Wie alte Freunde?
Der wirtschaftliche Austausch zwischen Deutschland und den USA ist traditionell intensiv: Viele Firmen haben im jeweils anderen Land Standorte. Noch engere Handelsbeziehungen wollen aber nicht alle - wie der Protest gegen das TTIP-Abkommen zeigt.
"Es gibt eine Menge, was Amerikaner von Deutschland lernen können, wir sind ein sehr, sehr gutes Beispiel."
Wir, das sind die US-Amerikanerin Shefali Sharma und der Deutsche Peter Fuchs. Das Paar sitzt am Küchentisch seiner Wohnung in Berlin- Friedrichshain. Die beiden arbeiten für Nichtregierungsorganisationen: Sharma für das US-Institut for Agriculture and Trade Policy. Fuchs hat Powershift gegründet, eine kleine NGO, die sich unter anderem mit internationalen Handelsfragen beschäftigt. Beide engagieren sich schon seit mehr als zwei Jahrzehnten für internationale Wirtschaftsbeziehungen, in denen nicht die Interessen von Kapital und Konzernen, sondern von Menschen Priorität genießen. Lernen könnten die Deutschen auch einiges von den Amerikanern, findet Peter Fuchs:
"Von der Musik über die erneuerbaren Energien bis zu Offenheiten vielleicht für unterschiedliche Lebensstile in den Nischen der Gesellschaft, aber wir müssen auch aus den Fehlern und den Unterdrückungs- und Zerstörungsrealitäten in den USA lernen und die Fehler nicht nachmachen."
Das deutsch-amerikanische Paar blickt kritischer auf die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen als die Regierungen in Berlin und Washington und sieht anders als diese wenig Grund zum Feiern.
USA als Partnerland der Hannover Messe
"And now please welcome, the Chancellor of the Federal Republic of Germany Dr. Angela Merkel."
Hannover Messe im April 2016. Partnerland bei der wohl weltweit wichtigsten Industriegüterschau sind diesmal die Vereinigten Staaten. 400 Aussteller aus den USA präsentieren im April ihre Produkte, vier Mal so viele wie sonst.
Angela Merkel: "Meine Damen und Herren, über die transatlantische Partnerschaft wird viel und oft gesprochen – zu Recht und aus unzähligen Gründen. Aber hier auf der Hannover Messe wird eben nicht nur darüber gesprochen. Hier wird diese einzigartige Partnerschaft direkt erlebbar und erfahrbar."
Kein Land ist so wichtig für die deutsche Wirtschaft wie die USA. Seit 2015 sind die Vereinigten Staaten Deutschlands größter Handelspartner, vor Frankreich.
Die Amerikaner sind der wirtschaftliche Goliath in der Beziehung, alleine die wirtschaftliche Leistung von Kalifornien und Texas entspricht der von Deutschland. Goliath kauft bei David aber deutlich mehr ein als umgekehrt. Deutsche Unternehmen exportierten für knapp 114 Milliarden Euro Waren in die USA. Amerikanische Firmen verkaufen Waren für gut 59 Milliarden Euro nach Deutschland.
Deswegen liegt der deutsche Exportüberschuss bei 55 Milliarden, so viel wie bei keinem anderen Handelspartner Deutschlands.
Angela Merkel: "Wir wissen, dass die Bilanz nicht ganz ausgeglichen ist. Das wollen wir aber sozusagen nicht in den Verhandlungen dauernd vorgehalten bekommen. Und wenn, dann muss es durch fairen Wettbewerb ausgeglichen werden. Ich will jetzt hier bestimmte Worte gar nicht nennen, 'Buy German' ist auch schön."
Anspielung auf Slogan "Buy American"
Die Bundeskanzlerin spielt damit auf den in den USA verbreiteten Slogan "Buy American" an, mit dem amerikanische Konsumenten ermuntert werden, heimische Waren zu kaufen.
Trotz aller Feierlichkeit und Freundlichkeit blitzen bei Merkels Rede ökonomische Rivalitäten auf, auch wenn sie charmant formuliert sind.
Angela Merkel: "Wir lieben den Wettbewerb, aber wir gewinnen auch gerne."
