der Musik geht es mehr um Harmonie und Eleganz? Genauso sei es auch bei der Mathematik, meint die Mathematikprofessorin Olga Holtz. Um es zu sehen, müsse man sich darauf entsprechend vorbereiten:
"Also wenn man eine Formel erreicht, die wirklich etwas ganz komplett beschreibt und das Schöne auch sieht für Mathematik, dann sagt man 'ja, das ist perfekt, das ist Harmonie. Das ist Eleganz´. "
Annäherung an die Eleganz der Natur
Es gibt durchaus auch Unelegantes in der Mathematik; zum Beispiel, wenn man am Anfang einer Lösung ist und noch nicht weiß, wie diese zu erreichen ist. Man versucht verschiedene Wege zu gehen, räumt bei den Formeln auf, reduziert sie so weit, dass sie sich einer perfekten nähern. Erfolge seien durch praktizieren und probieren zu erreichen, meint Holtz:
"Man sieht, was in der Praxis funktioniert und sagt, ok, das sieht interessant aus. Das ist eine Art Heuristik. Man entwickelt das dann weiter und sieht, wie das theoretisch zu begreifen ist. Es gibt sehr viel in der Mathematik, was auch nützlich und wichtig für die anderen Disziplinen ist und was abstrakt und theoretisch diese anderen Disziplinen auch beschreibt, was nicht unbedingt der Fall umgekehrt ist. Deswegen würde ich sagen, natürlich gibt's vielleicht größere Chance, in der Mathematik eleganter zu werden..."
Die biblische Genesis offenbart, dass die von Gott erschaffene Welt "gut war". Gut ist – philosophisch gesehen – auch schön. Die Welt gleicht also mathematischer Symmetrie, sie ist elegant in ihrer subtilen Perfektion. Die technische und die natürliche Eleganz sind dagegen unterschiedlich. Ein Auto zum Beispiel lässt sich in viele Einzelteile zerlegen – jedes für sich optimiert. Die Natur baut ihre Strukturen komplett anders auf. Ausgehend von immer gleichen elementaren Bestandteilen schafft sie durch komplexe Schichtung und Fügung multifunktionale und anpassungsfähige Konstrukte. Und doch versuche das Ingenieurwesen sich der Eleganz der Natur anzunähern, meint Professor Jan Knippers, Leiter des Instituts für Tragkonstruktion und Konstruktives Entwerfen an der Universität Stuttgart:
"Durch den Wechsel von der analogen Fertigung und Konstruktion in dem Sinne, dass wir für jede Funktion, die ein Auto zum Beispiel erfüllen muss, ein Bauteil konstruieren, haben wir jetzt die Möglichkeit durch den Schritt zur digitalen Fertigung hin, die Bauteile an sich komplexer zu machen, aber das Gesamtsystem zu vereinfachen, indem wir – sozusagen – zurückgehen auf wenige Grundbausteine, aber die sehr stark ausdifferenzieren können."
"Nicht mehr arm, aber immer noch sexy"
Sowohl die fertigen Einheiten der Natur als auch die der Technik können uns Menschen emotional berühren. Genau wie die Kunst. Ihre Funktion ist – neben der kathartischen also reinigenden –, Emotionen zu erzielen. Die Eleganz ist für die Schauspielerin Anna Thalbach etwas Klares:
"Um Eleganz sichtbar zu machen, sind sehr, sehr klare Mittel notwendig, glaube ich. Eleganz hat für mich was mit nem Blickfeld, mit nem großen Radius in der Wahrnehmung der Dinge um einem herum zu tun. Dann als nächsten Schritt die Verarbeitung dessen, was man in der Lage ist, wahrzunehmen. Plus dann das Volumen an Sprache, die einem zur Verfügung steht und seine Wahrnehmung auch zu veräußern und teilen und mitzuteilen Eleganz auf der Bühne heißt für mich, seine Persönlichkeit nicht über die Figur zu erheben, also wirklich seiner dienstleistenden Aufgabe des Schauspielers sich bewusst sein."
Ihrer Rolle als elegante Bundeshauptstadt sei sich langsam auch Berlin bewusst. Guido Beermann, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung, meint dazu:
"Heute könnte man sagen, Berlin ist angesichts des herausragenden Wirtschaftswachstums, das wir seit einigen Jahren haben, nicht mehr arm, aber immer noch sexy. Ich glaube, 'Eleganz´ ist ein Kriterium, mit dem man sich immer auseinander setzt und bei einer Stadt, die so pulsiert wie Berlin, die immer auf dem Weg nach Neuem ist, wird man auch immer auf dem Weg sein nach neuen eleganten Lösungen. Das ist keine Frage der Quantität, sondern das ist eine Frage der ständigen Suche nach Qualität."
Mit dieser Einstellung könnte Berlin bald neue Maßstäbe nicht nur europaweit, aber auch weltweit setzen. Erstmal täte aber ein bisschen mehr Stil der Stadt ganz gut.