Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst

Wo der Kreml gegen sich selbst protestiert

16:06 Minuten
Blick auf das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst, vor dem die deutsche, die russische, die ukrainische und die belarussiche Flagge zu sehen sind.
Einer der wenigen Kanäle zwischen Deutschland und Russland, der noch offen ist: So sieht Museumsdirektor Jörg Morré das Deutsch-Russische Museum im Berliner Stadtteil Karlshorst. © picture alliance / POP-EYE / Christian Behring
Von Jens Rosbach |
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Am Deutsch-Russischen Museum sind der deutsche und der russische Staat beteiligt, außerdem Kiewer und Minsker Institutionen: eine einzigartige Trägerschaft. Doch daraus entstehen auch zahlreiche Konflikte – und skurrile Situationen.
Es ist ein exotischer Säulenbau, der in Berlin-Karlshorst steht: Links vom Eingang thront auf einem Sockel ein alter Sowjetpanzer. Und rechts davon wehen die deutsche, die russische, die ukrainische und die belarussische Flagge. Es handelt sich um das Deutsch-Russische Museum, auch Kapitulationsmuseum genannt. Hier wurde in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 das Ende Nazideutschlands offiziell besiegelt.
Der historische Saal des Berliner Kapitulationsmuseums ist fast schon ein sakraler Raum für Russen, Ukrainer und Belarussen, die – zusammen mit den Deutschen – im Trägerverein des Museums arbeiten.
Es sei allen klar, „dass wir schon in einer angespannten Situation hier zusammensitzen“, sagt Museumsdirektor Jörg Morré. Er ist von Hause aus Historiker. Aber mittlerweile, sagt der 57-Jährige, arbeite er immer häufiger wie ein Diplomat: zwischen allen Stühlen. "Wenn zwei Mitglieder in meinem Verein, Russland und die Ukraine, Krieg gegeneinander führen – das tun sie faktisch –, kann ich das nicht ignorieren."

Solidaritätsausstellung mit verbotener Initiative

Morré kämpft gleichzeitig an mehreren politischen Fronten. Beispiel Sonderausstellung: Seit November präsentiert der Direktor zum zweiten Mal eine Ausstellung über sowjetische Zwangsarbeiter, obwohl die Schau bereits im Jahr zuvor gezeigt und längst wieder abgebaut worden war. Die Ausstellung ist nämlich von der russischen Menschenrechtsinitiative Memorial erstellt worden. Doch kürzlich wurde in Moskau der internationale Dachverband von Memorial verboten.
Als sich dies bereits im vergangenen Herbst abzeichnete, informierte der Museumsdirektor auch seine russischen Vereinsmitglieder, dass er mit der erneuten Präsentation bewusst Solidarität zeigen möchte. Die Reaktion sei Schweigen gewesen.
Das diplomatische Parkett des Hauses ist alt und brüchig. Einst diente das Gebäude als Wehrmachtspionierschule, nach dem Krieg residierte hier der Chef der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland. 1967 wurde es zum Kapitulationsmuseum. Nach dem Mauerfall und dem Abzug der russischen Truppen entstand daraus 1995 das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst.

Skurrile Politposse

Bis heute hätten beide Seiten – trotz vieler Konflikte – ein großes Interesse an einem Weiterbetrieb, erklärt Direktor Morré. Die Deutschen wollten ihrer historischen Verantwortung für den NS-Vernichtungsfeldzug im Osten gerecht werden und die Russen den Zugang behalten zu dem symbolstarken Ort ihres Sieges. Deshalb suchten alle immer einen Kompromiss.
Offiziell sitzen im Museumsverein unter anderem die Außen-, Verteidigungs- und Kulturministerien von Deutschland und Russland. So kommt es in Berlin-Karlshorst nun zu einer skurrilen Politposse: Der Kreml verbietet Memorial. Und das Deutsch-Russische Museum protestiert dagegen, obwohl im Museum der russische Staat vertreten ist. Protestiert der Kreml damit nicht gegen sich selbst?

PR-Aktion der Nachtwölfe

Wladimir Lukin ist einer von sechs russischen Vertretern im 17-köpfigen Berliner Museumsverein und agiert als zweiter Karlshorster Vereinsvorsitzender. Bis in die 90er-Jahre hat der heute 71-Jährige das sowjetische Kapitulationsmuseum in Karlshorst geleitet.
Nun ist er Vizechef des Zentralen Streitkräftemuseums in Moskau. Beim brisanten Thema Memorial hält er sich bedeckt: "Wenn die Ausstellung für das Museum interessant ist, kann sie stattfinden. Dies wären jedoch Sonderausstellungen, keine Dauerausstellung."
Der Direktor des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst, Jörg Morré
Vertraut mit Propaganda, historischen Tabus und schwierigen Kompromissen: der Direktor des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst, Jörg Morré.© picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Museumsdirektor Jörg Morré weiß jedoch, dass Moskau auch sehr undiplomatisch vorgehen kann. So knatterten am 8. Mai 2015 rund 30 kremlnahe Rocker – die berüchtigten Nachtwölfe – mit ihren Motorrädern nach Karlshorst, um den alten Sowjetpanzer vor der Tür für einen provokanten PR-Coup zu entern.

