Führungsmacht der Widersprüche
China ist auf der Weltbühne als strategischer Akteur angekommen. Selbstbewusst inszeniert sich die Volksrepublik als Alternative zu Trumps USA. Und die Kanzlerin spricht von einem Verbündeten gegen die "Unruhe der Welt." Keine Frage: China ist ein unentbehrlicher Partner für Deutschland und die Welt geworden. Aber eben auch ein Partner voller Widersprüche, der mit großer Vorsicht zu genießen ist.
China als neue Hoffnung auf dem internationalen, politischen Parkett. Als neue Führungsfigur im Konzert der Großen und der Mächtigen. Wenn man so will, hat US-Präsident Donald Trump mit seiner protektionistischen und klimaskeptischen Politik das kommunistische China erst in die Lage versetzt, plötzlich als Vorreiter für Freihandel und Klimaschutz zu gelten. Aber taugt China für diese Rolle? Nein! Und wenn: nur sehr bedingt. China bleibt ein Partner extremer Widersprüche.
Der Kritiker des Protektionismus schottet sich selbst ab
Da ist zum einen die Handels- und Wirtschaftspolitik. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping inszeniert sich regelmäßig als Protagonist der Globalisierung und füllt diese Rolle verbal mit Begeisterung aus. Ob beim Weltwirtschaftsforum in Davos Anfang des Jahres oder zuletzt beim Gipfel zur Neuen Seidenstraße in Peking. Er malt eine Welt der freien und friedlichen Handelsbeziehungen. Gibt sich als Vorkämpfer gegen Protektionismus. Zuhause schottet China aber seine Märkte für ausländische Unternehmen strikt ab. Erzwungener Technologietransfer, Joint-Venture-Zwang, Benachteiligungen bei Vergabeverfahren.
Chinas Rolle im Freihandel ist mehr als fragwürdig. Aber wenn der chinesische Präsident von Globalisierung redet, applaudieren die meisten artig. Ob die Unternehmensführer in Davos oder die Staats- und Regierungschefs beim G20-Gipfel in Hamburg. Sie sollten Xi Jinping beim Wort nehmen.
Widersprüchliche Klimapolitik
Ebenso widersprüchlich ist Chinas Rolle im Klimaschutz. Zwar investiert China wie kein anderes Land in erneuerbare Energien, aber China produziert auch so viele schädliche Treibhausgase wie kein anderes Land der Welt und bleibt damit der weltweit größte Klimasünder. Die Maßnahmen zur Klimapolitik werden in den chinesischen Provinzen nur sehr halbherzig umgesetzt.
China hat sich noch längst nicht vom größten Klimasünder zum Vorreiter im Klimaschutz gemausert. Auch da sollte man China spätestens beim Weltklimagipfel im November in Bonn beim Wort nehmen. Konstruktive Vorschläge im Klimaschutz einfordern und die Bereitschaft, ohnehin erreichbare Ziele zu übertreffen. Das wäre Führung.
Eine Globalisierung chinesischer Prägung
Wie würde eine Globalisierung nach Gusto Chinas überhaupt aussehen? Das Lieblingsprojekt der chinesischen Führung ist die so genannte Neue Seidenstraße. Sie ist Kern der geopolitischen Strategie Chinas: Häfen, Hochgeschwindigkeitszugstrecken und Straßen, Kraftwerke und Windparks sollen entstehen. Ein neues Handelsnetzwerk zwischen Asien, Afrika und Europa. China spricht von einer neuen Ära der Globalisierung.
Man muss wohl aber eher vor der Globalisierung chinesischer Prägung warnen. Denn nichts deutet derzeit daraufhin, dass die Neue Seidenstraße wirklich als gemeinsame Initiative geplant und gedacht ist. Damit es das wird, wären klare Vergaberegeln und Transparenz nötig. Ein Freihandel, der auf Regeln basiert. Bislang sieht es aber so aus, dass China mit der Neuen Seidenstraße vor allem seinen globalen Einfluss ausbauen will, in dem es Abhängigkeiten schafft, bilateral und intransparent vorgeht.
Defizite in Sachen Menschenrechte
Für eine internationale Führungsrolle bräuchte es zudem eine wertebasierte und menschenwürdige Politik. Aber um die Menschenrechte in China steht es nach wie vor schlecht. Seit Amtsantritt von Parteichef Xi Jinping hat die Repression im Land noch zugenommen. Kritische Blogger, Journalisten und Professoren, Bürgerrechtsanwälte und Andersdenkende: sie alle leben in China in einem Klima der Angst.
Dazu der höchst unwürdige Umgang Chinas mit dem todkranken Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo. Trotz Leberkrebs im Endstadium bleiben die Appelle seiner Familie, von Freunden, Politikern und Menschenrechtsorganisationen, ihn freizulassen, vergeblich. China kennt keine Gnade mit seinem bekanntesten Dissidenten Liu Xiaobo, und wird ihm wahrscheinlich bis zum letzten Atemzug keine Minute in Freiheit schenken. Weil er todkrank ist, wurde er lediglich vom Gefängnis ins Krankenhaus verlegt.
Ohne China geht es nicht - ohne Kritik an China auch nicht
Aber von einer kritischen China-Politik haben sich die meisten Länder verabschiedet. Länder wie Ungarn, Griechenland oder Großbritannien haben sich längst kaufen lassen und haben teils sogar öffentlich angekündigt, die Chinesen mit dem Thema Menschenrechte nicht mehr nerven zu wollen.
Ohne China geht es nicht, dazu ist die Volksrepublik viel zu wichtig geworden. Aber man sollte die Chinesen regelmäßig an ihre großen Worte erinnern, ob es um Freihandel, Klimaschutz oder um Nordkorea geht. China ruft zwar regelmäßig zum Weltfrieden auf, lässt Kim Jong-un mit seinem Atomprogramm aber gewähren. Die Welt braucht China für die großen Würfe der internationalen Politik. Aber noch verheddert sich die Volksrepublik in Widersprüchen – und man lässt die gewähren.