Deutsch-deutsche Fischerfreundschaft

Fließende Grenzen am Dassower See

08:59 Minuten
Fischer Heinrich Baade in seinem Boot auf dem Dassower See.
Genießt seit 30 Jahren die Freiheit am Dassower See: Fischer Heinrich Baade. © Deutschlandradio/Thorsten Philipps
Von Thorsten Philipps |
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Der Eiserne Vorhang war nicht überall eisern. Am Dassower See an der Grenzstadt Lübeck kam es zu Begegnungen von Fischern zwischen Ost und West. Daraus entstand sogar eine Freundschaft zwischen zwei Familien.
"An dem Abend, als die Eröffnung war, da bin ich da hin gegangen, die Leute, die liefen da schon rüber, ich hab mich da nicht hin getraut, das war so ... Da hast du nichts verloren und ich bin da nicht rüber gegangen."
Heinrich Bade erinnert sich auf der Trave in seinem sechs Meter langen Fischkutter an die Nacht des Mauerfalls zurück: Fast direkt vor seiner Haustür verlief die Grenze im Lübecker Stadtteil Schlutup, damals war der Fischer 50 Jahre alt.
Massen strömten aus Mecklenburg-Vorpommern nach Lübeck, viele kamen zu Fuß, die Trabbis verstopften die Straßen. Unter ihnen war auch Detlef Jürß aus dem benachbarten Dassow. Auf dem See vor seiner Haustür durfte er nie fischen. Die westliche Enklave der ehemaligen DDR gehörte zum Westen. Und dann von einem auf den anderen Tag im November 1989 nicht mehr.

Schönster Tag im Leben

"Mit meinem Kollegen Sell hab ich damals gefischt auf der Stepenitz und dann kam seine Frau und sagte, ab morgen dürft ihr wieder auf dem Dassower See fischen. Das war der schönste Tag in meinem Leben."
Detlef Jürß, der heute 70 Jahre alte Fischer aus Dassow, verkauft zu Hause selbst gefangenen Butt und Dorsch. Heute kann er ohne Not im Dassower See die Fische rausziehen, doch er kann sich auch noch gut erinnern, wie unter der Brücke direkt zwischen dem Dassower See und dem Fluss Stepenitz 1961 eine Mauer gebaut wurde.
Detlef Jürß beugt sich über eine Kiste mit Fischen.
Will die Zeit nicht zurückdrehen: Detlef Jürß aus Dassow.© Deutschlandradio/Thorsten Philipps
"Hier war oben auf der Brücke die Seite zum See hin mit Aluplatten restlos dicht gemacht und hier war wie so ein Wehr, kann man sagen, da waren Schieber drin, ging bis unten runter. Da war das dicht gemacht."

Anstandsabstand zu den Kollegen

Das war eine schwere Zeit erzählt Jürß, wenn die Westfischer auf "seinem See" waren. "Da war Schluss nachher – man konnte manchmal die Kollegen aus Schlutup hier fischen sehen. Wir waren hinter dem Zaun, wir haben gegrüßt und die haben auch die Hand hochgehalten, es war aber auch paradox."
Immer wieder umgingen die ostdeutschen Fischer die Verbote und trafen die westdeutschen Kollegen auf dem Wasser. Allerdings hielten sie immer einen Anstandsabstand mit den Kuttern zueinander. "Dazu wurden die viel zu doll beobachtet. Das war so, dass es unverfänglich war, wir konnten die ja nicht in Schwierigkeiten bringen. Das war alles viel zu streng."

