Deutsch-polnisches Grenzgebiet

Wo Deutsche nur Deutsche retten dürfen

09:02 Minuten
Ein Krankenwagen mit Blaulicht im Einsatz.
Ein deutscher Krankenwagen im Einsatz: Er darf nicht ohne Weiteres einen Patienten in Polen retten. © imago images / rheinmainfoto
Von Ernst-Ludwig von Aster |
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Während die Zusammenarbeit von Zoll und Polizei im deutsch-polnischen Grenzgebiet gut geregelt ist, sind im Gesundheitsbereich immer noch viele Fragen ungeklärt. Eine grenzenlose Rettungsarbeit ist derzeit nicht möglich – zum Nachteil der Polen.
Im Pausenraum der Rettungsdienstzentrale warten Sanitäter auf ihren nächsten Einsatz, trinken Kaffee. Ein Zimmer weiter plant Burkhard Blasche die Zukunft. Vor einer Stadtkarte im Maßstab 1:20.000.

"Auf der linken Seite haben wir unser Einsatzgebiet, das ist die Stadt Frankfurt/Oder mit den Kreisgrenzen, das wir regulär versorgen, wir fahren darüber hinaus auch in die angrenzenden Landkreise hinein", erklärt er.
Blasche, in blauen Cargopants und Feuerwehr-Shirt, leitet den Rettungsdienst der Stadt Frankfurt Oder. Er dirigiert vier Rettungswagen, zwei Notarzteinsatzfahrzeuge und einen Krankentransportwagen:

"Auf dieser Seite sehen wir jetzt den Bereich des Slubicer Landkreises, man sieht, das ist ein relativ großes Territorium. Und hier und da bestehen dann auch Probleme, wenn der Slubicer Rettungswagen in den Landkreis rausfährt. Dass sie eben für die Stadt keinen Rettungswagen haben. Und wir dann auch die Anforderung kriegen."

Deutsches Krankenhaus nah und doch so fern

Und dann wird es kompliziert. Beim grenzüberschreitenden Rettungseinsatz. In Frankfurt/Oder wartet ein modernes Krankenhaus mit Rettungsstelle und Vollversorgung auf Patienten. In Slubice ein Kreiskrankenhaus, wo nur leichte Notfälle behandelt werden können. Doch polnische Patienten, die in Slubice verunglücken, müssen in Polen behandelt werden.
"Die schweren Fälle fahren die Slubicer Rettungswagen dann nach Gorzow. Gorzow ist ein Schwerpunktkrankenhaus, das ist auch gut ausgerüstet. Und dort müssen alle Schlaganfallpatienten, Herzinfarktpatienten grundsätzlich hingebracht werden. 95 Kilometer, das heißt also wenigstens eine Stunde Fahrzeit", sagt Blasche.

Gefährlich viel Zeit für einen Schlaganfallpatienten. Das deutsche Krankenhaus liegt dagegen nur zehn Minuten entfernt. Doch das dürfen die polnischen Kollegen nicht ansteuern. Blasche schüttelt den Kopf: "Da haben wir natürlich auf der untersten Ebene mit der Slubicer Seite viel Kontakt. Da wurde unter anderem auch der Wunsch von der Slubicer Seite geäußert, dass wir auch die deutschen Patienten vom Krankenhaus Slubice abholen beziehungsweise unterstützend helfen."

Deutsche Krankenwagen in Polen

Und darum darf Blasche in Ausnahmefällen doch zum Retten nach Polen. Und mit dem Patienten zurück nach Deutschland. Immer dann, wenn deutsche Staatsbürger in Slubice, etwa auf dem Wochenmarkt, zusammenbrechen.
"Die Zahlen sind relativ stabil. Und wir liegen so etwa bei 30 Patienten, die jährlich aus dem Slubicer Krankenhaus oder auch vom Markt geholt werden", so Blasche.

Mit dem deutschen Krankenwagen den deutschen Kranken aus Polen ins deutsche Krankenhaus – Rettung de Luxe. Damit es am Ende aber kein böses Erwachen gibt, rät Burkhard Blasche jedem Polen-Besucher zum Abschluss einer Auslandskrankenversicherung:
"Es ist so, dass im Krankenhaus zwar Leistungen zwischen den Krankenkassen selbst geregelt werden, aber der Transport zurück aus dem Ausland, der ist nur über eine Auslandskrankenversicherung regelbar."
Denn eine Rettungsfahrt aus Frankfurt/Oder nach Slubice und zurück kostet schnell bis zu 800 Euro.

Grenzübergreifende Rettung derzeit nicht möglich

In Slubice, in einem modernen Einkaufszentrum, gleich hinter der Grenze, sitzt Joanna Jozefiak am Schreibtisch. Und denkt zurück. Seit acht Jahren sucht sie nach gemeinsamen Nennern im polnischen und deutschen Gesundheitssystem. Versucht, polnischen Patienten eine Behandlung in Deutschland zu ermöglichen. Sie dolmetscht, berät Ärzte und Patienten. Manchmal eine schmerzvolle Erfahrung. Zum Beispiel bei einem Motorradunfall eines 18-jährigen Polen in Slubice:
"Wo mich ein Vater angerufen hatte, und sagte, 'Du Joanna' - das ist ja ein kleines Slubice, wir kennen uns alle - 'kannst Du mal bitte das Krankenhaus Frankfurt anrufen, mein Sohn hatte gerade eben einen Motorunfall, 18 Jahre alt.' Er lag schon im Krankenhaus mit einer Hirnblutung. Und es wurde gesagt, er braucht unbedingt jetzt einen Neurochirurg, es ist nicht in dem Fall so, dass er weit transportiert werden konnte, weil der Zustand so schlecht ist."
An einen Transport nach Gorzow, in das gut ausgestatte polnische Notfallkrankhenaus, das rund eine Fahrtstunde von Slubice entfernt liegt, war wegen des kritischen Gesundheitszustands des jungen Mannes nicht zu denken.
"Und nun habe ich Frankfurt Krankenhaus angerufen, und es ging leider nicht. Der Papa sagte, hier lege ich einen Koffer Geld, mach das. Ging auch nicht. Es ging nicht nur um das Geld. Er ist gestorben."

