Neue Bauhaus-Direktorin unter Druck
Erst seit einem halben Jahr ist Claudia Perren Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau. Und schon steht sie unter Zugzwang: 2019 steht das Bauhaus-Jubiläum an - bis dahin soll in Dessau ein neues Museum gebaut werden. Doch bislang hat man nicht mal einen Architekten.
Frau Perren, jetzt sind Sie fast ein halbes Jahr in Dessau. Wie lebt es sich da eigentlich, wenn es einen aus der sonnenverwöhnten Metropole Sydney in die - zumindest meteorologisch gesehen - eher graue Kleinstadt Dessau verschlägt?
"Na, das ist eine große Umstellung." (lacht) "Das war aber schon eine große Umstellung als ich nach Sydney umgezogen bin. Also man lässt sich ja auf eine andere Kultur ein. Versuche nicht so sehr das zu vermissen, was ich an dem anderen Ort hatte. Damit bin ich bis jetzt sehr gut gefahren."
Claudia Perren - schulterlanges blondes Haar und Heiner Müller-Brille - ist 1973 in Ostberlin geboren, die Abi-Zeit hat sie im anarchischen Nachwende-Berlin verbracht. Ihren ersten akademischen Titel hat sie an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee erworben.
Danach trieb es Claudia Perren - eine lebenslustige Frau mit einnehmenden Lachen - nach New York und Zürich. Über Kassel, wo sie promoviert hat, ging es anschließend nach Down-Under. In Sydney lehrte sie acht Jahre lang Architektur, Design und Städtebau, in der auch ihre Tochter, ihr zweites Kind geboren wurde. Jetzt Dessau:
"Meine Familie und ich sind hier eigentlich sehr gut angekommen. Die Kinder gehen hier zur Schule, wir haben hier einen schönen Ort zum Wohnen gefunden, ganz in der Nähe zur schönen Park-Landschaft hier. Außerdem sitze ich sowieso den ganzen Tag im schönen Bauhaus, also schlimm ist das wirklich nicht." (lacht)
Claudia Perren schaut nach vorn
Noch nie habe sie in einer Kleinstadt wie Dessau gelebt hat, erzählt Claudia Perren. Eine Stadt, die letztes Jahr gar weltweit durch die Medien ging, weil SPD-Kultusminister Stephan Dorgerloh den Vertrag des einstigen Bauhaus-Chefs Philipp Oswalt völlig überraschend nicht verlängert hat. Selbst aus der Tate Modern in London oder dem MoMa in New York hagelte es Kritik. Doch das alles kümmert Claudia Perren nicht, sie schaut nach vorn. Und will nicht nur der Institution Bauhaus-Dessau, sondern auch dem Land Sachsen-Anhalt intellektuellen Charme und Esprit verordnen, frischen Wind einhauchen.
"Was ganz wichtig ist, dass man die Geschichte weitererzählt. Man muss erzählen, wo knüpfe ich an, was mache ich und wie kann ich aktuell neue wichtige Punkte setzen. Die sich dann weiter entwickeln. Und über die man dann in 100 Jahren auch wieder berichtet."
Die größte Aufgabe, die ihr jetzt unmittelbar bevorsteht, ist der zweistufige offene internationale Architekturwettbewerb für das neue Bauhaus-Museum, der dieser Tage ausgelobt und im Herbst entschieden werden soll.
"Also wir werden nach einem zeitgenössischen Statement zum Bauhaus fragen. Es wird nicht darum gehen, eines der nicht realisierten Bauhaus-Entwürfe dann da umzusetzen. Um die Objekte dann da auszustellen. Sondern es wird um eine aktuelle Auseinandersetzung gehen. Und da bin ich sehr gespannt. Ich hoffe, ich werde da sehr positiv überrascht."
Nicht nur Stararchitekten
Es sollen sich nicht nur Stararchitekten angesprochen fühlen. Also nicht nur die Sauerbruch und Huttons beispielsweise, die bereits in der Nachbarschaft das Umweltbundesamt - einen bunten Glaskasten - gebaut haben.
"Also ich hoffe natürlich, dass es etwas ist, wo ich eben nicht sagen kann, dass sieht ja aus, wie ein Sauerbruch und Hutton." (lacht) "Nicht, weil ich die Architektur nicht mag, sondern weil ich mir wirklich erhoffe, dass ein ganz neuer Ansatz zur Bauhausgeschichte dort entsteht."
Muss Claudia Perren natürlich sagen, da weltweit renommierte Architekten für Sachsen-Anhalt nahezu unbezahlbar sind. Und im Etat gar nicht vorgesehen sind. Zur Erinnerung: Insgesamt sind nur 25 Millionen Euro für den Museums-Neubau veranschlagt.