Beginn einer Fischerfamilien-Freundschaft

Heinrich Baade aus Schlutup weiß auch noch genau, wie es war, als er den Sohn vom inzwischen verstorbenen Emil Jürß nach der Maueröffnung getroffen hatte:
"Hier an der Ecke ist das gewesen. Gleich nach der Wende ist der Sohn von dem, den ich da getroffen habe, hier und einer sagte: Das ist Emil Jürß sein Sohn. Da hab ich gesagt: Wenn das hier heute vorbei ist, dann gehen wir noch zu mir und schnacken noch."
Bärbel Jürß hilft heute beim Fischverkauf in Dassow ihrem Mann – sie erinnert sich, wie sich die Familien kurz nach dem Mauerfall trafen: "Heinrich Baade ist hierher mit seiner Familie gekommen und wollte uns begrüßen und daraus wurde eine Freundschaft."
Das war der Beginn einer echten Fischerfamilienfreundschaft: "Wir sind dann gleich im anschließenden März fischen gegangen und wir haben so viel Hering gefangen, dass wir an das Limit gekommen sind, das sein Boot tragen konnte und da sprechen wir heute noch drüber: Weißt du noch, du warst fast mit dem Hintern im Wasser gewesen."
"Seitdem ist daraus eine Freundschaft geworden, ach, wir sind schon im Theater in Lübeck gewesen oder im Harz, weil er das gar nicht kannte. Dann habe ich ihm den ganzen Ostharz gezeigt - und so haben wir schon öfter was gemacht."

Wachsoldaten grüßten nicht zurück

Auf der Trave fährt der Lübecker noch mit 80 Jahren fischen. Vor dem Mauerfall war es durchaus nicht unproblematisch: "Da in der Ecke, da war die Grenze, aber da sind die denn schon längs marschiert. Man ist höchstens zehn bis 15 Meter von diesen Wachsoldaten entfernt gewesen. Da ging ein Ranghöherer immer vorweg und einer, der eine große Flinte trug, ging hinterher und wenn wir die gegrüßt haben, haben die nicht reagiert. Da haben wir natürlich gedacht: Nu' guck dir die Affen an. Aber die durften ja nicht"
Heinrich Baade auf seinem Boot.
Hielt sich lieber von DDR-Grenzsoldaten fern: Heinrich Baade aus Schlutup.© Deutschlandradio/Thorsten Philipps
Die Patrouillen der DDR bewegten sich entlang des Zehn-Meter-Streifens später dann hinter einem Zaun, aber für Heinrich Baade immer gut sichtbar und auch spürbar.
"Wir haben immer mit einem Zugnetz vom tiefen ins flache Wasser gezogen. Da hatten wir in den ersten Jahren immer mal Malesche mit den Grenzsoldaten, dass wir der sogenannten DDR viel zu nahe gekommen sind, dann haben die uns auch manchmal mitgenommen und es gab lange Verhöre. Zuletzt wurdest du dann freigelassen. Aber das war immer eine unangenehme Sache und es war immer so ein bisschen: Bloß nix mit denen zu tun haben."

Mit einem Bein in Sibirien

Doch die Fischer aus dem Osten ließen sich auch nicht immer einsperren, sondern gelangten auf die Ostsee, ihr Ziel: harte D-Mark und schicke Klamotten.
"Die sind rüber gefahren und haben Aale verscheuert und haben eingekauft. Das war alles schwarz. Das durften die nicht. Die haben bis oben hoch mit dem Schleppnetz gefischt und dann rein da. Die haben alles gewusst. Meine Schwester hat die Stasi-Akte von meinem Vater gesehen. Mein Vater war mit einem Bein immer in Sibirien, der hat viel Glück gehabt. Ich weiß auch wer ihn angeschissen hat, aber Schwamm drüber. Ist ewig her."
Heute räuchert Jürß seinen Aal – und ist zufrieden, dass alles so gekommen ist - eigentlich. "Aber wenn man jetzt die ganzen Jahre betrachtet … Man hat viel zu viel versprochen und den Mund zu voll genommen – auch dieser Herr Kohl."

"Ich bereue keinen Tag"

Baade sagt, für ihn war es vor der Wende wie danach – Hauptsache er konnte und kann mit seinem Kutter auf dem Wasser fahren: "Das ist einfach ein Freiheitsgefühl."
Der 80 Jahre alte Heinrich Baade schließt heute seinen Schuppen ab, in dem Motor, Reusen und Ruder aufbewahrt werden. Es werde immer häufiger was geklaut, berichtet er – trotzdem will er die Zeit nicht zurückdrehen – auch nicht sein Freund und Kollege Detlef Jürß:
"Ich bereue keinen Tag nach der Wende. Was meinem Vater verwehrt war, durfte ich wieder. Den Tag bereue ich nie in meinem Leben, also nie wieder so'n Scheiß zwei Staaten oder sowas."
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