Für bessere Notfallversorgung in der Grenzregion

Darum hat sie einen Verein gegründet, um die Notfallversorgung in der deutsch-polnischen Grenzregion zu verbessern. Jozefiak bringt polnische und deutsche Ärzte zusammen, gemeinsam versuchen sie Druck zu machen auf Kommunal- und Landespolitiker.
Hauptberuflich kümmert sich Joanna Jozefiak seit drei Jahren um die allgemeinmedizinische Gesundheitsversorgung in der Grenzregion. Sie ist Geschäftsführerin von Brandmed, einem polnisch-deutschen Versorgungszentrum:
"Im Moment läuft das so, dass die polnischen Bürger, die in Deutschland versichert sind, die meistens keine Sprache können, also es gibt ja eine Gruppe, die in Zalando oder was weiß ich in welchem Lager arbeiten, da ist es jetzt einfacher, weil die zu uns kommen können. Weil die AOK sich entschieden hat, die polnischen Bürger, die in Polen wohnen, die sprachliche Schwierigkeiten haben, die dürfen zu Brandmed kommen, also müssen sie nichts bezahlen."
Allgemeinmediziner, Orthopäden, Neurologen – alle Fachrichtungen da. Auch ein großer Physiotherapie-Bereich. Und alles zweisprachig. Denn nicht nur Polen mit deutscher Krankenversicherung nutzen den Service, sondern gelegentlich auch frustrierte Patienten aus Frankfurt Oder.
Ein Mittvierziger hat gerade einen Termin für seine Tochter gemacht beim Hautarzt. In Frankfurt/Oder hätte er mehrere Wochen warten müssen:
"Hausarzt gar nicht. Man kommt noch nicht mal ran. Und wenn, dann kommt man auf die Warteliste. Ob man irgendwann mal rangenommen wird."

In Polen hat er innerhalb einer Woche einen Termin bekommen. Und wird die Rechnung dann bei seiner Krankenkasse einreichen. Das Procedere ist von Kasse zu Kasse allerdings unterschiedlich. Eine deutsch-polnische Vereinbarung über allgemeinmedizinische Behandlung gibt es nicht. Patienten von beiden Seiten der Oder – so hat sich Jozefiak ihre Kundschaft in dem Zentrum vorgestellt. Bei leichteren Erkrankungen funktioniert es, doch nicht im Notfall:
"Wenn der einen Herzinfarkt auf der deutschen Seite hat, der Pole, dann ist alles klar, dann ist es Ausland, dann ist es Notfall. Wenn er den aber auf der anderen Seite der Oder hat, den Unfall, dann hat er keine Chance."
Zumindest dann nicht, wenn er die Stunde, die der Krankenwagen von Slubice ins Schwerpunktkrankenhaus nach Gorzow braucht, nicht durchhält. Denn ins gegenüberliegende Krankenhaus in Frankfurt/Oder darf der Notfall nicht transportiert werden.

Übergabe von Patienten an Grenze

Bei der Feuerwehr in Frankfurt/Oder beugt sich Burkhard Blasche kopfschüttelnd über einen Zeitungsartikel. Ein Bericht aus Guben, der brandenburgischen Grenzstadt an der Neiße, mit dem polnischen Pendant Gubin, auf der anderen Seite. Hier treffen sich deutsch-polnische Krankentransporte regelmäßig. An der Grenzbrücke.
"Im Bereich Guben ist es noch ein bisschen problematischer. Da findet doch tatsächlich bis zum heutigen Tag noch an der Grenze, auf der Brücke, die Übergabe des Patienten statt. Das haben wir seit 2015 abgeschafft. Das heißt bei uns, wir fahren bis ins nahegelegene Krankenhaus nach Slubice, das eigentlich 300 Meter hinter der Grenze ist."

Warschau muss Zusammenarbeit genehmigen

Immerhin, ein Fortschritt. Wenn auch ein kleiner. In Frankfurt/Oder und Slubice sind sich Stadtverwaltungen und Rettungsdienste weitgehend einig. Das hilft aber vor Ort nicht weiter, wenn jede Vereinbarung von der Zentralregierung in Warschau genehmigt werden muss.
"Wir arbeiten tatsächlich schon seit Ende 2014 eng zusammen, dort gab es die ersten Entwürfe, die ersten Vereinbarungen, dann gab es Regierungswechsel, dann wurde diese ganze Sache noch mal neu angegangen. Und wir haben uns jetzt auf unterster Ebene im März tatsächlich auf eine gemeinsame Kooperationsvereinbarung geeinigt."
Danach könnten je nach Bedarf polnische und deutsche Rettungswagen auf beiden Seiten der Oder zum Einsatz kommen. Und die Patienten ins jeweils nächstgelegene Krankenhaus bringen.
"Und in Warschau müssen noch drei Ministerien unterschreiben und dem zusprechen und dann könnte, wenn es klappt, dieses Jahr auch noch die Kooperationsvereinbarung stehen." Was aus heutiger Sicht in der Region einer medizinischen Revolution gleichkäme.
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