Brückenbauer in Krisenzeiten
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Die Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei verschlechtert sich seit Jahren. Aber zwischen den Städten Berlin und Istanbul gibt es nach wie vor einen regen Austausch. Besonders lebendig sind Partnerschaften zwischen einigen Bezirken dieser Städte.
Ein Erzieherinnen-Austausch mit der Türkei? Eine Reise in ein Land, in dem seit Jahren Oppositionelle verhaftet, Journalisten ausgewiesen oder Beamte entlassen werden? Manuela und Beyhan, Erzieherinnen in einer deutsch-türkischen Kita in Berlin-Kreuzberg, erinnern sich noch gut an die Reaktionen ihrer Bekannten, als sie im vergangenen November ihre Taschen packten.
"Also meine eine Nachbarin, die ist vor zehn Jahren noch ganz oft in die Türkei geflogen, hat Urlaub gemacht auch in Antalya und so weiter. Und die hatte dann jetzt auch durch die Medien total Angst gehabt. Also, die hat dann auch immer wieder gesagt: 'Oh, wie kannst du nur, pass bloß auf dich auf, und nicht, dass irgendwie im Flugzeug oder am Schalter, dass Erdogans Leute dich mitnehmen oder so'."
"Ich meine, man hört ja viel aus den Medien, dass man so denkt: Oh Gott … Also, ich dachte eigentlich, ja, wie kann ich mich da als Frau noch frei bewegen, also das waren so meine Gedanken jetzt."
Manuela und Beyhan flogen trotzdem. Gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen verbrachten sie eine Woche im Istanbuler Stadtteil Kadiköy, hospitierten in fünf verschiedenen bezirkseigenen Kitas. Die Begeisterung steht ihnen auch fünf Monate später noch ins Gesicht geschrieben.
"Also es ist sehr interessant, da noch mal so'n Einblick zu erhalten, wie wird dort gearbeitet. Wir haben ja auch viele Mütter, die neu aus der Türkei hierherkommen. Und man hat einfach dann mehr Verständnis dafür aufgebracht, auch wie die Kinder waren."
"Was ich auch sehr schön fand, war die Gastfreundschaft. Wir wurden in jeder Kita sehr herzlich empfangen und vom Bürgermeister wurden wir zum Essen eingeladen… Also, das war einfach sehr herzlich alles gewesen."
Feierstimmung auf offizieller Ebene verflogen
Drei Mal haben sich die Erzieherinnen aus Berlin und Istanbul bereits gegenseitig besucht. Ein voller Erfolg, findet Özcan Ayanoglu, stellvertretender Vorsitzender des Städtepartnerschaftsvereins Kadiköy e.V., der den Austausch initiiert hat.
"Es ist auch in diesen Zeiten immer noch sehr wichtig, diese Begegnungen zu organisieren. Sei es über Projekte oder Bildungsreisen oder eine Ausstellung da und hier. Es kommen Menschen zueinander, es entsteht eine Begegnung."
Seit 22 Jahren bildet der Berliner Verein eine Brücke zwischen den Partnerstadtteilen Kadiköy und Friedrichshain-Kreuzberg. Mit kleinstem Budget und dafür umso mehr Herzblut organisieren die deutsch-türkischen Mitglieder Reisen, Konzerte, Brieffreundschaften oder Workshops zwischen den beiden Bezirken. Als Berlin und Istanbul im Jahr 2009 das 20-jährige Jubiläum ihrer Partnerstadt feierten, waren Özcan Ayanoglu und seine Frau Christiane ganz vorn mit dabei.
"Die 20 Jahre, das war ein super Event. Das war sehr schön. Berlin kam angereist, so kann man das sagen. Mit Wowereit, mit Vertretern von der Akademie der Künste. Wir waren dabei, dann war das Ballhaus Naunynstraße noch unter Shermin Langhoff dabei. Also die ganze Szene war da. Das war schon eine lustige Veranstaltung."
Heute – zehn Jahre später – scheint die Feierstimmung von damals zumindest auf offizieller Ebene verflogen. Große Veranstaltungen wie 2009 sind bisher nicht in Sicht und vom Berliner Senat ist nicht mal eine Stellungnahme zum runden Geburtstag zu bekommen. Man sei noch nicht so weit mit den Planungen, heißt es lediglich. Ein paar Zeilen im Internet sprechen jedoch für sich:
"Die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Istanbul war durch eine Vielzahl von Projekten in den einzelnen Ressorts des Senats gekennzeichnet, wobei die Zusammenarbeit zwischen Berliner und Istanbuler Institutionen in den letzten Jahren zunehmend durch die schwierigen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei belastet ist."
Und auch auf türkischer Seite herrscht scheinbar wenig Euphorie: Die türkische Botschaft in Berlin verweist an die Stadt Istanbul. Anfragen per Mail und Telefon an die zuständigen Abteilungen dort bleiben unbeantwortet.
"Städtepartnerschaften halten die Brücke aufrecht"
"Wenn also überhaupt etwas passiert zum diesjährigen Jubiläum, dann allein auf zivilgesellschaftlicher Ebene. Doch auch hier ist die Arbeit schwieriger geworden", so Daniel Grütjen, Projektkoordinator bei der Stiftung Mercator.
"Man merkt, dass auf beiden Seiten viel Vertrauen verloren gegangen ist. Dass auch viele Vorurteile, die wir überwunden geglaubt hatten, wieder aufgekommen sind und sich verhärtet haben. Und das zeigt sich natürlich dann auch in unseren Projekten, wo gerade dieser Vertrauensaufbau wichtiger geworden ist."
