Deutsch-Österreichischer Disput

Flüchtlingskrise sorgt für Spannungen

Flüchtlinge an der slowenisch-österreichischen Grenze.
Flüchtlinge an der slowenisch-österreichischen Grenze. Österreich will nur noch 80 Flüchtlinge pro Tag ins Land lassen. © picture alliance / EPA / Christian Bruna
Rainer Münz im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Zwischen Deutschland und Österreich knirscht es gewaltig. Das liegt vor allem an ihrer unterschiedlichen Haltung zur Flüchtlingskrise. Rainer Münz, österreichischer Migrationsforscher, wirbt auf einer gemeinsamen Veranstaltung von Deutschlandradio und ORF um Verständnis für die Ängste seines Landsleute.
Deutschland und Österreich sind sich als Nachbarn so nahe - doch im Augenblick wird heftig um die Flüchtlinge gestritten. Österreich will deren Zahl strikt begrenzen, Deutschland ist (noch) dagegen. Kann das Zerwürfnis beigelegt werden?
Zumindest die Medien beider Länder bemühen sich darum: Deutschlandradio und der österreichische Rundfunk ORF starten am 4. März gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung die dreiteilige Veranstaltungsreihe "Miteinander leben - Perspektiven durch Einwanderung". Auf dem Podium wird auch der österreichische Migrationsforscher Rainer Münz sitzen. Er sagt:
"Österreich ist da in einer etwas anderen Lage als Deutschland, weil es sowohl als Ziel- als auch ein Durchgangsland funktioniert. Vielleicht gibt es die Sorge, dass Deutschland, wenn es zu keiner europäischen Lösung kommt, die sich im Augenblick nicht hundertprozentig abzeichnet, seine Grenzen schließen könnte. Und dann die Flüchtlinge, sozusagen, alle in Österreich bleiben."

Skepsis gegenüber Zuwanderung nicht nur bei FPÖ-Wählern

Deshalb habe Österreich damit begonnen, seine südlichen Grenzen stärker zu kontrollieren. Hat Österreich seinen zunächst offenen Kurs auf Druck der Rechtspopulisten von der FPÖ geändert? Die FPÖ, die derzeit in Umfragen sehr stark sei, spiele dabei natürlich eine Rolle, sagte Münz. Jedoch:
"Aber ich denke, dass die Skepsis gegenüber der Zuwanderung nicht nur auf die Wählerinnen und Wähler der Freiheitlichen Partei beschränkt ist. Das ist sicherlich etwas, das von Wählerinnen und Wählern anderer Parteien auch geteilt wird - diese Sorge. Und insofern ist die Maßnahme einer stärkeren Beschränkung der Zuwanderung sicher auch in anderen Parteien populär."
Also Hauptproblem für eine europäische Lösung sieht Münz zum einen darin, wie sich Kontingente für alle europäischen Länder wirklich durch- und umsetzen ließen, damit die Hauptlast nicht mehr von Schweden, Deutschland und Österreich getragen werden müsse. Die Idee, Flüchtlinge aus Griechenland direkt in andere Länder weiterzuschicken, ohne den Weg über die Balkan-Route nehmen zu müssen, sei bislang gescheitert.
Zum anderen müssten die Flüchtlinge dann tatsächlich auch in den Ländern bleiben wollen, für die sie zugeteilt werden sollten. Auch das werde nicht problemlos realisieren lassen. Münz zeigte sich wenig optimistisch, dass sich beides schnell werde umsetzen lassen.

