Nach der Kunst kommt das Geld
18 Milliarden Dollar Schulden: Detroits Pleite war die größte in der US-Geschichte. Jetzt gibt es einen Plan für den Weg zurück nach oben. Der Aufschwung hängt von wenigen Leuten ab.
Es klingt romantisch, aber es sieht aus wie ein Albtraum. Stahlbeton-Träger ragen in die Höhe, eine riesige Grube ist gefüllt mit Backsteinen, Beton, Metallgittern, leeren Dosen. Das sind die Überreste der ersten Fabrik aus Stahlbeton in den USA, der damals modernsten Autofabrik in Detroit. Jetzt ist es ein Trümmerfeld, umgeben von einem leergezogenen Wohngebiet. Das ist Detroit:
Es sei ein Klischee, aber es sei eben auch real, das sei das Problem, sagt Josef Krause. Er wohnt schon sein ganzes Leben in Detroit, zuerst in den Vororten, jetzt direkt in der Stadt. Er engagiert sich in der Kunstszene, macht Musik – und will zeigen, dass seine Stadt anders ist, als viele denken:
"Wir sind dieser Periode überdrüssig, aber auch, dass diese Ruinen das Image von Detroit sind. Das Problem ist, dass es sie gibt, sie sind Teil der Geschichte. Die Leute sehen es als etwas besonders, weil sie in ihren Städten keine verlassenen Fabriken haben, aber das Leben finden bei den Lebenden statt."
Immer wieder gab es Versuche, Detroit neues Leben einzuhauchen – der Peoplemover ist einer davon. Die automatische Hochbahn wurde in den 80er-Jahren gebaut, sie umkurvt die Innenstadt, mit Stationen direkt in den Hochhäusern – damit keiner auf den Bürgersteig muss.
Jetzt rumpeln die Wagen oft leer durch die Stadt, sie überqueren Brachflächen, passieren alte Fassaden. Aber der erste Blick täuscht. Downtown Detroit erlebt nämlich eine Renaissance, und diesmal könnte sie nachhaltig sein:
"Wir haben jetzt Büros von Microsoft, von Twitter, von Google, es gibt Co-Working-Spaces und Kodierer. Hier hat ein Hacker-Marathon stattgefunden. Die Leute kommen aus dem Silicon Valley und sagen, sie wollen herziehen, weil der Co-Working-Space hier besser ist als in San Francisco oder Seattle."
Aufschwung hängt von wenigen Leuten ab
Hightech-Firmen haben Büros eröffnet, die Leute ziehen wieder in die Appartements, die Nachfrage hat Immobilien-Entwickler auf den Plan gerufen. Am kleinen Capitol Square kann man den Wandel sehen. Der Platz ist umstellt von historischen Gebäuden. Ein Ensemble, wie man es in anderen amerikanischen Städten kaum noch findet. Viele Fenster sind noch leer, Bäume wachsen auf den Dächern – aber das erste Eckhaus ist schon fertig, und vor den anderen Häusern stehen Bauschilder.
"Hier fängt die Renovierung bald an, das nächste Gebäude wird renoviert, das nächste ist die Rückseite des Cadillac-Hotels, eine 200 Millionen-Dollar-Renovierung."
Innerhalb eines Jahres ist aus dem verschlafenen Platz eine Baustelle geworden, innerhalb weniger Jahre wird er ein Platz sein, von dem Stadtentwickler überall träumen: Historische Fassaden, kleine Cafes, Geschäfte; Straßenleben, das helfen wird, die umliegenden Büros und Apartments teuer zu verkaufen.
Der Aufschwung der Detroiter Innenstadt hängt von wenigen Leuten ab, allen voran von Dan Gilbert. Er ist Geschäftsmann, ihm gehören ein Basketball-Team, ein Hockey-Team, ein Football-Team. Vor allem ist er aber Gründer von Qicken Loans. Das Unternehmen verkauft Hauskredite im Internet und hat seinen Chef reichgemacht. Gilbert wurde in Detroit geboren. Er entschied, mit seinem Unternehmen in die Innenstadt zu ziehen. Er kaufte Hochhäuser auf – und im Gegensatz zu Spekulanten renovierte er sie auch.
