Zwei Länder müssen auf die Couch
Braucht Russland eine Therapie? Oder der Westen? Jedenfalls knirscht es gehörig im Verhältnis, und dazu tragen Stereotype und unterschiedliche Geschichtserzählungen ihren Teil bei. Diese Stereotype will ein Projekt des Auswärtigen Amtes aufbrechen.
Dirk Wiese, Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, freut sich:
"Dass man sich die unterschiedlichen Narrative noch einmal vor Augen führt, dass man versucht, die andere Seite zu verstehen, was nicht gleichbedeutend ist, dass man mit der anderen Seite einverstanden ist, ist hochspannend."
In historisch aufgeladenen Konflikten tragen Geschichtsbilder erheblich dazu bei, aktuelle Konflikte zu verschärfen. Vor diesem Hintergrund hat das Auswärtige Amt Inmedio Berlin, ein privatwirtschaftliches Mediations-Unternehmen, beauftragt, eingefahrene russisch-westliche Wahrnehmungsmuster aufzubrechen. Am Ende dieses Projekts ist eine Broschüre mit dem Titel "Russian-Western Blindspots" erschienen.
Unterschiedliche Deutungen des Krim-Konflikts
An dem Projekt haben 20 Teilnehmer aus Deutschland und Russland teilgenommen. "Was lief falsch seit dem Ende des Kalten Krieges?" Das war die Grundfrage, mit der sie sich vier Tage in Deutschland und vier Tage vor den Toren Moskaus beschäftigt haben. Die rasante Talfahrt der russischen Beziehungen zum Westen hatte ihren ersten Tiefpunkt 2014 mit der Annexion der Krim - und als Russland den Krieg in die Ostukraine trug. Andreas von Westfalen, freier Autor und Journalist, ist einer der Teilnehmer des Projekts. "Wie fühlt es sich an, wenn man in Russland ist und in der Ukraine?", fragt er.
In Russland, wo die Propaganda verbreitet, dass man sich mit der Krim eigenes Territorium zurückgeholt habe – und in der Ukraine, für die die Krim ein Teil ihres staatlichen Territoriums ist.
"Und die Krim, die ethnisch großteils russisch ist, wo die russische Seeflotte liegt - wie geht man damit um? Und es geht, wie gesagt, nicht um die Frage, ist das richtig oder falsch, sondern: Kann ich das verstehen, um dann überhaupt zu einem gemeinsamen Gespräch zu kommen? Sondern ich versuche, den anderen emotional zu verstehen. Das ist vielleicht vergleichbar mit einer Ehekrise, wo ich versuchen muss, als Mediator, aus der Fragestellung rauszukommen, wer hat recht, und wer hat unrecht."
Janusz Reiter, ehemaliger Botschafter Polens in Deutschland und den USA, hat nach der Annexion der Krim angemerkt, Russland unter Putin brauche keine Therapie, diese Regierung brauche klare Ansagen.
Kein Grund, einander den Rücken zuzukehren
Verhärtungen aufzuweichen, war und ist ein Herzensanliegen von Frank Walter Steinmeier. Als Außenminister hat der heutige Bundespräsident immer wieder das versucht, was Mediationsprozesse leisten sollen. Zum Beispiel im August 2016 bei einem Vortrag an der Universität im russischen Jekaterinburg:
"Als ich zum letzten Mal hier war – im Dezember 2014 - so war dies mein erster Besuch nach der Annexion der Krim durch Russland, und mitten in der eskalierenden Ukraine-Krise – ein Tiefpunkt in unserem Verhältnis, dessen Auswirkungen bis heute nicht überwunden sind. Aber all das ist kein Grund, einander den Rücken zuzukehren. Im Gegenteil: Es ist umso mehr Grund, alle Anstrengungen darauf zu richten, sich nicht zu verlieren oder gar zu entfremden, sondern das Gespräch zu suchen, auch wenn es schwieriger geworden ist, und im Dialog zu bleiben – ernsthaft, respektvoll, kritisch, und vor allem: lösungsorientiert."
Eigentlich sollte Steinmeier dort allein sprechen, doch "sein Freund", wie sie sich gegenseitig nennen, der russische Außenminister Sergej Lawrow, kam dazu - und entgegnete mit unversöhnlicher Härte:
"Es ist traurig, dass auch heute die Philosophie der NATO-Zentriertheit, ich würde sogar sagen, einer hochmütigen NATO-Zentriertheit dominiert. Der Kurs des Vordringens der NATO nach Osten um jeden Preis, ohne Übertreibung um jeden Preis, vertieft die Trennlinien auf dem Kontinent. Und als dieser Kurs, der die Balance der Interessen und die Stabilität in Europa zerstört, hart über die Ukraine stolperte, begannen die Versuche, die Schuld dafür Russland zuzuschieben."