Liane von Billerbeck: Es sieht nicht gut aus im Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich, was die Flüchtlingspolitik angeht. Nicht erst, seitdem Österreich beschlossen hat, nur noch 80 Flüchtlinge pro Tag reinzulassen, die Äußerungen österreichischer Politiker sind ganz klar: Die Politik des Durchwinkens müsse beendet werden und Deutschland müsse sich ändern. Das hat sich abgezeichnet, und trotzdem wollen wir jetzt ein bisschen dazu beitragen, zu verbinden, was doch irgendwie zusammengehört – Deutschland und Österreich. Wir tun das in einer Veranstaltungsreihe, die heißt "Miteinander leben – Perspektiven durch Einwanderung", gemeinsam veranstaltet von Deutschlandradio, dem ORF und der Bertelsmann-Stiftung. Heute ist die erste Veranstaltung dieser Reihe um 11:00 Uhr in der Bertelsmann-Dependance in Berlin, und mein jetziger Gesprächspartner, der sitzt dort ab 11 auf dem Podium. Das ist Rainer Münz, österreichischer Migrationsforscher und Bevölkerungswissenschaftler. Ich grüße Sie, Herr Münz!
Rainer Münz: Einen schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Deutschland und Österreich, die waren ja einst so eng in der Flüchtlingskrise. Es gab einen Schulterschluss zwischen Berlin und Wien – ich kann mich noch erinnern, wie deutlich die österreichische Regierung gegen Viktor Orbán argumentiert hat. Wie konnte daraus ein so großes Zerwürfnis werden?
Münz: Ich denke, die Lage hat sich deswegen geändert, weil im Sommer 2015 es eigentlich um die Lösung einer aktuellen humanitären Krise ging, die sich auf der Balkanroute abgezeichnet hat in Ungarn, wie gesagt, Ungarn die Flüchtlinge nicht mehr versorgt hat und es damals darum ging, die aus Ungarn rauszuholen und zu versorgen. Und da haben Österreich und Deutschland zusammengespielt. Der Strom hat sich allerdings natürlich nicht auf diese Personen, die damals in Ungarn gestrandet waren, beschränkt und hat ab September ganz deutlich und stark zugenommen. Es sind ja seither fast eine Million Menschen auf dieser Strecke noch einmal übers Mittelmeer gekommen und über die Balkanroute überwiegend, eben durch Mazedonien, Serbien, anfangs Ungarn, das ja dann seine Grenzen geschlossen hat, inzwischen Kroatien, Slowenien, Österreich nach Deutschland gekommen. Ein kleinerer Teil davon ist allerdings auch in Österreich geblieben. Und ich denke, die Erkenntnis, die sich inzwischen durchgesetzt hat, ist, dass wenn wir unsere Außengrenzen – und das ist ein gemeinsames Interesse von Deutschland und Österreich –, unsere Schengenaußengrenzen nicht in der Lage sind zu kontrollieren und den Flüchtlingsstrom in den Griff zu bekommen, dann werden innerhalb der Schengenzone die alten nationalstaatlichen Grenzen wieder errichtet, also eine Entwicklung, die wir im Moment sehen. Österreich ist da in einer etwas anderen Lage als Deutschland, weil es sozusagen sowohl ein Zielland von Migration ist als auch eben eines, das als Durchgangsland funktioniert. Ich nehme an, vielleicht gibt es die Sorge, dass Deutschland seine Grenzen, wenn es zu keiner europäischen Lösung kommt, die sich im Moment nicht hundertprozentig abzeichnet, schließen könnte und dann eben die Flüchtlinge sozusagen in Österreich alle bleiben. Deswegen hat Österreich begonnen, seine eigenen Südgrenzen – allerdings in Absprache auch mit seinen südlichen Nachbarländern – sozusagen stärker zu kontrollieren und die Zahl der Menschen, die da durchgelassen werden, zu beschränken.
von Billerbeck: Spielen auch die Rechtspopulisten von der FPÖ bei diesen Entscheidungen eine Rolle und liefert Österreich damit so etwas wie die Blaupause für das, was uns in Deutschland noch bevorsteht?
Münz: Es ist ganz klar, dass die Position der FPÖ, die zumindest in Umfragen im Moment als stärkste Partei erscheint, hier eine Rolle spielt, aber ich denke, dass die Skepsis gegenüber Zuwanderung nicht auf die Wählerinnen und Wähler der freiheitlichen Partei beschränkt ist. Das heißt, das ist sicher etwas, was von Wählerinnen und Wählern anderer Parteien auch geteilt wird, diese Sorge, und insofern ist die Maßnahme einer sozusagen stärkeren Beschränkung der Zuwanderung sicher auch in anderen Parteien populär.
von Billerbeck: Nun wird ja immer eine europäische Lösung gefordert, Sie haben es auch erwähnt, aber man fragt sich ja, wenn schon zwei sich so nahestehende Länder wie Deutschland und Österreich so zerstritten sind, wie tief sind dann die Risse in der EU? Kriegt man das überhaupt hin?
Münz: Die europäische Lösung würde voraussetzen – und das ist etwas, was ja nicht die Europäische Kommission beschließen kann, sondern das nur die Mitgliedsstaaten selber, also der Europäische Rat, die Staats- und Regierungschefs beschließen können –, die europäische Lösung würde darin bestehen, dass Flüchtlinge in Europa in größerer Zahl verteilt werden und nicht alle in Schweden, Deutschland und Österreich landen, was in den letzten Monaten ja überwiegend der Fall gewesen ist. Das setzt allerdings voraus zwei Dinge, nämlich erstens, dass andere Länder bereit wären, Flüchtlinge aufzunehmen, und zweitens, was natürlich auch eine Schwierigkeit ist, dass die Flüchtlinge bereit wären, in diese Länder zu gehen und dort auch eine Weile zu bleiben. Beide Voraussetzungen sind im Moment nicht gegeben. Wir haben zwar sowohl im April als auch im Herbst eine Kontingentlösung für Europa beschlossen – 160.000 Personen, die innerhalb der Europäischen Union von Italien und Griechenland in andere Länder verteilt werden sollen, direkt, also nicht sozusagen mit Bussen und Bahnen über die Balkanroute, sondern direkt aus Athen und aus Italien in die Zielländer –, aber zu dieser Lösung ist es nicht gekommen. Wir haben bislang nur 600 von den 160.000 Personen, die geplant waren, umverteilt. Das heißt auch, dass natürlich die Idee aufgekommen ist, die Leute nun in Zukunft vielleicht direkt aus der Türkei in europäische Länder zu bringen. Das ist auch etwas, was die Türkei als Gegenleistung für eine stärkere Kontrolle ihrer Außengrenzen ja fordert, aber auch das würde einen funktionierenden Verteilungsschlüssel voraussetzen.
von Billerbeck: Am Montag beginnt ja dann das Gipfeltreffen der Europäischen Union mit der Türkei, wir werden sehen, was es für Ergebnisse bringt. Der Migrationsforscher und Bevölkerungswissenschaftler Rainer Münz war das. Ich danke Ihnen!
Münz: Danke schön!
von Billerbeck: Und er sitzt heute ab 11:00 Uhr in der ersten Veranstaltung einer Diskussionsreihe zum Thema "Perspektiven durch Einwanderung", veranstaltet gemeinsam von der Bertelsmann-Stiftung, von Deutschlandradio Kultur und dem ORF. Und es gibt weitere Veranstaltungen im Mai und im Juni, und die finden Sie natürlich auch bei uns Programm, da werden sie gesendet und im Internet abgebildet unter deutschlandradiokultur.de.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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