"Die Leute haben Downtown verlassen, es gab so viele Jahrzehnte mit so wenig Investitionen, dass die Gebäude im wahrsten Sinne zerfielen. Man kann Wolkenkratzer nicht allein mit Künstlern renovieren. Ich denke, die Frage war: Entweder kommt eine große Firma, oder der Tod."
"Ist es gut, dass nur drei Unternehmen den Großteil von Downtown besitzen? Es ist nicht die beste Situation. Aber ich akzeptiere es, besonders wenn sie Geschäfte öffnen, die Gebäude wieder mit Leuten füllen, Apartments bauen – all' die Sachen, die über Jahrzehnte gefehlt haben."
"Es ist ein guter Ort zum Leben"
Der Erfolg gibt den Investoren Recht – in der Innenstadt sind Wohnungen und Büros ausgebucht, es gibt die ersten Pläne, neu zu bauen. Auf den Brachflächen, zwischen den alten Gebäuden.
In Downtown Detroit bestimmen wenige große Immobilienentwickler, wie es weitergeht. wenn man die zentrale Woodward-avenue nach Norden fährt, erreicht man Midtwon Detroit. Hier besteht der Aufschwung aus vielen kleinen Projekten.
"Es ist ein guter Ort zum Leben. Ich habe in Cincinnati gewohnt, in Chicago, Los Angeles, New Orleans, New York. Von allen diesen Städten ist Detroit diejenige, die ich in diesem Moment meines Lebens bevorzuge – weil ich die vielen Möglichkeiten sehe."
Lawrence Williamson arbeitet seit drei Jahren für das gemeinnützige Stadtentwicklungs-Büro von Midtown.
Die Straße vor seinem Büro ist aufgerissen: Eine Straßenbahnlinie soll bald Downtown und Midtown verbinden. Drumherum füllen sich die Geschäfte, es gibt neue Apartment-Gebäude, seit kurzem ein Biosupermarkt. In anderen amerikanischen Großstädten eine Selbstverständlichkeit, hier ein Symbol für den Neuanfang von Detroit.
"Midtown ist ein Hybrid aus einer Innenstadt und einer normalen Nachbarschaft. Wir haben Einfamilienhäuser, Mehrfamilienhäuser, Büros, Geschäfte, eine Universität, ein Medizin-Center."
Lawrence und seine Kollegen versuchen, die Entwicklung des Stadtteils zu steuern. Wo können sich Geschäfte ansiedeln, wo gibt es Platz für junge Unternehmen? Eine Herausforderung für das Büro, das die Häuser nicht besitzt, die es verplant:
"Es ist eine Kombination, Visionen zu haben für Flächen, die einem nicht gehören, und dann anderen zu helfen, sich den Visionen anzuschließen. Am Ende profitieren beide Seiten davon."
Das Detroit Institut of Arts strahlt den früheren Reichtum aus
2011 ließ sich zum Beispiel Shinola hier nieder, ein Hersteller für Luxus-Fahrräder und Luxus-Uhren. Für 68 Millionen Dollar entsteht ein Gesundheits-Zentrum. In Midtown gibt es – wie in Downtown – Investoren, die etwas für Detroit tun wollten.
"Mir fallen drei Unternehmen ein, die gekommen sind, weil sie einen Beitrag leisten wollten. Sie öffneten ein Geschäft, weil sie etwas zurückgeben wollten. Am Ende zeigte sich aber: In ihrem Versuch, etwas Gutes zu tun, taten sie sich selbst etwas Gutes. Ihre Geschäfte liefen richtig gut."