Die USA verdächtigen Deutschland unfair zu agieren, genauso wie China, Japan, Südkorea oder Taiwan. Das US-Finanzministerium hat sie alle auf eine Beobachtungsliste gesetzt. Deutschland erfüllt zwei von drei Kriterien der US-Regierung für unfairen Handel: einen großen Handelsüberschuss, der zudem auch noch mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt.
Die Richtung der Handelsströme ist aber nicht in Stein gemeißelt.
Mit schnittigen Fahrzeugen, inklusive Stromantrieb und Selbstfahrmodus revolutioniert das US-Unternehmen Tesla gerade den Bau von Elektroautos. Und auch Google arbeitet an selbstfahrenden Fahrzeugen. Rollen die Amerikaner die Autofertigung auf, das wirtschaftliche Rückgrat Deutschlands?
"Ja, das ist natürlich eine der Kernfragen."
Sagt Jürgen Matthes, der beim arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft die Abteilung Internationales leitet.
"Eine der Kernfragen gerade für die wichtige Automobilindustrie hier in Deutschland, ob die wahnsinnig innovativen Global Player wie Google irgendwann mit ihrem Technologievorsprung zumindest im Bereich der Internetdienstleistung dann tatsächlich den Rang ablaufen können, was auch nachher die Produktion von Autos und die Ingenieurtechnik, die darin steckt, dann betrifft."
Diverse US-Konzerne krempeln die Wirtschaft um
Google, Facebook, Apple oder Uber – diverse US-Konzerne krempeln die Wirtschaft um, für manch deutsches Unternehmen eine echte Bedrohung. Man denke an Amazon und die Veränderungen im deutschen Einzelhandel. Die Folgen sind sichtbar, erst verschwanden viele Buchläden, dann viele andere Einzelhändler aus den Innenstädten.
Das Silicon Valley empfinden viele deutsche Unternehmer aber nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Quelle der Inspiration.
Ende der 60er-Jahre pilgerten Hippies nach Kalifornien, heute reihenweise Manager deutscher Unternehmen. Andererseits sind die Deutschen seit der Banken- und Finanzkrise, die mit der Immobilienkrise 2007 in den USA ihren Anfang nahm, selbstbewusster geworden.
So sieht es auch der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser:
"Alle, die vor 2008 eine vernünftige deutsche Position gesehen haben, und gesagt haben, die deutsche Wirtschaft ist stark und wird sich behaupten, waren ziemlich allein auf weiter Flur."
Auf verlorenem Posten schien die deutsche Wirtschaftskultur, die traditionell auf langfristige Beziehungen setzt, ob zwischen Firmen, Firmen und Banken oder Unternehmen und ihren Beschäftigten. Auf dem Vormarsch waren flexiblere Beziehungen und eine einseitige Fokussierung auf den Gewinn der Aktionäre, den sogenannten Shareholder Value, beides Merkmale der amerikanischen Wirtschaftskultur.
Deutschland und die USA nahmen Anfang des 20. Jahrhunderts wirtschaftlich eine ähnliche Entwicklung.
Werner Abelshauser: "Deutschland und die Vereinigten Staaten waren die ersten Länder, die sich stärker auf die wissenschaftliche Unterfütterung der Produktion gekümmert haben zum Beispiel in der Großchemie, also ein Produktionsprozess bei dem die materielle Wertschöpfung, also die Umformung von irgendwelchen Materialien immer weiter in den Hintergrund tritt und die immaterielle Wertschöpfung immer stärker wird. Das war zwar im Einzelnen sehr unterschiedlich in beiden Ländern, aber im Vergleich zur 'first industrial nation', also zu England, war das ein großer Schritt in eine neue Ära."
Bei der Art der Produktionsweise schlugen Deutschland und Amerika jedoch unterschiedliche Wege ein. In den USA dominierte das Prinzip der Fließbandfertigung, bei der man viele angelernte Arbeitskräfte einsetzte. Hierzulande setzte man vor allem auf die Entwicklung qualitativ hochwertiger Maschinen und Produkte. Für German Engineering braucht man eine Menge qualifizierter Arbeitskräfte, Ingenieure und Facharbeiter.
Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung stiegen die Erwartungen der USA an Deutschland im Wirtschaftsbereich. Präsident George H. W. Bush bot der Bundesregierung unter Helmut Kohl eine Ausdehnung der "Partnership in leadership" auf den Wirtschaftsbereich an.
