Deutsch-deutsche Kärnerarbeit
Hans Otto Bräutigam, ehemals Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, hat seine Memoiren geschrieben. Darin erinnert sich der 78-Jährige an Ereignisse wie die Biermann-Ausbürgerung - und wirbt um Verständnis für die Lebensleistung der Menschen in der DDR.
Wenn ich das Buch von Hans Otto Bräutigam nach aufmerksamer und das versteht sich, kritischer Lektüre aus der Hand lege, möchte ich den Autor als einen diskreten deutschen Patrioten beschreiben. Natürlich vertreten sogenannte Karrierediplomaten die Interessen ihres Landes überall in der Welt mehr oder minder wirkungsvoll.
Für die Interessen der Bundesrepublik im eigenen Land, und in Wahrheit, auch für die Interessen der Deutschen im kommunistisch regierten Nachbarstaat, einzutreten, das war etwas Anderes und etwas ungleich Schweres. Beinahe zwei Jahrzehnte seines Diplomatenlebens hat Bräutigam der zerrissenen Nation gewidmet. Zunächst als zweiter Mann hinter Günter Gaus, den Willy Brandt in die DDR geschickt hatte, dann wiederum mit dem Thema Deutschlandpolitik im Auswärtigen Amt beschäftigt, später ein sehr geschätzter Mitarbeiter von Kanzler Schmidt, und schließlich mehr als sechs Jahre Leiter einer ganz besonderen Behörde, wenige hundert Meter von der Mauer entfernt.
Es war die eigentliche Aufgabe der "Ständigen Vertretung"‚ zu einer erträglichen Koexistenz zwischen den beiden so ganz und gar ungleichen deutschen Staaten beizutragen. Keine Botschaft, wie sich das die souveränitäts-besessene DDR wünschte, sondern eine Mission, die zwar nicht missionieren durfte und wollte, aber eine Einrichtung, die aus dem vielen Schlechten das vergleichsweise Beste zu machen bemüht war.
Bräutigam führte das schwierige Amt mit verhaltener Emotion und einer in seinem Erfahrungsbericht spürbaren Empathie für die einer Diktatur ausgelieferten Deutschen. Er gehörte zu keiner Zeit zu den vom Kalten Krieg geprägten "Hardlinern".
"Willy Brandts Reformwille, seine Offenheit und Sensibilität, sprach viele Menschen an, vor allem die Jüngeren. Auch mir ging es so."
Der Autor verschweigt nicht, dass es im Auswärtigen Amt, seiner beruflichen Heimat, höhere Beamte gegeben hat, die es bei der Konfrontationspolitik gegenüber Ostberlin belassen wollten. Das wäre gegen das Interesse der DDR-Deutschen gewesen. Auch Bräutigams Minister, das war Hans-Dietrich Genscher, hielt ihn zeitweilig für einen verkappten Sozialdemokraten.
""Die internen Auseinandersetzungen über eine Neuorientierung unserer Deutschlandpolitik wirkten auf mich wie ein Streit über Glaubensfragen. Mich irritierte der tiefe ideologische Riss, der durch das Auswärtige Amt ging. Ich ließ mich jedoch nicht in meiner Überzeugung beirren, dass wir zunächst. einmal die Feindbilder, Konfrontationen und Spannungen abbauen müssten, um Ansatzpunkte für eine neue Politik zu entwickeln."
Daran hat Bräutigam auch konzeptuell mitgewirkt, ein Diplomat, fast aus dem Bilderbuch, aber mit starkem politischen Gespür. Sein Verhältnis zu Günter Gaus war durch große Loyalität bestimmt. Bis zu dem Tag, da der ehemalige "Spiegel"-Chefredakteur der DDR eine eigene Staatsangehörigkeit zuzugestehen bereit war. Das wäre ein eklatanter Bruch mit der Deutschlandpolitik der Bundesregierung gewesen. Gaus beanspruchte für sich, wie Bräutigam zutreffend sagt, die "Meinungsführerschaft in der Deutschlandpolitik".
Das war für einen hohen Regierungsbeamten doch eine Anmaßung, die der Kanzler Schmidt nicht unbegrenzt hinnehmen durfte. Obwohl Willy Brandt lange Zeit seine Hand schützend über Gaus hielt, musste der erste Ständige Vertreter seinen Abschied nehmen. Bräutigam, mit manchen Überlegungen von Günter Gaus sympathisierend, schreibt:
"Ich warnte damals vor einer Aufweichung der deutschen Staatsangehörigkeit der DDR-Bürger. Sie war für mich der Kern der ungelösten deutschen Frage."
Das war genau die Haltung von Helmut Schmidt, dem Gaus unterstellte, er sei ein "NATO-Kanzler" und an einer Verbesserung der Beziehungen zu Ost-Berlin in Wahrheit nicht interessiert. Gaus, das ist wahr, hatte sein Amt mit großem Ernst angetreten. Mit mir als seinem kurzzeitigen Nachfolger, so hieß es seinerzeit in den Medien, sei es in der Hannoverschen Straße "kühler" geworden.
In meinen DDR-Gesprächspartnern habe ich immer auch die Funktionäre eines Unrechtsstaates gesehen, deren politisches und persönliches Schicksal die Zementierung der deutschen Teilung voraussetzte. Bräutigam war da etwas gelassener. 1982 hat er die deutsch-deutsche Kärrnerarbeit in der Ständigen Vertretung von mir übernommen. Der diskrete Patriot hat seine Aufgabe trefflich gemeistert.