Zu den Prunkstücken des Stadtteils gehört das Detroit Institut of Arts, das alt-ehrwürdige Kunstmuseum. Es strahlt den früheren Reichtum der Stadt aus. Eine Sammlung mit 60.000 Exponaten. Bilder von Rembrandt, Rubens und van Gogh, griechische Skulpturen, Französische Möbel, amerikanische Kunst.
Ein Prunkstück, das beinahe zerstört worden wäre. Das Museum stand nämlich im Mittelpunkt der Streits um die Detroiter Insolvenz. Investoren hatte gefordert, dass das Museum Bilder verkauft, um so die Schulden der Stadt abzutragen. Undenkbar für Pamela Marcil von der Museums-Leitung. Stifter gäben keine Kunst, um damit die Rechnungen der Stadt zu bezahlen:
Das gäbe Klagen und einen öffentlichen Aufschrei. Es hätten schon Leute angeboten, eine Kette um das Museum zu bilden, um die Bilder zu schützen.
Es sieht so aus, als wäre die Kette nicht mehr nötig. Das Museum kauft sich nämlich von der Stadt los. Dafür sind 816 Millionen Dollar nötig.
Es sieht so aus, als wäre die Kette nicht mehr nötig. Das Museum kauft sich nämlich von der Stadt los. Dafür sind 816 Millionen Dollar nötig.
Die Unterstützung für das Museum ist groß - das hängt mit der Arbeit der vergangenen Jahre zusammen: Das Museum schraubte an seinen Konzepten, veränderte die Ausstellungen - es ging darum, nicht für Kunsthistoriker attraktiv zu sein, sondern für die Leute in Detroit:
"Unsere Mission ist, Leuten zu helfen, persönliche Verbindungen zur Kunst aufzubauen. Das kann auf so viele verschiedene Weisen passieren. Wir haben unser Möglichstes getan, das zu vereinfachen. Und das Feedback und Umfragen zeigen, dass das sehr erfolgreich ist."
Sondersteuer für das Museum
Das Museum hat mehr Besucher - im vergangenen Geschäftsjahr waren es knapp 600.000. Dafür lädt es Rentnergruppen ein und holt Schulklassen, die zusammen mit Betreuern vor Bildern stehen und erzählen, was sie sehen:
Diese Programme sind möglich geworden, weil in drei Landkreisen der Region für das Museum eine Sondersteuer erhoben wird. Im Gegenzug müssen die Einwohner keinen Eintritt zahlen, erklärt Pamela Marcil:
"Die Leute kämen mal für eine Stunde. Freitagsabends gibt es unter anderem Livemusik - das sei sehr populär."
Damit belebt das Museum den Stadtteil Midtown – und profitiert gleichzeitig von seinem Aufschwung. Außerdem ist es Inspiration für Leute wie Sebastian Jackson:
"Ich wuchs in Joyroad auf, was ein sehr schlechter Stadtteil ist. Am Wochenende war ich bei meinen Großeltern in Sunnydale, was ein guter Stadtteil ist. Mein Großvater hatte Kunst. Eine Erfahrung, die meine Freunde nicht kannten. Ich denke aber, Kunst ist extrem wichtig, Künstler sprechen zu allen in der Gesellschaft, das vermischt alle. "
Sebastian betreibt einen Friseur-Salon, nur ein paar Straßen entfernt vom Kunstmuseum.
Auf den ersten Blick sieht seine "Social Club Grooming Company" aus, wie ein Friseursalon in einem Universitätsviertel aussehen kann: Robuster Holzboden, ein großes Sofa, die Wände vollgestellt mit Regalen, mit alten Jahresbänden von Medizin-Journalen. Am Eingang aber hat Sebastian eine Galerie mit Bildern von örtlichen Künstlern:
"Ich fand es sehr wichtig, dass Kunst in unserem Friseurladen vertreten ist. Auch die Friseure, die hier arbeiten, sind Künstler."