Große Erwartungen nach der Wiedervereinigung
US-Firmen wurden nach der Wiedervereinigung größter ausländischer Investor in den neuen Bundesländern. Opel eröffnete ein Werk in Eisenach. Der US-Halbleiterhersteller AMD baute eine Fabrik in Dresden. Der Glashersteller Corning investierte in Sachsen-Anhalt. Mittlerweile hat AMD seine Fabrik verkauft. Auch die US-Regierung war ernüchtert.
Der Politikwissenschaftler Andreas Falke schreibt mit Blick auf die Zeit der Zuversicht nach der Wiedervereinigung:
"Doch wurden diese Erwartungen enttäuscht, da die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Deutschlands, die die Vereinigung mit sich brachte, den deutschen Handlungsspielraum einschränkten."
Die Bundesregierung setzte andere Prioritäten.
"Deutschland konzentrierte sich zumal stärker auf die europäische Integration und das französische Verhältnis."
Und es gab Krach.
"Zudem gab es eine Reihe von bilateralen Marktzugangs- und regulatorischen Konflikten, die mit der Offenheit des vereinigten Deutschlands als Investitionsstandort zusammenhingen. Aber auch auf deutscher Seite gab es Beschwerden über gesetzliche Zugangsbeschränkungen zum amerikanischen Telekommunikations- und Logistikmarkt."
Werner Abelshauser: "Paradoxerweise wurde zwar Deutschland stärker, aber was die Ausstrahlung der amerikanischen Wirtschaftskultur nach Deutschland angeht, hat sich in den 90er-Jahren so etwas angedeutet wie die völlige Aufgabe der deutschen Stärken. Es sah eine Zeit lang so aus, als ob die deutsche Industrie immer stärker von amerikanischen Regeln geprägt würde und sozusagen die amerikanischen Methoden übernehmen würden."
Was war geschehen?
Auf den Boom der Wiedervereinigung war eine wirtschaftliche Schwächephase gefolgt. Deutschland galt plötzlich als kranker Mann Europas. Die Deutschland AG geriet unter Druck. Der amerikanische Kapitalismus schien der klare Gewinner der Geschichte zu sein.
Hohe Wachstumsraten und die Möglichkeit, schwankende Wechselkurse durch eine Fertigung vor Ort auszugleichen lockten deutsche Firmen in die USA.
Deutsche Firmen in die USA gelockt
"Good afternoon Ladies and Gentleman, today we have invited you here, today to tell you about our plans to merge Daimler Benz and Chrysler."
1998 verkündete Daimler-Chef Jürgen Schrempp den Kauf des US-Konkurrenten Chrysler. Dann übernahm die Deutsche Bank die Investmentbank Bankers Trust. Die Telekom schluckte Voicestream.
Viele deutsche Firmen sind heute jenseits des Atlantiks vertreten und die Amerikaner bemühen sich um weitere Ansiedlungen.
"1200 companies, foreign Companies are operating in the state."
So wie hier auf der Hannover Messe. Lobbyisten des US-Bundesstaates South Carolina informieren bei einer Veranstaltung über die besonderen Vorteile des Standortes im Südwesten der USA. Sie präsentieren eine beeindruckende Landkarte mit unzähligen Logos europäischer Firmen wie die Autobauer BMW und Daimler oder der Chemiehersteller Lanxess.
"So from 2011 we located roughly 500 companies in the state, representing over 17 Billion Dollar in direct investment."
Seit Anfang der 1990er-Jahre stiegen die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in den Vereinigten Staaten um das Siebenfache. Auf 224 Milliarden US-Dollar.
Im gleichen Zeitraum haben sich die amerikanischen Direktinvestitionen in Deutschland knapp vervierfacht. Auf 115 Milliarden US-Dollar. Das Verhältnis könnte sich weiter verschieben.
O-Ton Tagesschau: "Der Entwickler von Glyphosat, der US-Konzern Monsanto steht heute im Fokus an den Finanzmärkten. Grund dafür sind Pläne des deutschen Chemie- und Pharmakonzerns Bayer, den Saatgutriesen zu übernehmen."
62 Milliarden US-Dollar bot Bayer im Mai für Monsanto. Anders als solche strategischen Investoren sind die Amerikaner in Deutschland auch besonders als Finanzinvestoren aktiv.
