Deutsch-Abitur

Goethe! Schon wieder Goethe!

06:08 Minuten
Eine dreckige Statue von Goethe
Er thront über allem: Goethe. Und kommt noch immer in jeder Deutsch-Prüfung vor. © imago images / Norbert Neetz
Florian Werner im Gespräch mit Frank Meyer |
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Das Deutsch-Abitur hat sich seit Jahrzehnten kaum verändert. Texte von Goethe, Eichendorff oder Hesse dominieren die Literaturliste, neuere Werke sind rar. "Jeder DAX-Vorstand ist paritätischer und diverser besetzt", spottet der Kritiker Florian Werner.
In ganz Deutschland werden aktuell Abiturprüfungen geschrieben. Und wer den Deutsch-Leistungskurs gewählt hat, darf sich mit Goethe, Eichendorff oder Hesse befassen. "Als ich die Lektüreliste für das Deutsch-Abi gesehen habe, habe ich mich erst mal wahnsinnig gefreut, weil ich dachte, ich wäre wie der Doktor Faustus von Mephisto wieder in einen jungen Mann verwandelt worden, wäre plötzlich wieder 18 und würde auch ab Donnerstag Deutsch-Abi schreiben", sagt der Literaturjournalist Florian Werner. Denn die Bücherliste lese sich wie vor 30 Jahren. Neben dem Fehlen aktuellerer Titel bezeichnet Werner auch die Männerdominanz als frappant: "Jeder DAX-Vorstand ist weitaus paritätischer und diverser besetzt als die Listen."

Lichtjahre von einer repräsentativen Darstellung entfernt

Dass in Nordrhein-Westfalen Judith Hermanns "Sommerhaus, später", in Hessen und Bremen Juli Zehs "Corpus Delicti" und in Sachsen "Medea" von Christa Wolf – die einzige ostdeutsche Autorin auf der Liste – behandelt würden, sei löblich, betont Werner. Dennoch sei die Liste von einer repräsentativen Darstellung der heutigen Literatur Lichtjahre entfernt. Dabei gehe es nicht darum, einen Gegenkanon aufzumachen. Aber in einer Gesellschaft, die zur Hälfte aus Frauen bestehe und in der ein Viertel der Menschen einen Migrationshintergrund habe, sei vollkommen klar, dass ein Kanon dem Rechnung tragen müsse.
"Ich würde den Kultusministerinnen und Kultusminister doch mal einen Blick in die Gegenwartsliteratur empfehlen. Helene Hegemann, Lucy Fricke, Christian Baron, Saša Stanišić, Mithu Sanyal, Jackie Thomae, Terézia Mora, Alem Grabovac – lauter Autorinnen und Autoren, die auf allerhöchstem literarischem Niveau genau das verhandeln, was es bedeutet, heute auf Augenhöhe mit der gegenwärtigen und immer komplexer werdenden Welt zu sein."

Für einen Literatureinstieg ohne Hürden

Die Auseinandersetzung mit Sprachgeschichte finde auch in der Gegenwart statt. Sich dieser zu widmen, heiße nicht, dass man die Klassiker nicht lesen oder diskutieren solle. Es sei aber ein Problem, einen Kanon aufzumachen, der eine Hürde darstelle, um überhaupt in die Welt der Literatur einzutauchen.
Das Abitur lässt sich Werner zufolge jedenfalls sehr viel attraktiver, ansprechender, gegenwärtiger und aufregender gestalten: "Mein tiefes Mitgefühl gilt den Abiturientinnen und Abiturienten im Saarland. Die müssen zweimal Sophokles und dreimal Goethe lesen. Und ich muss sagen: Wer nach dieser Packung noch mal freiwillig ins Theater geht, hat sich sein Abitur wirklich redlich verdient."
(hte)
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