Hans Otto Bräutigam: Ständige Vertretung
Hoffmann und Campe 2009
Für die Interessen der Bundesrepublik im eigenen Land, und in Wahrheit, auch für die Interessen der Deutschen im kommunistisch regierten Nachbarstaat, einzutreten, das war etwas Anderes und etwas ungleich Schweres. Beinahe zwei Jahrzehnte seines Diplomatenlebens hat Bräutigam der zerrissenen Nation gewidmet. Zunächst als zweiter Mann hinter Günter Gaus, den Willy Brandt in die DDR geschickt hatte, dann wiederum mit dem Thema Deutschlandpolitik im Auswärtigen Amt beschäftigt, später ein sehr geschätzter Mitarbeiter von Kanzler Schmidt, und schließlich mehr als sechs Jahre Leiter einer ganz besonderen Behörde, wenige hundert Meter von der Mauer entfernt.
Es war die eigentliche Aufgabe der "Ständigen Vertretung"‚ zu einer erträglichen Koexistenz zwischen den beiden so ganz und gar ungleichen deutschen Staaten beizutragen. Keine Botschaft, wie sich das die souveränitäts-besessene DDR wünschte, sondern eine Mission, die zwar nicht missionieren durfte und wollte, aber eine Einrichtung, die aus dem vielen Schlechten das vergleichsweise Beste zu machen bemüht war.
Bräutigam führte das schwierige Amt mit verhaltener Emotion und einer in seinem Erfahrungsbericht spürbaren Empathie für die einer Diktatur ausgelieferten Deutschen. Er gehörte zu keiner Zeit zu den vom Kalten Krieg geprägten "Hardlinern".
"Willy Brandts Reformwille, seine Offenheit und Sensibilität, sprach viele Menschen an, vor allem die Jüngeren. Auch mir ging es so."
Der Autor verschweigt nicht, dass es im Auswärtigen Amt, seiner beruflichen Heimat, höhere Beamte gegeben hat, die es bei der Konfrontationspolitik gegenüber Ostberlin belassen wollten. Das wäre gegen das Interesse der DDR-Deutschen gewesen. Auch Bräutigams Minister, das war Hans-Dietrich Genscher, hielt ihn zeitweilig für einen verkappten Sozialdemokraten.
""Die internen Auseinandersetzungen über eine Neuorientierung unserer Deutschlandpolitik wirkten auf mich wie ein Streit über Glaubensfragen. Mich irritierte der tiefe ideologische Riss, der durch das Auswärtige Amt ging. Ich ließ mich jedoch nicht in meiner Überzeugung beirren, dass wir zunächst. einmal die Feindbilder, Konfrontationen und Spannungen abbauen müssten, um Ansatzpunkte für eine neue Politik zu entwickeln."
Daran hat Bräutigam auch konzeptuell mitgewirkt, ein Diplomat, fast aus dem Bilderbuch, aber mit starkem politischen Gespür. Sein Verhältnis zu Günter Gaus war durch große Loyalität bestimmt. Bis zu dem Tag, da der ehemalige "Spiegel"-Chefredakteur der DDR eine eigene Staatsangehörigkeit zuzugestehen bereit war. Das wäre ein eklatanter Bruch mit der Deutschlandpolitik der Bundesregierung gewesen. Gaus beanspruchte für sich, wie Bräutigam zutreffend sagt, die "Meinungsführerschaft in der Deutschlandpolitik".
Das war für einen hohen Regierungsbeamten doch eine Anmaßung, die der Kanzler Schmidt nicht unbegrenzt hinnehmen durfte. Obwohl Willy Brandt lange Zeit seine Hand schützend über Gaus hielt, musste der erste Ständige Vertreter seinen Abschied nehmen. Bräutigam, mit manchen Überlegungen von Günter Gaus sympathisierend, schreibt:
"Ich warnte damals vor einer Aufweichung der deutschen Staatsangehörigkeit der DDR-Bürger. Sie war für mich der Kern der ungelösten deutschen Frage."
Das war genau die Haltung von Helmut Schmidt, dem Gaus unterstellte, er sei ein "NATO-Kanzler" und an einer Verbesserung der Beziehungen zu Ost-Berlin in Wahrheit nicht interessiert. Gaus, das ist wahr, hatte sein Amt mit großem Ernst angetreten. Mit mir als seinem kurzzeitigen Nachfolger, so hieß es seinerzeit in den Medien, sei es in der Hannoverschen Straße "kühler" geworden.
In meinen DDR-Gesprächspartnern habe ich immer auch die Funktionäre eines Unrechtsstaates gesehen, deren politisches und persönliches Schicksal die Zementierung der deutschen Teilung voraussetzte. Bräutigam war da etwas gelassener. 1982 hat er die deutsch-deutsche Kärrnerarbeit in der Ständigen Vertretung von mir übernommen. Der diskrete Patriot hat seine Aufgabe trefflich gemeistert.
Hans Otto Bräutigam: Ständige Vertretung
Hoffmann und Campe 2009

Cover: "Hans Otto Bräutigam: Ständige Vertretung"© Hoffmann und Campe