Finanzinvestoren wollen möglichst kurzfristig den Wert eines Unternehmens für die Investoren steigern und ihre Beteiligung dann weiterverkaufen, sie haben kein strategisches Interesse. So machte es beispielsweise der Investor Advent mit der Parfümeriekette Douglas oder KKR mit dem Haushaltsgerätehersteller WMF. Auch deutsche Unternehmenslenker sind seit dem globalen Siegeszug der angelsächsischen Variante des Kapitalismus auf den Shareholder fixiert.
Dennoch: Nach dem Schock der Finanzkrise besann sich Deutschland auf eigene Stärken, sagt Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser:
"Erst 2008 war klar, dass dieser Kulturkampf zwischen der deutschen und der amerikanischen Wirtschaft, der vor allem natürlich von der amerikanischen Kapitalmarktwirtschaft geprägt wurde, dass dieser Kulturkampf nicht absolut entschieden ist, sondern dass die deutsche Wirtschaft durchaus eine sehr sehr starke Position hat, und die nur hat, weil sie ihre eigene Wirtschaftskultur, ihre eigenen komparativen Wettbewerbsvorteile ausspielen kann."
Mit Erfolg.
Werner Abelshauser: "40 Prozent der Weltmärkte sind ein Gebiet, das die deutsche Wirtschaft an erster Stelle beherrscht."
Regionale Produktionsnetze als Rückgrat der Wirtschaft
Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft sind regionale Produktionsnetze, in die neben Konzernen auch viele kleine und mittlere Unternehmen eingebunden sind, Spezialisten, die häufig in einer Nische sogar Weltmarktführer sind.
Werner Abelshauser: "Zum Beispiel Ostwestfalen-Lippe ist so ein System, das in all diesen Verbundsystemen es egal ist, wer den Auftrag bekommt am Weltmarkt, es sind immer alle dabei. In dieser Geschlossenheit ist die deutsche Wirtschaft sehr, sehr wettbewerbsfähig. Das hat sich allerdings erst im öffentlichen Diskurs durchgesetzt, nach dem Schock der Bankenkrise von 2008, als klar wurde, dass es eben nicht risikolos war, diese amerikanische Methode anzuwenden, wie es bis dahin ja hieß, sondern das es außerordentlich gefährlich war. Und von daher gibt es jetzt eine gewisse Hoffnung, dass sich das wieder, dieses Verhältnis USA – Deutschland, wieder einigermaßen austariert, sodass beide ihre jeweiligen Vorteile davon haben. Das ist etwas, was nur funktioniert, wenn die deutsche Wirtschaftskultur überlebt. Und genau in dieser Situation sind wir jetzt."
Deutschland ist längst vom kranken Mann Europas zur ökonomischen Lokomotive des Alten Kontinents avanciert. Das US-Wirtschaftsmagazin Forbes kürte Angela Merkel sechs Mal hintereinander zur mächtigsten Frau der Welt. Wirtschaftlich machten sich Deutschland und die USA auf den Weltmärkten wenig Konkurrenz, findet Abelshauser:
"Diese nachindustrielle Produktion in Deutschland als Maßschneiderei, in den USA als Massenproduktion, die ist das Kennzeichen der deutschen und der amerikanischen Nähe in der wirtschaftlichen Entwicklung, wobei klar ist, dass dennoch beide Länder sich keine große Konkurrenz am Weltmarkt machen, also die USA sind ja die Nr. 1 der deutschen Exportziele geworden in jüngster Zeit und trotzdem gibt es keine Konkurrenz zwischen den beiden Ländern, man teilt sich den Markt, man hat jeweils andere komparative Wettbewerbsvorteile, die man ausspielen kann, man kommt sich nicht besonders in die Quere."
Jürgen Matthes: "Also die deutsche Wirtschaft ist natürlich auch in den USA stark in ihren Traditionsbranchen, das ist natürlich die Automobilindustrie, ist natürlich auch der Maschinenbau, ist die Elektrotechnik, Chemie, das sind die großen Branchen in denen Deutschland, aber nicht nur in den USA, sondern weltweit stark ist."
Sagt Wirtschaftsforscher Jürgen Matthes:
"Die USA ihrerseits sind über ein breites Spektrum stark, wir kennen natürlich auch hier die großen multinationalen Unternehmen aus den USA, sei es Ford oder sei es Opel, also General Motors, McDonalds, die ganz großen Branchen."
