Das Haus an der Grenze
Vor 25 Jahren hat die Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik beschlossen. Der Abbau der Grenzanlagen war damals schon im Gange. Friedemann Schwarz erlebte ihn im östlichen Teil des Harzes. Die Grenze verlief am Ende seines Grundstücks.
Wer auf der Harz-Höhenstrasse von Goslar nach Süden Richtung Braunlage unterwegs ist, passiert den kleinen Ferienort Hohegeiß. Auf der linken Seite wohnt seit 55 Jahren Friedemann Schwarz. Er kam 1960 als Lehrer in den Harz, wohnte zunächst zur Untermiete, verliebte sich in die Tochter der Familie und heiratete. Seither ist er hier zu Hause, unmittelbar an der ehemaligen innerdeutschen Grenze am Ende seines Grundstücks.
"Hier, wo ich heute den Zaunteil aus unserem Gartenzaun herausnehme, war natürlich früher kein Tor. Hier war die Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR hinter unserem Gartenzaun. Hier ist ein historischer Grenzstein – auf der westlichen Seite HB, Herzogtum Braunschweig, auf der östlichen Seite Herzogtum Preußen."
Friedemann Schwarz erinnert sich, dass es ihm damals nicht geheuer war. Es sei ein für ihn ein komisches Gefühl gewesen. Als Schwarz in den Harz kam, war die Grenze noch eine Demarkationslinie. Mit dem Bau der Mauer und der Befestigung der Grenze verschärfte sich die Situation.
"Das Gefühl der Gefährdung habe ich nie gehabt. Ich wurde manchmal gefragt, ob man denn hier Angst hatte, so dicht an der Grenze, und da sag ich immer 'Nee'. Ja, aber wenn wirklich – es war ja damals die Konfrontation Ost-West, wenn es wirklich zum Krieg kommt, seid ihr doch als erste dran. Ich sagte, 'Wir sind kein Ziel'. Wenns wirklich was gäbe, auch mit Atombomben, dass die selbst dann nach Hamburg, ins Ruhrgebiet oder sonstwo - aber hier?
Nach 1960 war es so, dass hier zunächst ein Stacheldrahtzaun war, und die Patrouillen auf östlicher Seite, die gingen hier fünf Meter entfernt entlang, und dann war es schon nochmal möglich, wenn da jemand entlang ging, dass man mit denen ein paar Worte wechselte - und sei es auch nur über das schlechte Wetter oder das gute."
Die deutsch-deutsche Grenze als Wunde in der Landschaft
Schwarz wurde unmittelbarer Zeuge, wie die einfache Grenze mit dem Bau der Sperranlagen nahezu unüberwindlich wurde. Er dokumentierte, wie die Betonpfähle eingesetzt und die Metallgitter errichtet, Hundelaufanlagen und Kolonnenwege gebaut wurden.
"Vor allen Dingen hat mich doch immer wieder beeindruckt, negativ beeindruckt, wie die Grenze als Streifen sich quer durch die Landschaft zog, wie eine Wunde quer durch den Harz, weil das von jedem Pflanzenwuchs freigehalten wurde. Es war also wirklich eine Wunde in der Landschaft."
Friedemann Schwarz hat diese Wunde, ihre Entstehung und ihr Verschwinden, in Fotos dokumentiert. Nach dem Ende der Konfrontation zwischen Ost und West wurde die Grenze abgebaut und renaturiert. Die Wunde verheilte. Wenige Meter von seinem Grundstück entfernt zeigt er uns den Blick "nach drüben":
"Ja, wir haben heute wunderschönes Wetter. Wir sehen die beiden höchsten Berge des Harzes, links den Wurmberg bei Braunlage mit der Wurmberg-Sprungschanze. Rechts der allerhöchste vom Harz, der Brocken 1.141 Meter.
Auf dem Brocken war die Nationale Volksarmee, und auf dem Brocken waren auch die Russen. Die russische Armee hatte da oben wieder einen Extrabereich eingezäunt innerhalb der Brockenkuppe, die ja auch von einer Mauer umgeben war: Und da war das ab 1961 strengstes militärisches Sperrgebiet, und da durfte keiner rauf, und wir haben von Hohegeiß immer wieder den Brocken gesehen und haben gedacht: da wirst du in deinem Leben wohl nie raufkommen."
Nach der Wende wieder deutsch-deutscher Streit
Ab dem 3. Dezember 1989 war der Weg frei. Mit der Einheit kam nach der Euphorie die Ernüchterung. Ost- und Westharz wurden zu Konkurrenten. Neben Streitereien um die Namen von Gemeinden und Landkreisen genießt heute der Osten starke finanzielle Unterstützung aus Berlin, wie einst der Westen aus Bonn:
"Es gab die Zonenrandförderung. Das war natürlich eine feine Sache, steuerliche Vorteile für jemanden, der hier in Grenznähe investierte, um Arbeitsplätze zu schaffen. Jetzt gibt es die Förderung im Osten. Das führt dazu, dass beispielsweise vor ein paar Jahren - wollte ein Investor in Braunlage, also im Westen, einen großen Ferienpark bauen und hat dann festgestellt, wenn er den im Osten, in Sachsen-Anhalt, baut, hat er bessere Förderungsmöglichkeiten, bekommt mehr Zuschüsse und damit war das Projekt hier in Braunlage gestorben"
So gab es und gibt es bis heute Verdruss. Es ist längst nicht zusammengewachsen, was zusammengehört. Die Besucher stört es nicht. Sie genießen den Harz von Wernigerode bis Braunlage, mit Brocken und Wurmberg. Auch Friedemann Schwarz sagt heute:
"Es ist zunächst immer noch toll, dass man hier stehen kann, wo man nie hätte spazieren können und dass ich hierher kann, auf diese Seite so hundert Meter der Grenze finde ich großartig, freue ich mich immer wieder drüber. Ich bin genauso oft im Ostharz wie im Westharz unterwegs. Es ist überall gleich schön und beides ist interessant."