Deutsch-französisches Verhältnis

Flüchtlingspolitik bringt Partner auseinander

Frankreichs Präsident Francois Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem EU-Gipfel in Brüssel
Francois Hollande und Angela Merkel: Wie verändert die Flüchtlingspolitik ihr Verhältnis? © imago / Belga
Von Klaus Manfrass · 30.09.2015
Deutschland und Frankreich sind die politischen Schwergewichte Europas, das Verhältnis der beiden Partner ist eng. Hinter den Kulissen aber brodelt es gewaltig: Merkels Umgang mit den vielen Flüchtlingen findet in Paris wenig Verständnis, meint Klaus Manfrass.
Aus Pariser Sicht war die Verbreitung der Nachricht von der deutschen Willkommenskultur dazu geeignet, eine wahre Völkerwanderung über das Mittelmeer, die Balkanroute und die offenen Grenzen des Schengen-Raums in Gang zu setzen. Als angesichts des steigenden Andrangs erstmals von einer Verteilung innerhalb der EU gesprochen wurde, war Paris entsetzt und ließ wissen, dass "Quoten" für Frankreich nicht in Frage kommen. Staatspräsident Hollande weigerte sich, dieses Wort in den Mund zu nehmen.
Alte und neue Ressentiments
Gleichzeitig sprießten alte und neue Ressentiments. Paris fühlte sich bevormundet, sogar erpresst durch die deutsche Aufnahmebereitschaft, die Frankreich dazu zwingen könnte, einen Teil der Migranten zu übernehmen. Besonders für die vorbehaltlose Aufnahme von vorwiegend muslimischen Flüchtlingen fehlt in der französischen Öffentlichkeit nach neun islamistischen Attentaten in acht Monaten jedes Verständnis. Die erneut aufkeimende Angst vor einer deutschen Dominanz in Europa, gar vor einem deutschen Europa drückte sich im Bild von Angela Merkel als der "Kaiserin Europas" aus - einer Steigerung des Bismarck-Vergleichs, schließlich in der Warnung vor einem "Berliner Diktat".
Vorwurf der Gesinnungsethik
Es gab auch Lob für die deutsche Aufnahmebereitschaft von denjenigen, von linker Seite, die an die französische Asyltradition erinnern wollen. Bei den regierenden Sozialisten herrscht jedoch Pragmatismus vor. Zum Beispiel bei Ministerpräsident Valls mit seiner Kritik, dass Politik nicht mit "Gesinnungsethik" betrieben werden könne.
Selbst eine Ikone der Sozialisten wie der frühere Justizminister Robert Badinter stellt nüchtern fest, dass Frankreich aus wirtschaftlichen Gründen keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen könne.
Flüchtlinge für die Wirtschaft
Die Kritik an Deutschland beschränkt sich nicht auf die von der deutschen Politik entfaltete Sogwirkung, sondern steigert sich in den Verdacht, dass Deutschland dabei seine eigenen wirtschaftlichen Interessen im Auge haben könnte, wenn es relativ gut ausgebildete und qualifizierte Flüchtlinge für seinen Arbeitsmarkt gewinnen und die übrigen, besonders aus Afrika, den europäischen Partnern überlassen wolle. Der Chef des militärischen Geheimdienstes dürfte damit zumindest Kreisen der Wirtschaft aus dem Herzen gesprochen haben, die seit langem ihre mangelnde Konkurrenzfähigkeit gegenüber Deutschland beklagen.
Mit der Wiedereinführung der Grenzkontrollen, auch zu Frankreich, verprellte die Kanzlerin die Franzosen zusätzlich. Hollande fühlte sich düpiert, hatte er sich doch den Forderungen der eigenen Opposition nach Grenzkontrollen und der Revision von Schengen standhaft widersetzt und sich von Brüssel abringen lassen, ein Kontingent von 20 Prozent der in der EU aufzuteilenden 120.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Mehr denn je erschien die deutsche Kanzlerin nun als die eigentlich dominierende Figur in Europa, und dazu noch unstet und zu jeder taktischen Volte bereit.
Trotz aller Gipfel-Kompromisse: Wenn zunehmend von einer Isolierung Deutschlands in Europa die Rede ist, so gilt das inzwischen nicht nur aus britischer, polnischer oder ungarischer Sicht, sondern immer deutlicher auch mit Blick auf unseren angeblich so zuverlässigen Partner Frankreich.
Klaus Manfrass hat seit Anfang der 1960er-Jahre in Paris gelebt und mehr als 30 Jahre am Deutschen Historischen Institut Paris im Bereich Zeitgeschichte gearbeitet. Besonders geprägt hat ihn seine Zeit im heutigen Maison Heinrich-Heine der damaligen Cité Universitaire. Das deutsche Haus wurde noch vor dem Elysée-Vertrag eingeweiht und ist ein wichtiges Element deutsch-französischer Universitätskontakte. Später arbeitete Klaus Manfrass für die DGAP (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik). Ende 2006 verließ er Paris und lebt jetzt im Ruhestand in Oberbayern.
Klaus Manfrass
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