Zu den großen US-Unternehmen in Deutschland gehören auch der Chemieriese Dow Chemical, der Konsumgüterkonzern Procter & Gamble, der Computerbauer HP, der Tabakfabrikant Philip Morris, der IT-Konzern IBM, General Electric und die beiden Autobauer, die General-Motors-Tochter Opel sowie Ford.
In Köln ist die Europazentrale von Ford. Hier wird in der Haupthalle auf zwei Fließbändern der Fiesta produziert. An einer Station bauen Roboter Windschutzscheiben in die Karosserie ein, an anderer Stelle wird der Motorblock verbaut. Bei Vollauslastung des Werkes läuft alle 33 Sekunden ein Auto vom Band.
Chef von Ford Europa und der Amerikanischen Handelskammer
Bernhard Mattes ist Chef von Ford Europa und gleichzeitig auch Präsident der Amerikanischen Handelskammer in Deutschland, einer wichtigen Lobbyorganisation:
"Die Unternehmen beiderseits des Atlantiks sind sehr, sehr stark miteinander vernetzt. Und wir haben viele, viele Unternehmen, die aus den USA hier in Europa investieren, Europa ist nach wie vor außerhalb der USA der größte Investitionsstandort für die US-amerikanischen Unternehmen."
Unternehmen beider Länder produzieren in großem Stil im anderen Wirtschaftsraum. So gibt es bei deutschen Unternehmen in den USA rund 620.000 Arbeitsplätze und umgekehrt rund 800.000 Jobs bei amerikanischen Firmen in Deutschland.
Bernhard Mattes: "Wenn ich mir die wirtschaftlichen Beziehungen anschaue, dann ist der transatlantische Handel nach wie vor einer der größten auf der ganzen Welt, aber auch die politischen Beziehungen sind nach wie vor sehr, sehr intensiv, wenn sie mit deutschen Abgeordnete sprechen, so sind die in sehr gutem Kontakt mit ihren amerikanischen Kollegen, das Gleiche gilt auch andersrum. Das heißt also, die transatlantischen Beziehungen leben, sind sehr aktiv und sind eine Grundlage auch letztlich des Wohlstandes, den wir hier in Europa haben."
Die US-Handelsministerin TTIP-Werbe-Tour
"Hi, I'm Penny Pritzker, very nice to meet you." / "Very nice to meet you."
Begrüßt die US-Handelsministerin Penny Pritzker ein Dutzend Journalisten bei einem Gespräch auf der Hannover-Messe. Der Besuch von Präsident Obama hier zeige:
"How important the relationship is between the United States and Germany and ... values the commercial partnership."
Wie wichtig die Beziehung ist zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland und wie hoch unsere Länder die Handelsbeziehungen bewerten. Die Erwartungen sind groß:
Penny Pritzker: "The world is changing very fast. And it's important that we're shaping the global economy and not it shaping us."
Die Welt verändert sich ziemlich schnell. Und es ist wesentlich, dass wir die Weltwirtschaft gestalten und nicht sie uns. Deswegen brauche man TTIP, das Handelsabkommen zwischen den USA und der EU:
"Wir stellen gemeinsam 40 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Doch wir repräsentieren sehr viel mehr als das, wir repräsentieren die entwickelte Welt und diejenigen, die den Handel des 21. Jahrhunderts gestalten wollen."
Gestalten durch Rahmen und Regeln wie TTIP. Aber in Hannover demonstrieren parallel zur Messe Zehntausende gegen das Abkommen, wie zuvor schon in Berlin.
Christoph Bautz: "Wir sind empört, wenn im Geheimen Abkommen ausgehandelt werden, zu denen nur Banken und Konzerne Zugang haben. Und genau das ist der Grund, warum hier 250.000 Menschen demonstrieren."
Wetterte Christoph Bautz von der Kampagnenplattform Campact bei der Abschlusskundgebung im Schatten der Siegessäule. Die US-amerikanische und die deutsche Regierung sind Verbündete, wenn es um die Liberalisierung des Handels geht. Aber wer von den beiden gibt die Richtung vor?
