Deutsch-russische Koproduktion

Udo Kittelmann im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Wenn am Wochenende die 55. Biennale beginnt, wird auch der russische Pavillon für Aufsehen sorgen. In einer über mehrere Ebenen reichenden Installation thematisiert Vadim Zakharov darin das Verhältnis der Menschheit zu ihrem Geld - kuratiert von seinem langjährigen Wegbegleiter Udo Kittelmann.
Liane von Billerbeck: Und jetzt geht’s bei uns um das Kunstereignis des Jahres: die Biennale in Venedig. Zum 55. Mal wird sie eröffnet, am Samstag kann die Öffentlichkeit die große Kunstschau sehen. Und bei uns gibt’s schon heute das erste Gespräch von und über die Biennale. In Venedig am Telefon ist jetzt nämlich Udo Kittelmann, der nicht nur Direktor der Berliner Nationalgalerie ist, sondern auch Kurator des – man höre und staune – russischen Pavillons. Und darin wird eine Arbeit des Künstlers Vadim Zakharov gezeigt. Guten Tag, Herr Kittelmann!

Udo Kittelmann: Guten Tag!

von Billerbeck: Der Chef der Berliner Nationalgalerie als Kurator des russischen Pavillons – wie das?

Kittelmann: Ja, das hat, glaube ich, auch mich etwas überrascht zunächst einmal, wie es auch andere überrascht hat, denn das lag sicherlich nicht in der Erwartung, dass die Russen einen deutschen Kurator für den diesjährigen Beitrag im russischen Pavillon erbitten würden oder fragen würden. Aber es findet dann eine für mich sehr leichte Aufklärung darin, dass die Russen oder der russische Kommissar, Kommissarin Vadim Zakharov gewählt haben als Künstler. Und der wiederum durfte sich seinen Kurator wünschen. Und den Künstler und mich verbindet eine Zusammenarbeit seit über 20 Jahren, und so lag das eigentlich auf der Hand, dass wir beide wieder etwas zusammen machten.

von Billerbeck: Das heißt, der Künstler hat den Kurator gewählt und nicht der Kurator den Künstler, ist ja schon mal ein interessanter Weg. Wie war denn diese Zusammenarbeit?

Kittelmann: Sie meinen die jetzige oder die in der Vergangenheit?

von Billerbeck: In der Vergangenheit, bis es zu diesem Pavillon kam.

Kittelmann: Also wir haben zusammengearbeitet damals schon in Köln. Vadim Zakharov hat dieses ganz wunderbare Adorno-Denkmal in Frankfurt geschaffen. Es gab ganz, ganz viele Zusammenarbeiten, und ich schätze diesen Künstler ja über diese ganzen Jahrzehnte, und das hat ja auch schon eine Bedeutung. Und ich weiß auch darum, dass Vadim Zakharovs Denken als Person und als Künstler sehr stark durch ein freiheitliches Denken geprägt ist und dass sich seine Kunst nicht allein in ästhetischen Äußerungen erschöpft.

von Billerbeck: Dennoch findet Kunst bekanntermaßen nicht im luftleeren Raum statt. Gerade unter Wladimir Putin wurden politische Äußerungen von Künstlern ja meist bestraft, wenn es um Meinungs- oder auch Kunstfreiheit oder Menschenrechte ging. Liefern Sie Putin, der ansonsten ja gerne mal zuschlagen lässt, wenn Künstler sich das Recht auf Meinungsfreiheit herausnehmen, nicht mit Ihrer Arbeit für den russischen Pavillon so eine Art Feigenblatt?

Kittelmann: Das kann ich mir nicht vorstellen. Also auf der einen Seite, das, was Sie ansprechen, da kann es ja überhaupt keinen Zweifel daran geben, dass sich das nicht immer mit unseren Vorstellungen der freien Meinungsäußerung verträgt. Ich glaube, da kann es gar keinen Zweifel daran geben. Aber wenn ein Künstler wie Vadim Zakharov die Chance bekommt, hier auf diesem internationalen Gelände der Biennale in Venedig seine Stimme, seine künstlerische Stimme zu erheben, dann kann man erst oder man sollte dann erst urteilen darüber, wenn man es gesehen hat und vor allen Dingen erfahren hat, welches Statement er dann auch abgibt.

von Billerbeck: Das heißt, Sie liefern mit dem Kuratieren des russischen Staatspavillons auf der Biennale quasi so eine U-Boot-Aktion gegen Putin?

Kittelmann: Ach, eine U-Boot-Aktion ist das überhaupt nicht, und es ist auch gar nicht gegen Putin zu verstehen. Wenn man jetzt vor Ort wäre, könnte man es genau auch dahingehend untersuchen, den Beitrag. Es ist ein großes gesellschaftskritisches, künstlerisches Panorama geworden, denn Vadim Zakharov kritisiert in seinem Beitrag, der die Basis nimmt der mythologischen Geschichte der Danaë und die Symbolhaltigkeit und die transformiert auf unsere heutige Zeit, die ganz stark eben durch Geldflüsse geprägt ist, bis hin eben auch zum korrumpierenden Einfluss des Geldes. Und es ist ja nicht nur ein lokales Thema, wenn man es auf Russland beziehen würde, sondern es ist ein ganz großes globales Thema, und das findet im russischen Pavillon statt.

von Billerbeck: Werden wir mal konkret, Herr Kittelmann, damit wir uns und unsere Hörer sich vorstellen können, was der Künstler Vadim Zakharov und Sie mit ihm als Kurator dort gemacht hat: Den Danaë-Mythos hat er auseinandergenommen, Sie haben es geschildert – wie müssen wir uns das vorstellen, was ist in diesem Pavillon zu sehen?