"Nie so schwierig wie jetzt"

Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift „Osteuropa“ mit Sitz in Berlin-Wilmersdorf, spricht von der einzigartigen Konstruktion, dass in Karlshorst Deutschland mit drei Ex-Sowjetrepubliken an einem Tisch sitzt. "Aber gleichzeitig ist die politische Gemengelage so bedeutend für das Museum, dass es nie so schwierig war wie jetzt."
Der Russland-Experte erklärt, dass 1997 ein Kiewer und 1998 ein Minsker Weltkriegsmuseum als weitere Institution in den deutsch-russischen Museumsverein in Karlshorst eingetreten sind. Doch die Zusammenarbeit sei kompliziert. Es gebe in dem Verein "eine Politik des leeren Stuhls". Seit der Annexion der Krim 2014 wollten die ukrainischen Vertreter nicht gleichzeitig mit den russischen Vertretern an einem Tisch im Verein sitzen.
In der Coronazeit wollten eigentlich alle Museumspartner per Zoom miteinander sprechen, aber das hat nach Aussagen der Museumsleitung nie geklappt. Als Begründung seien unter anderem technische Probleme angeführt worden. Das erschwere das gemeinsame Arbeiten extrem, wenn es es nicht sogar unmöglich mache, so Jörg Morré.

Braucht das Museum einen neuen Namen?

Zuletzt gab es immer wieder Kritik am Namen des Museums. So etwa anlässlich einer Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Juni vergangenen Jahres im Karlshorster Museum anlässlich des 80. Jahrestags des Überfalls auf die Sowjetunion.
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, boykottierte die Gedenkveranstaltung – weil sie in einem deutsch-russischen Museum stattfand. Die Ukraine werde „als eine der größten NS-Opfernationen übersehen“, kritisierte er in einem Brief an den Museumsdirektor. Dabei verschwieg der Diplomat jedoch, dass auch die Ukraine im deutsch-russischen Museumsverein vertreten ist.
Das Bundespräsidialamt reagierte scharf auf Melnyks „nicht zu akzeptierenden Rundumschlag“, der den beiderseitigen Beziehungen einen schlechten Dienst erweise.

Kämpfe um historische Tabus

Auch Marieluise Beck hält den Namen des Museums für überholt. Die bündnisgrüne Politikerin und Mitgründerin des Berliner Demokratie-Thinktanks Zentrum Liberale Moderne nimmt die Ukrainer in Schutz. Gerade wenn man sage, die Belarussen, die Ukrainer sollen mit dabei sein, dann müsse dieses Museum tatsächlich einen neuen Namen bekommen. „Dann ist ein deutsch-russisches Museum einfach schräg.“
Jörg Morré sieht sich ungerecht behandelt. Marieluise Beck habe nie wirklich mit ihm gesprochen. Schließlich habe er dafür gesorgt, dass auch die ukrainische Fahne vor dem Museum wehe, so der Museumsdirektor.
Er habe schon genügend Kämpfe mit der russischen Seite auszufechten, vor allem um historische Tabus. Ob Hitler-Stalin-Pakt, Nazi-Kollaboration oder russische Kriegsgefangene: Seit Jahren torpediere Moskau bestimmte Themen und verlange schwierige Ausstellungskompromisse, klagt Morré.
Der historische Kapitulationssaal im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst, in dem im Mai 1945 Weltgeschichte geschrieben wurde.
Kapitulationssaal im Deutsch-Russischen Museum: Hier wurde im Mai 1945 Weltgeschichte geschrieben. Die Zusammenarbeit heute ist von Konflikten geprägt. © picture-alliance/dpa/Paul Zinken
So hätten die Russen beim Thema Vergewaltigung deutscher Frauen durch Rotarmisten auf einer Relativierung bestanden, die ihm als Historiker Bauchschmerzen bereite. "Das war so ein ganz typischer Kompromiss, so ein Waagschalenprinzip: Wenn Ihr das und das zum Thema machen wollt, dann müsst Ihr aber auch auf der eigenen Seite etwas benennen. Also: Rote Armee vergewaltigt, Wehrmacht vergewaltigt auch."

Umbenennung als heikle politische Statusänderung

Museumsvizevorstand Wladimir Lukin aus Moskau erklärt hingegen, es gebe keine großen Auseinandersetzungen. Allerdings könnten „bei Beratungen zu einem Ausstellungsthema einige Bemerkungen seitens des wissenschaftlichen Beirats geäußert werden“. Diese seien jedoch lediglich „subjektive Meinungen einzelner Beiratsteilnehmer“.
Trotz des jahrelangen Kampfes mit der russischen Seite lehnt Morré eine Umbenennung des Museums ab, da ursprünglich lediglich Deutsche und Russen das Museum gegründet haben. Zudem wäre ein neuer Museumsname eine heikle politische Statusänderung. Dazu sei die deutsche Politik jedoch nicht bereit, bilanziert der Direktor.
"Das Museum ist vonseiten der Russischen Föderation Teil der russischen Außenpolitik. Und das ist spiegelbildlich gesehen beim Auswärtigen Amt nicht so.“ Dort wisse man aber nicht wirklich, was das Museum mache, obwohl er jährlich seine Berichte hinschicke, so Morré. Und er sehe auch keine Bereitschaft, eine Statusveränderung zu begleiten. Das Auswärtige Amt möchte sich nicht öffentlich zu der Frage äußern, ob das deutsch-russische Museum genug politische Unterstützung erhalten hat in den vergangenen Jahren.

Kapituliert der Museumsleiter?

Kreml-Propaganda rund um das Karlshorster Museum, historische Tabus und schwierige Kompromisse mit den russischen Vertretern. Gleichzeitig Attacken von der ukrainischen Seite und schweigende deutsche Ministerien: Jörg Morré versucht sein einzigartiges Haus zu bewahren, gerät aber immer wieder zwischen die Stühle.
Fast klingt es so, als könnte der Direktor des Kapitulationsmuseums bald selbst kapitulieren: "Na ja, da lassen die Kräfte nach. Da steigen vielleicht auch Frustrationen, immer und immer wieder gegenzuhalten. Das ist alles viel, viel enger geworden. Und das hat auch damit zu tun, dass das Museum hier in Karlshorst einer der wenigen Kanäle zwischen Deutschland und Russland ist, der noch offen ist."

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