Wie anderen Trägern auch, gingen der Mercator-Stiftung zwischenzeitlich gar die Teilnehmer für ihre Projekte aus. Gerade Schüler- und Jugendaustausche waren betroffen. Welche deutschen Eltern schicken ihre Kinder schon guten Gewissens in die aktuelle Türkei? Grütjen, der selbst viele Jahre am Bosporus wohnte, kennt die misstrauischen Fragen auf deutscher – aber auch auf türkischer Seite:
"Wir spüren die abgekühlten Beziehungen in ganz unterschiedlichen Feldern. Gerade als deutsche Stiftung in der Türkei sieht man sich oft mit Vorurteilen konfrontiert: Warum machen die das denn, haben die 'ne hidden Agenda, dass sie hier in der Türkei Projekte fördern?!"
Die Stiftung Mercator engagiert sich seit zehn Jahren für ein besseres Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei. Zur Zeit fördert sie 35 Projekte, durch die sich Schüler, Journalisten, Mitarbeiter in der Flüchtlingshilfe oder Wissenschaftler aus beiden Ländern begegnen sollen. Erst im vergangenen Jahr wurde ein neues Istanbul-Büro eröffnet. Trotz oder gerade wegen der politischen Missstimmung.
"Ich glaub', das ist das Potenzial von zivilgesellschaftlichem Austausch, aber natürlich auch von Städtepartnerschaften, dass sie es abseits der großen politischen Bühnen schaffen, Menschen zusammenzubringen in Alltagssituationen, über alltägliche Herausforderungen zu sprechen – und die dann oft im Gespräch merken: So unterschiedlich sind wir gar nicht."
Austausch bei Bezirken läuft besser denn je
"Wenn die Politik nicht funktioniert, wenn der politische Dialog abgebrochen ist, dann sind es Städtepartnerschaften, die auf ganz niedrigschwelliger Ebene, quasi grassroot-mäßig, die Brücken aufrecht erhalten", glaubt auch der Berliner Grünen-Politiker Özcan Mutlu. 1997 gehörte Mutlu zu den Gründern der Partnerschaft zwischen Kreuzberg und Kadiköy.
Vor zwei Jahren dann initiierte er gemeinsam mit anderen eine weitere Stadtteilverbindung. Diesmal zwischen Berlin-Köpenick und dem Bezirk Tepebasi im zentralanatolischen Eskisehir. Kein Zufall, dass es sich beide Male um liberale, von der Oppositionspartei CHP geführte Partnerstadtteile handelte. Gerade der Istanbuler Bezirk Kadiköy gilt als Hochburg der Erdogan-Gegner.
"So wie es mit Freunden ist: Man sucht sich seine Freunde aus dem Kreis derjenigen, die gleichgesinnt sind. Gleiche Werte haben und so weiter. Ich geh ja nicht hin und begründe eine Partnerschaft mit 'nem Politiker, der rechtsradikale Ansichten hat."
In den aktuellen Zeiten nun macht sich dieser Gedanke bezahlt, ist Mutlu überzeugt. Denn während es in den Beziehungen zu Erdogans Türkei regelmäßig kriselt und offizielle Feierlichkeiten zwischen Berlin und dem AKP-geführten Istanbul offensichtlich nicht geplant sind, läuft der Austausch mit den CHP-geführten Bezirken Kadiköy und Tepebasi besser denn je. Nicht nur der Erzieherinnenaustausch mit den Kreuzberger VAK-Kitas sondern auch gemeinsame Musikprojekte und Fotoausstellungen fanden und finden ungeachtet aller politischer Unstimmigkeiten statt.
"Wir dürfen eins nicht vergessen: Städtepartnerschaften sind für die Menschen vor Ort da. Das heißt, Demokratinnen und Demokraten in der Türkei kriegen durch eine solche Städtepartnerschaft Unterstützung. Wenn ein Land quasi bestimmte universelle Werte missachtet, brauchen aber die Menschen, die eben an diese universellen Werte glauben wie Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit et cetera, die brauchen unsere Unterstützung. Und Städtepartnerschaften sind das ideale Instrument dafür."
Jetzt erst recht!
Genau deswegen wollen Özcan und Christiane Ayanoglu vom Städtepartnerschaftsverein Kadiköy weitermachen. Ihr Motto für 30 Jahre Städtepartnerschaft Istanbul Berlin: Jetzt erst recht! Immerhin: Auch das Goethe-Institut will einige ihrer Projekte in Zukunft unterstützen.
"Dadurch, dass insgesamt die Beziehungen sehr viel schwerer geworden sind durch die politischen Entwicklungen in der Türkei, gibt es auch nicht mehr so viele, die vor Ort Beziehungen haben", sagt Christiane Ayanoglu. "Also, die Wertschätzung nimmt einfach zu, weil die Leute gucken, wer ist noch da, wer macht noch was. Und das ist natürlich nicht schön, dass es nur noch wir sind, aber wenigstens werden wir jetzt stärker wahrgenommen."
"Die jetzige Zeit für uns zum Beispiel ist eine interessante Zeit geworden", ergänzt Özcan Ayanoglu. "Wir haben für eine Weile gedacht, jetzt ist genug. 20 Jahre, da können wir ruhig Abschied nehmen. Und dann kommt so eine Zeit und dann merkt man, wie wichtig es dann doch ist weiterzumachen."