Insider sprechen von einem viel zu engen Zeitplan für den Neubau: Architektur-Ausschreibung 2015. Beginn der Bauarbeiten 2016. Man kalkuliert eine zweijährige Bauzeit bis 2018. Anschließend muss der Bau austrocknen, da es um Exponate von unschätzbarem Wert geht, die man nicht einfach so in einen feuchten Bau stellen darf. Da darf nichts dazwischen kommen. Noch hat Claudia Perren keine schlaflosen Nächte. Stattdessen schwirren ihr Ideen durch den Kopf, wie wieder aus dem Bauhaus - so zumindest ist der Plan der passionierten Skifahrerin, Fahrradfahrerin und Frühaufsteherin Claudia Perren - eine Schule werden kann. Ein lebendiger Ort für Kreative und junge Menschen aus aller Welt. Ihr Plan: Ein "Art in Resident" Bauhaus-Programm.
"Wir werden zum einen einladen und zum anderen über Calls, also über Aufrufe Künstler, Designer und Architekten finden, die dann tatsächlich in den Meisterhäusern wohnen. Und sich dort, was auch immer sie interessiert und was sie vorschlagen, auseinandersetzen. Jedes neue Kunstwerk darin, jedes neue Detail eines Architekten oder Designers wird im Prinzip in Dialog treten, was schon da ist. Und dann die Geschichte weitererzählen. Das ist unser Interesse daran."
Aktualisierung des Erbes
Es gehe um die Aktualisierung des Erbes, nicht um die touristische Vermarktbarkeit des Bauhauses, wie es Politiker in Sachsen-Anhalt immer wieder wünschen.
"Aber es ist auch ein bisschen so, dass wir von der Welt lernen, wie das eigentlich woanders interpretiert wird. Wir wollen nicht immer der Sender sein, weil wir sozusagen das Original und die Tollsten sind. Sondern es geht auch darum, rückwirkend zu lernen, wie das Bauhaus weiter entwickelt wurde."
Claudia Perren, die erste Frau auf dem Chefsessel des Bauhaus Dessau überhaupt, ist diplomatisch, manchmal fast zaghaft vorsichtig. Kein Egozentriker, wie es ihr Vorgänger war. Sie versucht ihr Programm mit akademischer Geläufigkeit und intellektueller Unaufgeregtheit zu vermitteln.
"Wir forschen ja hier auch am Bauhaus und bewahren nicht nur, obwohl das auch viel Arbeit ist. Und ich meine, jedes Forschen hat kritisches Hinterfragen. In der Hinsicht, werden wir uns auch immer kritisch einmischen."
Bloße Provokation sei nicht ihr Ding, unterstreicht Claudia Perren.
"Also nächstes Jahr werden wir uns dem Thema Kollektiv widmen. In all ihren Facetten und auch Schwierigkeiten. Und man kann ja nicht auch immer schon vorher sagen, wo man aneckt oder nicht. Ich finde es auch keine Strategie zu sagen, ich mach jetzt mal etwas, damit ich anecke. Sondern ich mach das, weil mich das Thema interessiert. Und ob ich damit anecke, werde ich ja dann noch sehen." (lacht)
Claudia Perren will schwebende Weltoffenheit, aber auch internationale Gelassenheit nach Sachsen-Anhalt bringen. Sie ist damit das komplette Gegenteil der manchmal sehr verdruckst wirkenden CDU/SPD-Landesregierung Sachsen-Anhalts. Claudia Perren, liiert mit einem Schweizer Architekten, ruft den Menschen zwischen Arendsee und Zeitz zu, sich doch ein wenig der australischen Lebensfreude anzunehmen. Und mahnt:
"... die Dinge etwas entspannter anzugehen. Die wohnen ja auch nicht alle mit Blick aufs Meer. Also da gibt es auch Leute die wohnen beengt und klein. Aber es gibt so ein allgemeines Grundverständnis, dass beispielsweise Sydney eine gute Stadt ist und dass man gerne hier ist. Obwohl man aus allen Teilen der Welt zusammenkommt. Es gibt eben keine Ausländer, wir sind alle Sydneysider. Das ist einfach eine Grundeinstellung, die man haben kann und die man haben sollte."
Die interessierte Öffentlichkeit und das Fachpublikum wird nun genau hinschauen, wie die politische Elite des Landes Sachsen-Anhalt, die neue Bauhaus-Direktorin arbeiten lässt. Oder ob man sich einmischt, indem man ihr Vorgaben macht, was mit dem Bauhaus Dessau zu geschehen habe. Eine Gangart, die in Sachsen-Anhalt durchaus an der Tagesordnung ist. Passiert das, ist die Gefahr allerdings groß, dass Claudia Perren ihre Koffer wieder packt. Aber das kann keiner so richtig wollen.