Peter Fuchs: "Auf der Oberfläche ist es relativ klar, die USA waren schon in der Welthandelsorganisation, schon in den Vorläuferrunden des GATT, der zentrale ökonomische und politische Player der Weltwirtschaft. Man sprach dann darüber hinaus von den großen vier Mächten in der WTO, dazu gehörte dann noch die Europäische Union als Ganze mit Deutschland als einem wichtigen Player, Kanada und Japan, später kamen dann China, Indien und andere Player dazu, das Bild wurde und ist ja mittlerweile komplizierter."
Protest gegen die Macht der wirtschaftlichen Elite
Sagt der Aktivist und TTIP-Gegner Peter Fuchs:
"Aber die USA bleiben die zentrale westliche Supermacht im ökonomischen und politischen Sinne, wobei eben das Modell, für das die USA ganz klar stehen, das neoliberale Globalisierungsprojekt ja auch in eine tiefe Krise geraten ist, auch die Hegemonie der USA in eine ziemliche Krise geraten ist."
Fuchs sitzt in seiner Berliner Wohnung gemeinsam mit seiner Frau, der Amerikanerin Shefali Sharma. Er hat die NGO Powershift gegründet, die sich unter anderem mit dem internationalen Handel beschäftigt. Sie arbeitet beim Institute for Agriculture & Trade Policy, einer US-NGO. Mitte der 1990er-Jahre lernten sich beide bei einer Konferenz von Globalisierungskritikern in Genf kennen, vor wenigen Jahren heirateten sie.
Shefali Sharma: "Deutschland ist sehr populär in den Vereinigten Staaten. Es ist eine der wenigen Volkswirtschaften der Welt mit einem Handelsüberschuss, während die USA ein massives Defizit haben. Die meisten Amerikaner denken im Allgemeinen, dass Europa ein interessanter Platz ist, doch der durchschnittliche Amerikaner weiß nichts über TTIP. Die Politiker aber und ihre Unterstützer aus den großen Konzernen sehen ein großes Potenzial für mehr und billigere Exporte. Dabei widerspiegeln schon die heutigen Produktionskosten nicht den wahren Preis. Ich arbeite über den Nahrungssektor zum Beispiel und speziell über die Fleischindustrie und sie ist dafür ein perfektes Beispiel in puncto Arbeitskosten und Umweltregeln. Wir produzieren ziemlich billig, aber wir verletzen die Menschenrechte und verstoßen gegen den Tierschutz in diesem Prozess."
Den wirtschaftlichen Kurs der politischen Eliten aus den USA und der EU lehnt Shefali Sharma ab.
Shefali Sharma: "Ich bezeichne die US-Wirtschaft als Turbokapitalismus. Die USA personifizieren einen Kapitalismus der Extreme. Wir leiden unter den Konsequenzen, die Finanzkrise ist nur ein Beispiel dafür. Aber halte ich die USA für den einzigen Bösen in dem Spiel? Nein, ich denke die EU will diesen Turbokapitalismus übernehmen. Ich habe die Veränderungen gesehen als ich nach Europa kam 2001, sogar in der Schweiz."
Turbokapitalismus und Deregulierung
Damals hätten Geschäfte noch am frühen Abend geschlossen. Aber einige Jahre später seien die Öffnungszeiten verlängert worden, auch in Deutschland. Das sei nur einer von vielen Schritten der Deregulierung gewesen. Vor allem jedoch hätten die USA und Deutschland oft am gleichen Strang gezogen, wenn es um die Liberalisierung der Weltmärkte gegangen sei, sagt ihr Mann Peter Fuchs:
"Wir hatten den Eindruck, Deutschland war lange Zeit innerhalb der EU, neben vielleicht den Holländern, den Schweden, den Briten, eine Trutzburg der ganz knallharten liberalen und konzernfreundlichen Außenwirtschaftspolitik."
Doch hinter den Kulissen gab es auch Reibereien.
Peter Fuchs: "Es war unter bestimmten Regierungen gerade sozialdemokratischer Couleur zwischendurch in den Hinterzimmer-Gesprächen der Diplomaten eine Feindschaft zu hören, gegenüber den USA, weil die so übel unilateral vorgehen würden. Aber neben dieser versteckten Feindschaft gab es wie in einer Hassliebe immer auch die enge Kooperation der Eliten, der transatlantischen Eliten für die liberale Weltwirtschaftsordnung und dieses Konfliktpotenzial unterschiedlicher Strategien, aber auch unterschiedlicher innenpolitischer Konstellationen zwischen Deutschland und den USA zeigt sich jetzt in radikal verschärfter Weise in der TTIP-Auseinandersetzung und das macht es spannend und eröffnet uns Möglichkeiten endlich auch mal zumindest Deutschland und Teile der EU raus zu brechen aus diesem Washington Consensus und aus dem westlichen Block des Freihandels und der Konzernrechte."