Kittelmann: Also wenn Sie als Besucher zunächst in die erste Ebene gehen, werden Sie einen Mann sehen, das ist ganz wichtig, also ein Mann. Und dieser Mann sitzt hoch oben im Dach auf einem Cowboysattel, und damit interpretiert er auch schon die Cowboymentalität, die so manchen Mann eben rumtreibt. Und es gibt eine Anweisung oder eine, ja, doch, eine Anweisung an die Männer, im Englischen also Gentlemen – die Ansprache ist direkt an die Männer gegeben, die wirklich sich vor ihren Sünden oder ihre Sünden bekennen müssen. Denn der ganze Beitrag geht davon aus, dass die Welt vor allen Dingen durch männliche Entscheidungen diese Form angenommen hat, die sie heute eben annimmt. Und die Hoffnung – und das drückt auch der ganze Pavillonbeitrag aus – liegt allein bei den Frauen. Sie werden in Zukunft die Entscheidung zu treffen haben, ob sich die Welt in eine andere Weise entwickeln wird.

von Billerbeck: Herr Kittelmann, das höre ich als Frau natürlich gern, aber trotzdem, beschreiben Sie uns – noch mal nachgefragt doch –, was wird da gezeigt? Warum sind die Männer so schuldig, wie macht das Vadim Zakharov, dass man die verschiedenen Rollen und auch die Rolle des Geldes oder des Goldes versteht in dieser Installation in seinem Pavillon?

Kittelmann: Die erste Ebene ist ganz allein dem männlichen Charakter gewidmet, und es gibt in der Mitte des großen, zentralen Raumes eine große Gebetsbank, die sich nach unten hin in das Untergeschoss öffnet, und von oben aus dem Dach fällt ein permanenter Goldregen in Form von Goldmünzen herunter. Man wird zwangsläufig durch die Anmutung der Altarbänke gezwungen, sich hinzuknien und wirklich vor dem Geld zu beten. Das ist eine große, ironische Geste, die Vadim Zakharov inszeniert hat. Im Endeffekt dieser ganzen Erzählung in fünf Akten – man muss sich das wirklich wie ein Theaterstück vorstellen – geht es dann tatsächlich im Untergeschoss weiter, und dort werden die Geschlechter eben auch getrennt. Es ist nur noch den Damen, dem weiblichen Geschlecht erlaubt, in eine Höhle zu gehen und das Geld aufzusammeln, wieder in den Kreislauf des Geldes hineinzuspielen oder aber zu sagen, nein, wir beteiligen uns daran nicht mehr. Und es wird von ihnen abhängen, ob dieser Kreislauf, der ewige Kreislauf des Geldes unterbrochen wird oder so weitergeht, wie wir ihn seit Jahrtausenden kennen.

von Billerbeck: Udo Kittelmann über das, was im russischen Pavillon durch die Arbeit des Künstlers Vadim Zakharov zu sehen ist. Eine Frage, Herr Kittelmann: Sie sind ja sicher schon über das Gelände gegangen – was waren denn Ihre ersten Eindrücke, was hat Ihnen am besten gefallen bisher, außerhalb der Arbeit, die Sie selbst kuratiert haben?

Kittelmann: Was mir sehr gut gefällt, ist der Gesamtbeitrag der Biennale Venedig unter dem Titel des enzyklopädischen Palastes, und es versammelt eine ganze, ganze Reihe von Künstlern, die sehr individualistisch gearbeitet haben oder noch arbeiten und die sich eben nicht einem gängigen Diskurs, Kunstdiskurs je angeboten haben. Und da sehe ich auch wieder die – wie kann ich das sagen? – diesen Dialog auch zu Vadim Zakharov, der eben auch ein sehr individualistischer Künstler ist, der sich nie um irgendeinen gängigen Kunstdiskurs gekümmert hat, sondern beharrlich immer seinen Weg gegangen ist. Und deswegen freut mich das sehr, dass er jetzt hier auch die Chance hat, das in dem Sinne auch zu demonstrieren.

von Billerbeck: Udo Kittelmann war das. Der Direktor der Berliner Nationalgalerie hat für die 55. Biennale in Venedig den russischen Pavillon kuratiert mit einer Installation des Künstlers Vadim Zakharov. Danke, Herr Kittelmann!

Kittelmann: Ich danke Ihnen vielmals! Auf Wiederhören!

von Billerbeck: Auf Wiederhören! Morgen, am 30. Mai, können Sie bei uns eine Sondersendung von und über die Kunstbiennale von Venedig hören in "Fazit" um 19:05 Uhr und 23:05 Uhr.


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