Deutsch-koreanische Beziehungen

"Damals galt Deutschland als die große Kulturnation"

Südkoreanische Kinder mit Papierfahnen warten am 9.5.2011 im Schloss Bellevue in Berlin auf den südkoreanischen Präsidenten Lee Myung Bak und seine Frau Kim Yoon-ok.
Kinder mit den Nationalflaggen Südkoreas und Deutschlands im Schloss Bellevue in Berlin © picture-alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Günter Knabe im Gespräch mit Ulrike Timm · 25.03.2014
Das Interesse an deutscher Kultur und Sprache sei in Südkorea noch immer groß, sagt Günter Knabe. Die Begeisterung habe aber in den letzten Jahren erheblich nachgelassen, so der ehemalige Leiter der Asienprogramme der Deutschen Welle.
Ulrike Timm: Die asiatischen Sprachen sind wunderbar bildhaft. Wenn man im Deutschen sagt, aus Schaden wird man klug, dann heißt das koreanische Äquivalent, nach dem Verlust einer Kuh repariert man den Stall. Und wenn man eine Aufgabe endlich angehen und loslegen muss, dann fasst man das in die poetische Formel, wenn Du fleißig Staub sammelst, dann kannst Du einen Berg errichten. Allerdings kennen viel mehr Koreaner deutsche Wortschöpfungen als umgekehrt, und wenn die europäische Musik oder Dichter wie Hesse oder Goethe in Korea hohen Zuspruch finden, dann fiele mir spontan außer I-Sang Yun kein koreanischer Komponist ein und ein Schriftsteller auch nicht.
Wenn heute die südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye in Deutschland zu Gast ist, dann geht es auch vor allem um Wirtschaftsbeziehungen. Für Koreaner aber ist Deutschland immer noch ein geradezu romantisches Land. Für Südkoreaner natürlich; Nordkorea schottet sich ja ab von der Welt. Über den Blick, den man in Korea auf Deutschland hat, und über die Situation in diesem Land spreche ich mit Günter Knabe, dem früheren Leiter der Asien-Programme der Deutschen Welle. Schönen guten Morgen, Herr Knabe!
Günter Knabe: Guten Morgen!
Timm: Warum genau hat denn Deutschland für Koreaner wohl immer noch einen kulturellen Zauber?
Knabe: Kultureller Zauber ist mir etwas zu romantisch und übertrieben ausgedrückt. Die Beziehungen zwischen Korea – und jetzt rede ich von der gesamten Halbinsel, also dem noch nicht geteilten damaligen Korea – begannen vor 130, konkret vor 131 Jahren in diesem Jahr schon, indem ein erster Handels- und Wirtschaftsvertrag und Schifffahrtsvertrag geschlossen wurde. Das war die rechtliche Begründung der Beziehungen und damals galt Deutschland als die große Kulturnation unter anderem in Europa und das hat sich fortgesetzt bis in unsere Zeit hinein. Aber das Interesse, die Begeisterung für die Kultur Deutschlands ist erheblich abgesunken in den letzten Jahren.
Aber man muss dennoch sehen, dass viel mehr Koreanerinnen und Koreaner über die deutsche Kultur insgesamt, über die Literatur, über die Kunst, die Musik vor allen Dingen auch bescheid wissen als umgekehrt Deutsche über, wie Sie schon sagten, koreanische Kultur. Das ist bedauerlich, aber es ist eine Tatsache. Dennoch: Es gibt immer noch sehr viel Interesse an der deutschen Sprache in Korea. Auch das sinkt leider ab. Weltweit wird immer mehr Englisch als zweite Sprache unterrichtet und gesprochen und das gilt leider auch für Korea.
Timm: Aber Sie beschreiben das mit fast asiatischem Understatement. Wenn ich mir eine deutsche Musikhochschule angucke, die natürlich per se international ist mit etwa 60 Prozent ausländischen Studenten, dann sind die Koreaner dort seit Langem ganz stabil die größte Gruppe der Gaststudenten und nach der Ausbildung können die allermeisten hier gar nicht bleiben, finden hier gar keinen Job. Wenn die zurückkehren nach Korea, sind die dann gemachte Leute, oder warum machen die das? Warum ist der Reiz offenbar doch noch so groß?
Knabe: Das ist schon das. Die Faszination der deutschen Musik, der deutschen klassischen Musik oder der europäischen klassischen Musik ist tatsächlich noch sehr groß weltweit, auch in Korea, übrigens auch in Nordkorea. Das gilt auch für die Nordkoreaner. Und das ist diese Faszination, die dann immer noch anzieht. Die sind dann nicht unbedingt gemachte Leute. Viele von ihnen bleiben hier, wenn es geht, aber sie haben auch sehr wohl Möglichkeiten in Korea, in den Orchestern zu spielen und ihre Kunst auszuüben, denn das ist wieder so ein Beispiel dafür, dass europäische Musik, klassische Musik in Korea sehr viel bekannter ist als umgekehrt zum Beispiel koreanische Musik bei uns.