Langjährige Beziehungen verändern sich oft, wenn Dritte auftauchen und Bedeutung gewinnen. So auch das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland. China öffnete sich ab 1989 wirtschaftlich und wurde immer attraktiver für Unternehmen.
Bernhard Mattes, Präsident der deutsch-amerikanischen Handelskammer:
"Nun, es ist ja vielfach so, dass was gut läuft und das was auch die Grundlage für viele andere Dinge ist, wird auch häufig als ein Gegebenes hingenommen, und das wo Wachstum sich abspielt, da wo Innovation sich abspielt in ganz anderer Dimension, wie zum Beispiel jetzt, wenn ich den asien-pazifischen Raum anschaue, dann interessiert sich jeder dafür. Trotzdem gilt immer noch, der transatlantische Handel ist der größte weltweit. Das was derzeit in Verhandlungen ist, nämlich ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Amerika zu schaffen, würde den größten Markt der Welt schaffen."
China als neuer riesiger Markt
China ist ein gigantischer neuer Markt, aber auch ein Konkurrent. Entsprechend widersprüchlich die Wirkung auf das Verhältnis der USA zu Europa. Mal befürchten die Europäer die Abwendung der USA vom Alten Kontinent, dann wiederum agieren beide gemeinsam, um den Chinesen Paroli zu bieten. Setzten die Amerikaner geopolitisch andere Prioritäten?
Jürgen Matthes: "Den Eindruck kann man schon haben, dass sich generell der Blick, nicht nur der wirtschaftliche, sondern auch der politische Blick der USA stärker aus ihrer Sicht dann nach Westen gerichtet hat, also in den asiatisch pazifischen Raum."
Sagt Jürgen Matthes, vom Institut der deutschen Wirtschaft. Den USA gehe es um die Behauptung ihrer Vormachtstellung im Pazifik. Dazu solle auch das Handelsabkommen Trans-Pacific-Partnership beitragen, an dem zwölf Staaten beteiligt sind, aber eben nicht China.
Jürgen Matthes: "Da sieht man schon ein bisschen sozusagen auch die Strategie, die aus den USA gefahren wird und die natürlich auch die wirtschaftliche Macht Chinas, soweit das noch möglich ist, irgendwie einhegen wollen."
Politiker aus den USA und Deutschland propagieren – gerade mit Blick auf China - immer wieder, man müsse Standards für Wirtschaft, Soziales und Umwelt setzen, solange der Westen dafür noch die notwendige Macht habe. Die politische Aktivistin Shefali Sharma ärgert sich:
"Asien wird als Sündenbock gebraucht, in den USA genauso wie in der EU. Wenn man schaut wie Obama das Transpacific-Partnership-Abkommen begründet hat, es ging immer um China. Der Teufel China. Und ich höre die gleiche Rhetorik hier in der EU, dass das TTIP wichtig sei, auch um die Position gegenüber China zu behaupten. Aber es ist nicht wahr, ich meine, es ist einfach Rhetorik. Die EU will auch ein bilaterales Abkommen mit China erreichen und die USA überlegen auch, was sie tun können."
Welche Wirkung hat der Brexit?
Den USA ist auch elementar an einem geeinten Europa gelegen. Das machte US-Präsident Barack Obama in seiner Rede bei der Hannover Messe klar. Zwei Monate später haben sich die Bürger in Großbritannien mehrheitlich für den Austritt ihres Landes aus der EU entschieden. Vollzieht Großbritannien den Austritt, könnten die Wirtschaftsbeziehungen der USA zu Deutschland noch enger werden, weil der traditionell engste Verbündete der USA nicht mehr Mitglied der Union ist. Aber es könnte auch anders kommen, wenn Donald Trump Präsident wird und bei der Wirtschaft einen isolationistischen Kurs einschlägt, wie es ihn schon mehrfach in der Geschichte der USA gab.