Details einer Landschaftserfahrung

Von Carsten Probst |
Das historische Sinclair-Haus von Bad Homburg zeigt 90 Naturstudien von Georg Baselitz: Einfach starke, mit verblüffend leichter Hand getuschte, gezeichnete oder gemalte Momente. Für viele eine Überraschung, denn hier zeigt sich der Künstler von einer scheinbar wenig provokativen Seite.
Die Räume sind eng im historischen Sinclair-Haus von Bad Homburg, in dem die Altana-Stiftung ihre Kunstausstellungen zeigt. Hier auf Georg Baselitz zu treffen, der nicht nur körperlich gern den Raum sprengt, hat schon etwas Kurioses. Wie er da steht, umringt von einem Publikum aus lauter gutbürgerlich älteren Herrschaften, die zwar ungefähr zu seiner Altersgruppe gehören, aber vermutlich erst seit ein paar Jahren seinen Namen kennen, seit Baselitz als deutscher Großmaler als konsensfähig gilt. Das kleine Ausstellungshaus jedenfalls ist völlig überfüllt, die Stimmung voller Ehrfurcht und Neugier; nicht Wenige finden, dass Baselitz doch eigentlich ein klassischer deutscher Maler sei. Sie sind positiv überrascht, und können es auch sein, denn in seinen Naturstudien zeigt sich Baselitz' Kunst von einer scheinbar wenig provokanten Seite. Zumal hier, durch die Raumgröße bedingt, auch eher kleine Formate hängen. Georg Baselitz:

"Sie sind konstruiert. Sie sind nicht beobachtet, sondern sie sind: konstruiert -- ist der falsche Ausdruck - sie sind schabloniert. Das kann man sagen. Das ist Heckel, das ist Rottluff, das ist Munch und das ist Kirchner. Das - dieses: Das ist einfach mein Programm!"

Baselitz ist trotzdem hier, obwohl dieses Umfeld für ihn vielleicht nicht das ist, was er sich für seine Kunst erhofft - geht es ihm doch seit gut zehn Jahren, seit er seine Remix-Malerei eigener Motive der Frühzeit begonnen hat, darum, weniger als Klassiker, sondern vor allem auch als Maler des 21. Jahrhunderts wahrgenommen zu werden. Hier nun, in Bad Homburg, muss er sich mit Raffael und Goethe vergleichen lassen, aber er gibt routiniert Autogramme und lässt sich auf Plaudereien über seine expressionistischen Vorbilder ein: Heckel, Schmidt-Rottluff, Munch und Kirchner. Innere Landschaften seien es, die ihn zu seinen Naturmotiven bewegt hätten, er male und zeichne Landschaften so, wie er auch Menschen male.

"Selbst wenn man sich was Neues einfallen lässt, braucht man ne Legitimation. Ich hab immer nicht Entschuldigung, sondern Legitimation gesucht für das, was ich mache. Und Feuerbach war einer davon."

Anselm Feuerbach, der Maler antiken Heldentums, als Vorbild für Baselitz? Das lässt nun doch aufhorchen. Nein, nein, korrigiert sich der Maler selbst, nicht der antike Heroismus hätte ihn interessiert, sondern die subtilen, kleinen Landschaftsskizzen Feuerbachs, die kaum jemand kennt.

"Ich glaube, darin liegt auch die Spannung seines Werkes, dass er sich immer auseinandersetzt mit den traditionellen, mit den tradierten Bildgeschichten, die wir kennen, mit denen wir groß werden, und er deutet sie für sich dann als Maler um, natürlich am radikalsten durch die Umkehrung des Motives, aber diese Ausstellung zeigt auch, dass es nicht unbedingt allein die Umkehrung ist, die ihn beschäftigt, sondern dass es auch ganz viele andere Techniken und Möglichkeiten gibt, sich mit dieses Tradition des Motivs auseinanderzusetzen."

Sagt Kurator Johannes Janssen von der Altana-Stiftung, und in der Tat zeigt ein Rundgang durch die etwa 90 ausgestellten Arbeiten, dass Baselitz in seinen Naturstudien immer neue Wege sucht, das Motiv zu verändern, zu abstrahieren, etwa durch das berühmte Umdrehen des Bildes, ihm aber eine gewisse Stimmung zu bewahren. Es sind, jenseits aller Stilfragen erst einmal größtenteils einfach starke, mit verblüffend leichter Hand getuschte, gezeichnete oder gemalte Momente, oft nur Details einer Naturerfahrung, die sich mit einer poetischen Erinnerungstechnik verbindet. Kurator Janssen:

"Es gibt Motive wie den 'Sandteichdamm', da gibt es ein Bild von 1955, aus den 60er- Jahren, aus den 80er-Jahren, bis 2006 haben wir hier Bilder in der Ausstellung, die immer das gleiche Motiv immer wieder neu interpretieren. Klar ist aber, es hat seinen Ursprung in seiner sächsischen Heimat."

Zugleich schreitet die Bearbeitung des Natur-Bildes aber parallel zur Arbeit mit figürlichen Motiven fort. In größeren Formaten mischt sich beides; hier, bei den Kleinformaten, bleibt alles intim, eine Wandlung zur Zeichenhaftigkeit, mit gestischem Einschlag, gleichwohl mit großer innerer Spannung.

"Ich glaube, es gibt Eckpunkte; ob es die Schlüsselwerke sind, weiß ich nicht. Aber es gibt eine frühe Malerei von 1958, wo er noch Schüler von Hann Trier ist und sich am Informel abmüht. Es gibt eine Suite von 22 Zeichnungen sächsischer Landschaften aus den 70er-Jahren, die wir hier komplett in der Ausstellung auch zeigen können, und es gibt die, wie ich finde, ganz wunderbaren Gemälde der Zeit nach 2000, wo er sich eben nochmal auf seine Frühwerke bezieht und den gerade zitierten 'Sandteichdamm' bearbeitet zum Beispiel."

An der Qualität von Baselitz' Remix-Werken seit Anfang der 2000er Jahre mag man berechtigte Zweifel anmelden, doch im Kontext seiner hier verfolgten Entwicklung erscheinen sie logisch: Der Erinnerungskünstler ringt mit sich selbst um seine früheren Erinnerungsbilder, er kämpft mit der Zeit. Mitunter sind es die kleineren Ausstellungen, die dem Wesen einer künstlerischen Entwicklung am nächsten kommen.

Georg Baselitz
Mehr zum Thema