Detektivin in eigener Sache

06.04.2011
Als Schauplatz guter Krimis hat die DDR bisher nur selten gedient - vielleicht, weil es im real existierenden Sozialismus keine Verbrechen geben durfte. Doch die Wahrheit sah anders aus. In Elisabeth Herrmanns neuem Krimi kommt sie ans Tageslicht.
Zeugin der Toten, das ist Judith Kepler, Entweserin, auch als Cleaner bezeichnet. Eine eher unbekannte Tätigkeit. Dabei leuchtet es ja ein, dass es einen braucht, der sich um die Überreste eines Lebens kümmert nach dem Tod, damit es neues Leben in den Räumen geben kann. Judith Kepler findet bei der "Entsorgung" eines Leichenfundorts Hinweise auf ihre eigene Vergangenheit. Offenbar lebte sie als Kind im selben Waisenhaus in der DDR wie die Verstorbene.

Neugierig macht sie sich auf die Suche nach mehr Informationen und damit auch nach Erklärungen für ihr Leben und stolpert dabei über allerlei Geheimdienste und ehemalige Agenten. Denn diejenigen, die sie ihren Eltern entzogen haben, weil sie Staatsfeinde waren, leben noch, ebenso wie diejenigen, die im Westen kritische DDR-Bürger für ihre Zwecke benutzen wollten. Auch sie möchten nicht, dass heute noch jemand daran rührt, dass sie einst Komplizen des DDR-Regimes waren.

Mit Kepler hat Elisabeth Herrmann eine im Krimi-Genre seltene Heldin geschaffen, nicht nur wegen ihres Berufs. Sie ist noch recht jung, Anfang dreißig, unauffällig, nicht übermäßig gebildet, mit einem kurzen, aber harten Leben hinter sich: das Waisenhaus, dann eine Pflegefamilie, aus der sie ausgebüchst ist, Drogenabstürze. Zäh hat sie sich aus dem schlechten Leben rausgeboxt. Für mehr als eine Tätigkeit im Reinigungsgewerbe hat es nicht gereicht, und da sie hart im Nehmen ist, muss sie immer wieder zu den Leichenfundorten. Ihr Chef, der raubauzige Dombrowski, hält große Stücke auf sie. Und sie ist stets auf die Wahrung der Würde der Toten bedacht, das Reinigen des Tatorts sieht sie als einen letzten Dienst an den Toten.

Die unfreiwillige Detektivin in eigener Sache macht den Lesern ein besonders hässliches Stück DDR-Geschichte nachvollziehbar – dass Staatsfeinden die Kinder weggenommen und ins Heim gesteckt wurden. Elisabeth Herrmann ist nicht die erste, die den Krimi-Stoff DDR entdeckt. Christian von Ditfurth, Roland Rauch und einige andere haben sich das Thema nicht entgehen lassen, Bernhard Sinkel hatte in ‚Bluff’ gar einen Spionagethriller über die Rosenholz-Dateien, jene legendären Klarnamen-Dateien von Auslandsspionen der DDR geschrieben, die auch in "Zeugin der Toten" eine Rolle spielen. Aber keine versteht es so gut – über ihre schlichte Heldin Judith Kepler –, die schrecklichen Auswirkungen des Verbrecher-Staats DDR an deren Kritikern und ihren Kindern vor Augen zu führen.

Natürlich tragen die Agenten in ihrer Erbärmlichkeit, der BND mit seinen High-Tech-Spielzeugen und die Erinnerungen wachrufenden Interzonenzüge dazu bei, dass die Geschichte farbig wird, aber getragen wird sie von Judith Kepler. Elisabeth Herrmanns leichte und doch starke Sprache, die überzeugenden Dialoge und ihre plastische Schilderung des Lebens im DDR-Kinderheim ebenso wie die spannende Erzählung der damaligen Geschehnisse zwischen zwei verfeindeten Staaten machen den Roman gut lesbar. So wünscht man sich starke deutsche Krimis: eine profilierte Heldin, ein gesellschaftspolitischer Plot, ein Blick auf die unbekannten Seiten unseres Landes.

Besprochen von Andrea Fischer

Elisabeth Herrmann: Zeugin der Toten
List Verlag, München 2011
432 Seiten, 19,90 Euro
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