Ein etwas anderer Blick auf die Geschichte
Vor zwei Wochen wurde im Martin Gropius Bau in Berlin die Ausstellung "Russland und Deutschland. Von der Konfrontation zur Zusammenarbeit" eröffnet. Die Ausstellung ist ein deutsch-russisches Gemeinschaftswerk und wird jetzt auch in Moskau gezeigt. Allerdings ist der dortige Blick auf die Geschichte ein klein wenig anders.
Die russische Ausstellung macht optisch deutlich mehr her als die in Berlin. Sie ist größer, und während der Besucher im Gropius-Bau in Berlin vor allem Textdokumente studieren kann, gibt es in Moskau viel fürs Auge: Skulpturen, Gemälde, sogar eine raumfüllende Vitrine mit einer DDR-Wohnzimmereinrichtung. Und in Moskau sind, anders als in Berlin, Originaldokumente zu sehen.
Wladimir Tarasow von der föderalen Archivagentur Russlands hat die Ausstellung vorbereitet:
"Originale wirken emotionaler auf den Betrachter. Ich denke, unsere Ausstellung hat dadurch gewonnen. "
Viel DDR-Geschichte
Aber auch die inhaltliche Ausrichtung ist anders, vom ursprünglichen gemeinsamen Konzept ist nicht viel übrig. In Moskau gibt es viel DDR-Geschichte zu sehen, und vieles davon ist eitel Sonnenschein. Ein Plakat mit einer Konzertankündigung des Gesangs- und Tanzensembles der Sowjetischen Armee in Thüringen etwa; ein Wandteller mit Blumen und rotem Stern und der Aufschrift "Ruhm und Dank den Helden der brüderlichen Sowjetunion".
Wladimir Tarasow: "Unsere deutschen Partner wollten mehr Negatives als Positives in unseren Beziehungen zeigen. Nehmen wir zum Beispiel die Repressionen. Natürlich gab es sie, und auch deutsche Bürger waren betroffen. Die deutsche Seite wollte mehr Dokumente dazu ausstellen. Wir wollten mehr Gleichgewicht."
Den Titel der gemeinsamen Ausstellung, "Russland und Deutschland. Von der Konfrontation zur Zusammenarbeit" haben die Russen wörtlich genommen. Ein roter Zeitstrahl an den Wänden leitet durch die Räume und suggeriert ein Kontinuum. Genau das hatten die Verantwortlichen auf deutscher Seite vermeiden wollen, sehen sie die letzten 70 Jahre deutsch-russischer Geschichte doch als ein Auf und Ab mit Höhen und Tiefen.
Problematische Darstellung des Mauerbaus
Umso irritierender ist, dass die Ausstellung in Moskau an einer Stelle von der Chronologie abweicht: 1961, beim Mauerbau. Da wird zunächst ein Foto des damaligen sowjetischen Staatschefs Chruschtschow gezeigt, der mit einem Blumenstrauß winkend in einem offenen Auto fährt. Dazu ein Wandteller mit einer Friedenstaube. Danach sehr markant ein Foto amerikanischer Panzer am Checkpoint Charlie in Berlin im Oktober 1961 – nach dem Mauerbau. Und erst dann kommt ein Foto vom Mauerbau im August 1961.
Für Jörg Morré vom Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst, Partner auf deutscher Seite, ist das problematisch:
"Daraus kann man natürlich ableiten, die friedliebende Politik der Sowjetunion wurde von amerikanischen Panzern bedroht, so dass man am Ende zum eigenen Schutz eine Mauer bauen musste, nämlich den antifaschistischen Schutzwall."
Und das ist eine Darstellung, die – zufällig oder nicht – mit der aktuellen offiziellen russischen Politik korreliert. In Moskau heißt es derzeit immer wieder, Russland werde von Amerika bedroht und müsse sich schützen.
Bei der Ausstellungseröffnung trat Russlands stellvertretende Kulturministerin Alla Manilowa auf. Ungeachtet aller Unterschiede lobte sie das Projekt als einen Beleg für die Besonderheit der deutsch-russischen Beziehungen. Sie seien entscheidend für Europas Schicksal. Nur eines habe diese einzigartige Ausstellung ermöglicht:
"Das beiderseitige Bemühen um die historische Wahrheit. Angesichts der vielen und immer häufigeren Versuche, die Geschichte umzuschreiben, Fakten zu verfälschen, ist das sehr viel wert."
Russland wirft Polen und Balten vor, die Nachkriegsgeschichte zu Ungunsten der Sowjetunion zu verfälschen.
Weiterarbeiten an der deutsch-russischen Aufarbeitung
Geht es nach Wladimir Tarasow von der föderalen Archivagentur, sollte die gemeinsame deutsch-russische Aufarbeitung der Geschichte weitergehen, trotz der Krisen und Konflikte.
"So oder so ist es wichtig, miteinander zu reden und dem anderen unsere Positionen zu erklären. Denn nur, wenn wir diskutieren und streiten, finden wir zu Kompromissen."
Dem stimmt auch Jörg Morré vom Museum Berlin-Karlshorst zu:
"Natürlich müssen wir weitermachen, und um dieses Beispiel mit dem Mauerbau wieder aufzugreifen, gerade bei der Sichtweise DDR, BRD, Sowjetunion, in diesem Dreiecksverhältnis, da sind ganz viele Fragen noch nicht ausdiskutiert, und ich sehe eine gute Chance, dass wir das gemeinsam schaffen können."
Lesen Sie auch ein Interview mit dem Kurator der deutschen Ausstellungim Berliner Martin-Gropius-Bau, Jörg Morré.