Timm: Aber warum ist das so? Korea hat eine ganz wunderbare eigene Musiktradition. Korea hat sicherlich auch eine große Literatur, die wir hier kaum kennen. Warum lesen dann doch immer noch so viele Koreaner Goethe und hören Beethoven? Warum?
"Da haben wir eine romantisierende Vorstellung"
Knabe: Noch einmal: Das ist stark abgesunken.
Timm: Aber trotzdem machen es immer noch viele!
Knabe: Da haben wir, glaube ich, eine romantisierende Vorstellung.
Timm: Aber wo ist die Faszination, wenn es sie dann zumindest groß gab und immer noch klein gibt?
Knabe: Weil, um noch einmal auf die Musik zu kommen, die klassische europäische Musik ja nicht nur in Korea, sondern weltweit von großer Faszination ist, und das gilt auch für die Koreaner. Zu der Literatur noch einmal: Man hat seit dem vorvergangenen Jahrhundert sich mit der deutschen Literatur und auch Philosophie sehr intensiv beschäftigt, und das wurde fortgetragen, weil Bildung und Ausbildung in Korea, in der koreanischen Gesellschaft eine große Bedeutung hatte und hat, und in diesem Rahmen ist die Zuwendung zu Deutschland, weil es als ein – das ist dann sehr emotional geprägt – befreundetes Land immer galt - - Wir haben ja nie Probleme gehabt, nie kriegerische Auseinandersetzungen, auch keine Handelsauseinandersetzungen, sondern immer sehr positiv, und das hat sich fortgesetzt.
Ein konkretes Beispiel, wie tief das geht, wie tief das sitzt, ist ein großes Industrie-Konglomerat. Das heißt "Lotte". Das ist weder koreanisch, noch japanisch, sondern das geht zurück auf Charlotte im Werther von Goethe. Und der Gründer dieses Industrie-Konglomerats – er hat angefangen mit Kaugummi-Produktion, hat die nach Japan verkauft, die Kaugummis, hat sehr viel Geld verdient -, hat aus Erinnerung, weil er begeistert war vom Werther, nach Charlotte sein Konglomerat "Lotte" genannt. Heute gibt es auch ein Luxushotel immer noch in der Hauptstadt Seoul von Südkorea, das heißt "Lotte". Das ist Charlotte aus Goethes Werther.
Timm: Eine wunderbare Geschichte, die ich mir umgekehrt gar nicht vorstellen könnte. Bei uns ist Korea doch immer noch das Land von Samsung und Hyundai. Sind die Koreaner eigentlich sauer darüber, dass das gegenseitige Interesse dann doch sehr viel kleiner ist?
"Die Koreaner sind ein sehr großzügiges Volk"
Knabe: Die Koreaner sind ein sehr gastfreundliches und ein sehr großzügiges Volk. Sie sind eher stolz darauf, dass sie es geschafft haben, weil Sie eben Samsung, Hyundai und ähnliche Konglomerate genannt haben, dass sie aus einem sehr, sehr armen Land, was es nach dem Korea-Krieg war, der 1953 zu Ende war, zu einem sehr führenden Industrieland geworden sind. Darauf sind sie stolz und deswegen vergessen sie wahrscheinlich eher den Schmerz darüber, dass koreanische Kultur in Deutschland nicht so bekannt ist wie die deutsche umgekehrt in Korea.
Timm: Wir sprechen mit Günter Knabe, er war viele Jahre der Leiter der Asien-Programme der Deutschen Welle. Anlass ist der Besuch der südkoreanischen Präsidentin in Deutschland. – Herr Knabe, wenn ich mal auf einen anderen Aspekt der Beziehungen schaue: Im vergangenen Jahr wurde in Deutschland 50 Jahre Gastarbeiterabkommen ziemlich groß gefeiert und bei uns ging das vor allem um die Gastarbeiter aus der Türkei. Dass man so ein Abkommen auch mit Korea geschlossen hat, dass viele koreanische Krankenschwestern seit langem in Deutschland arbeiten, das wurde in der Öffentlichkeit hier kaum beachtet. War das in Korea anders?
Knabe: Das ist auch wieder ein Widerspruch oder eine etwas andere Sicht von meiner Seite auf diese Feierlichkeiten. Es sind sehr wohl Feierlichkeiten auch in Deutschland gewesen zum 50-jährigen Bestehen dieses Entsendeabkommens von übrigens Bergarbeitern und Krankenschwestern. Die Koreaner aus dem damaligen Südkorea waren die ersten Gastarbeiter nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland als Bergarbeiter. Die blieben dann zum Teil hier, haben hier geheiratet. Und die zweite große Gruppe waren die Krankenschwestern.