Sebastian ist 28 Jahre alt. Er sprüht vor Energie und Ideen. Er will mehr, als nur Haare schneiden. Das fängt schon dabei an, welche Leute er eingestellt hat:
"Detroit ist noch immer eine sehr getrennte Stadt. Es ändert sich, aber ich will bei dem Wandel helfen, indem wir unterschiedlichsten Leute einstellen."
Einwohnerzahl seit 1950 um 63 Prozent zurückgegangen
Seine Idee ist: Was im kleinen Friseur-Salon anfängt, kann am Ende die ganze Stadt verändern:
"Wir versuchen, wie man große Probleme lösen könnte, mit solchen kleinen Geschäften. Wenn du klein anfängst, und vergrößerst die kleinen Lösungen, dann kannst du die großen Probleme lösen."
Dafür lädt er regelmäßig zu "Shoptalks" ein. Zu Gast sind interessante Firmengründer, Musiker, Schauspieler. Sie lassen sich frisieren und reden dabei mit dem Publikum. Das eigene Geschäft kommt dabei natürlich nicht zu kurz – die Aktionen machen den Salon in der Stadt bekannt, Sebastian denkt schon darüber nach, wie er weitere Filialen eröffnen kann. Er sieht Detroit nicht als eine Stadt der Ruinen, er sieht sie als eine Stadt der Möglichkeiten:
"Weil das Haus kaputt und abgebrannt ist, gibt es uns die Möglichkeit, hineinzugleiten, für einen sehr günstigen Preis. Wenn du jemanden siehst, der das tut, sagst du dir – ich wollte doch auch immer ein Restaurant eröffnen. Und ich kann es mir leisten – vor allem in Detroit."
Es ist der Versuch, den Niedergang der Stadt in eine Chance umzudeuten. Die Einwohnerzahl von Detroit ist seit 1950 um 63 Prozent zurückgegangen. Jetzt wohnen hier rund 680.000 Leute. Zuletzt sanken die Einwohnerzahlen vor wenigen Jahren noch einmal erheblich, als die großen Autohersteller in der Krise waren.
"Wir stehen in North-Corktown, vor einem kleinen Park. Er ist von der gemeinnützigen Gruppe 'Greening Detroit' eingerichtet worden. Sie haben Bäume gepflanzt, daraus ist eine Baumschule geworden. Wenn die Bäume groß sind, werden sie ausgegraben und als Straßenbäume eingepflanzt."
Erklärt Josef Krause. Hinter dem Park rauscht der Verkehr über eine der Stadtautobahnen, die Detroit durchziehen. Gegenüber des Parks beginnen Wohnstraßen, an denen nur noch wenige Häuser stehen, umgeben von Brachflächen.
"Leute, die geblieben sind, machen es selbst"
"Die Baumschule belegt eine leere Fläche in der Nachtbarschaft, in der Häuser niedergerissen wurden. Es ist ein Park entstanden, außerdem nehmen die Bäume CO2 auf, von der Autobahn. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man in Detroit Sachen auf eigene Kappe macht. Eigentlich müsste ja die Stadt Straßenbäume pflanzen. Das tut sie aber nicht, weil sie pleite ist."
Die Gruppe gibt es seit 20 Jahren, seit hat schon 80.000 Straßenbäume gepflanzt. Sind Straßenbäume etwas, das Detroit ganz nötig braucht? Sicher nicht. Aber Josef Krause und den anderen aktiven Detroitern kommt es auf etwas anders an:
"Wenn man sich die Stadtverwaltung ansieht, kann man sagen: Was für ein Versagen! Aber wenn man sich einzelne Projekte ansieht, kann man sagen: Sie haben 80.000 Straßenbäume gepflanzt. Was die Stadt nicht konnte, haben sie gemacht."
"Das ist das Leidmotiv von dem, was gerade in Detroit passiert: Wer auf die Regierung wartet, damit etwas passiert, hat die Stadt längst verlassen. Leute, die geblieben sind, machen es selbst – auf eine sehr robuste Weise."