Das Prinzip ist klar: Steinmeier, stellvertretend für den Westen, geht erneut auf die russische Regierung zu, "sein Freund" Außenminister Lawrow lehnt ab mit Verweis auf einen Konflikt, an dem die Gegenseite, der Westen, schuld sei. Verständigung, eine simple Weisheit, setzt beiderseitige Bereitschaft voraus.
"Wenn wir jemanden erreichen würden, der Lawrow berät, und auch der hat ganz bestimmt Berater, dann wären wir schon weit gekommen", sagt Ljubjana Wüstehube, die Organisatorin des Workshops "Russian-Western-Blind Spots". "Das ist natürlich ein langer Weg", kommentiert sie lakonisch die Schwierigkeit, in historisch tief verwurzelten Konflikten Verständigungsbereitschaft zu erzeugen. Mediatoren setzen auf kleine Fortschritte und hoffen, dass sich die Erkenntnisse eines Workshops über die Teilnehmer weiter verbreiten.
Der Mythos von den deutsch-russischen Spezialbeziehungen
Alexandra Ogneva arbeitet im Russischen Haus in Berlin. Das Russische Haus ist eine staatliche Einrichtung zur Vermittlung russischer Kultur in Deutschland.
"Bei uns gibt es so einen Narrativ, das ist das Beste, was es überhaupt gibt, also, dass die Deutschen und Russen sich in allen Jahren, wenn wir beide große Kriege ausklammern, ausgezeichnet verstanden haben. Dass unsere russische Zaren immer mit den deutschen Prinzessinnen verheiratet waren, und dass eigentlich überall, wo gute deutsch-russische Beziehungen waren, da war immer Frieden. Und Verständigung in Europa. Wenn die sich nicht gut verstanden haben, gab's Konflikte und Kriege. Also für mich war das immer so, wenn die Deutschen sich jetzt mehr Richtung Westen und USA orientieren, dann wahrscheinlich ist das falsch, die sollen mehr Richtung Russland schauen."
Die Deutschen sollen mehr Richtung Russland schauen? Sie habe dieses Narrativ nie hinterfragt, sagt Ogneva: "Ich hab mit zwei deutschen Teilnehmern gesprochen, die meinen, aber warum denkst du eigentlich, dass wir das ungerne mit Amerikanern antun. Und wir haben auch so ganz lange Gespräche geführt, und dass es nie selbstverständlich ist, dass Deutsche und Russen sich umarmen sollen. Also, dass es eine harte Arbeit ist und dafür muss man kämpfen, daran muss man arbeiten. Ich hab verstanden, dass auch die Seiten auseinander gehen können."
Das Narrativ von speziellen deutsch-russischen Beziehungen und Freundschaft wurde von den Workshop-Teilnehmern als Wunschvorstellung entlarvt. Was folgt daraus? Ljubjana Wüstehube:
"Vielleicht muss man auch sagen, wir wollen nicht auf die Narrative Einfluss nehmen. Wir wollen gemeinsam mit den Teilnehmern Meta-Narrative entwickeln, Meta-Narrative, die erklären, wie die Unterschiede zustande kommen. Ich glaube, vom gemeinsamen Narrativ sind wir sehr, sehr weit entfernt. Aber es wäre schon ein Schritt, Gesprächsbereitschaft herzustellen."
Mit Mediation internationale Konflikte lösen?
Wie schwierig das ist, hat nicht zuletzt der Workshop unter dem Dach des Auswärtigen Amtes gezeigt. Schwierig war bereits die Suche nach geeigneten Teilnehmern. Noch schwieriger wird es sein, den Mediationsgedanken zu verbreiten: die Offenheit für Gesprächsbereitschaft herzustellen. In Russland gibt es keine unabhängigen Medien mit landesweiter Bedeutung. Und die Vertreter der Regierung formulieren ihr Desinteresse an einem offenen Austausch ein ums andere mal klar, wie Sergej Lawrow beim Aufeinandertreffen mit dem damaligen Außenminister Steinmeier.
So interessant der Gedanke ist, mit Mediationstechniken Wahrnehmungsmuster aufzubrechen: Ob die Methoden auch auf Konflikte zwischen Staaten anwendbar sind, bleibt offen.