Es gibt ein deutsch-koreanisches Forum und das hat eine sehr große Veranstaltung in Goslar gemacht im vorigen Jahr, um eben dieses Gastarbeiterabkommen oder diese erste Entsendung von Koreanern nach Deutschland zu feiern. Bundespräsident Gauck hat damals eine Rede gehalten. In sehr vielen verschiedenen Städten sind solche Feierlichkeiten begangen worden und Ausstellungen gezeigt worden und Diskussionsforen veranstaltet worden. Und dazu: Es ist vielleicht in den deutschen Medien nicht so sehr wahrgenommen worden, und da kommen wir auf das Thema, wieso wird dieses Korea immer nur wirtschaftlich von uns gesehen oder unter den politischen Gesichtspunkten, Teilung des Landes in Nord- und Südkorea. Tatsächlich ist das Interesse Deutschlands und der Deutschen an asiatischen Ländern und leider eben auch an Korea erheblich begrenzt.
Timm: Sie sprachen es eben an: Korea ist ein geteiltes Land, wie Deutschland es war. Vor wenigen Monaten erst durften sich wenige Familien besuchen, die sich 60 Jahre lang nicht mehr gesehen hatten. Das war unglaublich bewegend und ist doch nur eine Momentaufnahme, denn zwischen den beiden koreanischen Staaten gibt es ja kaum Gespräche. Ist das eigentlich ein Thema heute, Teilung, dass man sie womöglich doch überwinden kann, wenn die südkoreanische Präsidentin mit der ostdeutschen Bundeskanzlerin spricht? Steht so was zur Debatte?
Deutsche Wiedervereinigung als Vorbild
Knabe: Die Beziehungen zwischen Korea, zwischen Südkorea und auch Nordkorea zu Deutschland, zwischen Deutschland und den beiden Teilen Koreas, sind tatsächlich auch besonders unter politischem Interesse zu sehen. Denn Korea, die Koreaner insgesamt haben Deutschland immer sehr genau beobachtet, auch im Rahmen dieser historischen Beziehungen und dieser positiven Sicht auf Deutschland. Sie haben auch beobachtet, dass dieses Deutschland, was ihnen so sympathisch ist, auch geteilt wurde und dass dieses Deutschland die Wiedervereinigung geschafft hat.
Es gibt in Südkorea ein Ministerium für Wiedervereinigung. Da stehen bändeweise Studien über die deutsche Teilung und die deutsche Wiedervereinigung. Man sieht das also als Vorbild und ist allerdings auch, nachdem man gesehen hat, wie teuer das in Deutschland wurde, rein materiell, ein bisschen ernüchterter geworden in Südkorea, was das Thema Wiedervereinigung angeht, rein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Und die junge Generation in Südkorea – ich habe da mal einen Feature-Film gedreht über die Teilung und die Folgen -, da merkte man deutlich, dass die jungen Südkoreanerinnen und Koreaner erheblich nüchterner sind, was eine eventuelle Wiedervereinigung angeht. Aber natürlich ist das immer ein Thema bei Gesprächen zwischen Deutschland und Korea.
Timm: Südkorea hat sich ja 1987 von einer Militärdiktatur befreit, versteht sich als demokratischer Staat, wird aber sehr, sehr straff geführt. Vielleicht kann man sogar von einer gelenkten Demokratie sprechen. Ist das wirklich vergleichbar, die Vorstellungen in Südkorea mit unseren von einem demokratischen Staat? In letzter Zeit habe ich aus Südkorea mehr Berichte gelesen über Pressefreiheit, über mangelnde Pressefreiheit als über ein buntes, großes, fröhliches Land. Das fand ich beunruhigend.
Knabe: Das sehe ich nicht ganz so kritisch. Tatsächlich war Südkorea lange eine Art Militärdiktatur. Aber inzwischen ist es wirklich mehr oder weniger demokratisch. Es haben mittlerweile Wahlen stattgefunden. Es gab Militärputsche, aber dann auch wieder demokratische Wahlen. Kim Dae-jung, der Friedensnobelpreisträger, ist eindeutig demokratisch gewählt. Auch die jetzige Präsidentin, die zu Besuch kommt nach Deutschland, ist demokratisch gewählt worden. Aber sie hat etliche enge Verbindungen mit Militär und auch den Geheimdienst arbeiten lassen für ihre Wiederwahl. Ich würde schon Südkorea heute als eine stabile Demokratie sehen, allerdings, wie Sie sagten, relativ straff geführt in bestimmten Bereichen. Aber es zu sehen als eine, na sagen wir einmal, gelenkte Demokratie, das halte ich für zu kritisch, das trifft nicht zu.
Timm: Günter Knabe, er war viele Jahre lang Leiter der Asien-Programme der Deutschen Welle, und wir sprachen über die Beziehungen zwischen Deutschland und Südkorea. Heute kommt die südkoreanische Präsidentin Park nach Deutschland. Herzlichen Dank für den Besuch im Studio.
Knabe: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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