Ungebrochenes Engagement von Siemens, Bosch und Co.
Deutsche Unternehmen investieren in der Türkei - der angespannten Lage zum Trotz. Jan Nöther von der Deutsch-Türkischen Handelskammer gibt sich optimistisch: Das deutsch-türkische Wirtschaftsverhältnis stehe auf einem "stabilen Fundament" - und dies helfe auch der türkischen Bevölkerung.
Mercedes, Bosch, Siemens haben gerade neu in die Türkei investiert - und zwar Milllionen. Für sie ist die Türkei eine willkommene Werkbank für ihre Produkte, und sie glauben auch weiter an die wirtschaftliche Perspektive in der Türkei – trotz der aktuellen, sehr angespannten politischen Lage, die auch das Wirtschaftswachstum in der Türkei in Mitleidenschaft zieht.
6500 deutsche Unternehmen in der Türkei
Nach Ansicht von Jan Nöther, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Türkischen Handelskammer in Istanbul, wird daran – am Investitionsdrang der großen deutschen Unternehmen - auch nichts ändern, obwohl die Gesamtzahl der Investitionen 2016 etwas zurück gegangen sind. Nöther ist im Großen und Ganzen optimistisch. Immerhin tummeln sich derzeit 6500 deutsche Firmen auf dem türkischen Markt. Aber könnte sich das Klima durch den drohenden Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen ändern?
"Das könnte mittelfristig natürlich auch zu wirtschaftlichen Auswirkungen führen. Allerdings gibt es zwischen der Europäischen Union und der Türkei seit vielen Jahren eine sogenannte Zollunion." Diese erleichtere den Warenverkehr.
Nöther sagte weiter, er mache sich keinerlei Sorgen, dass deutsche Unternehmen wegen des angespannten Verhältnisses zwischen der Bundesregierung und der türkischen Regierung nicht mehr willkommen sein könnten.
"Das Fundament der deutsch-türkischen Verbindung ist sehr stabil.(…) Wir sind, historisch gesehen, der größte Investor, der größte Handelspartner. (…) Und wir gehen auch davon aus, dass das in Zukunft so bleibt. Die Willkommenskultur der türkischen Wirtschaft in Richtung deutsche Unternehmen ist absolut gegeben."
Unternehmen hoffen auf Stabilisierung
Deutsche Unternehmen würden sich weiterhin in der Türkei engagieren - auch damit die türkische Bevölkerung "dann auch an einer Zunahme des Wohlstandes partizipieren kann. Eine zufriedene Bevölkerung ist keine gewalttätige Bevölkerung."
Die meisten der großen Unternehmen gingen derzeit davon aus, dass sich die politische Situation in der Türkei stabilisieren und der Ausnahmezustand bald beendet sein werde. Nöther räumte ein, dass die Tatsache, dass unter den Zehntausenden von nach dem Putsch Verhafteten auch viele Unternehmer und vor allem auch Verwaltungsbeamte befänden, selbstverständlich Auswirkungen habe werde.
"Da wird es sicherlich eine gewisse Zeit benötigen, bis die Nachfolger ähnlich gute Leistungen den Unternehmen gegenüber zeigen können."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Zum ersten Mal seit sieben Jahren ist die türkische Wirtschaft geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt nahm im dritten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 1,8 Prozent ab. Nervös blicken Vertreter der Wirtschaft aber nicht nur auf diese Zahlen, sondern heute auch nach Brüssel, wo wie gestern weiter verhandelt wird über die Zukunft der Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei. Ein Abbruch der Gespräche, wie er von Österreich zumindest gefordert wird – und ein paar Verbündete haben die Österreicher da auch jetzt schon in der EU –, ein solcher Abbruch könnte ja durchaus auch Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Entwicklungen haben. Auch viele sehr große und einige mittelständische Unternehmen aus Deutschland haben in der Türkei investiert und deshalb reden wir jetzt mit Jan Nöther. Er ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der deutsch-türkischen Industrie- und Handelskammer in Istanbul, schönen guten Morgen, Herr Nöther!
Jan Nöther: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Was ist im Moment für deutsche Unternehmen, die in der Türkei aktiv sind, schlimmer: diese Wirtschaftszahlen oder die Vorstellung, dass die Beitrittsverhandlungen abgebrochen werden könnten?
Nöther: Also, ich glaube, wir müssen ein differenziertes Bild auf die Türkei werfen und auf das Engagement der deutschen Industrie in der Türkei. Die Unternehmen, die in der Türkei investiert sind, die fühlen sich trotz der schwierigen Rahmenbedingungen im Augenblick noch sehr wohl. Das hängt damit zusammen, dass viele Ausrüstungsgegenstände, ja viele Zulieferungen in Bereiche hineingeleistet werden, die von der türkischen Wirtschaft nachgefragt werden, und die deutschen Produkte stehen hier nach wie vor sehr hoch im Kurs.
Stabile Zollunion zwischen Türkei und Deutschland
Kassel: Aber was könnte denn passieren, wenn zum Beispiel – bleiben wir bei der Verhandlungsfrage –, wenn es keine Beitrittsverhandlungen mehr gäbe? Wäre das eine rein politische Angelegenheit oder glauben Sie, das hätte auch wirtschaftliche Auswirkungen?
Nöther: Das kann mittelfristig natürlich auch zu wirtschaftlichen Auswirkungen führen. Allerdings gibt es zwischen der Europäischen Union und der Türkei seit vielen Jahren eine sogenannte Zollunion. Das bedeutet, dass Produkte, die entweder in die Türkei oder in den europäischen Raum eingeführt wurden, zolltechnisch nicht weiterbehandelt werden, so sie zwischen einem EU-Land und der Türkei oder der Türkei in die EU hinein verschoben werden. Nichtsdestotrotz wäre der Abbruch ja einer Verhandlung für die Wirtschaft nicht positiv.
Kassel: Aber angesichts der Entwicklung in der Türkei, gibt es denn für deutsche Unternehmen, die dort investieren, oder auch welche, die einfach nur auf Zulieferer angewiesen sind, im Moment überhaupt noch so etwas wie Planungssicherheit?
Nöther: Große Unternehmen halten an ihren Investitionsplänen in der Türkei fest. Und damit verbinden wir durchaus auch ja die Perspektive, dass die gegenwärtige politische Situation sich stabilisiert. Und die Stabilität ist das, was die Unternehmen suchen. Im Augenblick ist es natürlich etwas schwierig, ja, da wir einen offiziellen Ausnahmezustand haben, der bis zum 15. Januar läuft und die Gerüchte sich ranken, dass ja dieser über den 15. Januar hinaus verlängert wird. Allerdings, ja, sehen die Unternehmen diese gegenwärtige Situation als eine temporäre Situation und schätzen doch die Vorzüge, die ein Standort Türkei langfristig mit sich bringt.
"Das Fundament ist sehr stabil"
Kassel: Aber Zehntausende von Menschen sind ja verhaftet worden im Nachgang des Putschversuchs im Juni. Darunter sind ja zum Teil auch Unternehmen, mehrere Führungspersonen in diversen Unternehmen. Hat das denn überhaupt keine Auswirkung?
Nöther: Es hat natürlich Auswirkungen, wenn wir nicht nur in die Unternehmen schauen, sondern insbesondere auch in die Verwaltung hineingehen. Mit vielen Menschen, die sehr große Erfahrungen gesammelt haben, mit denen geht natürlich ein Stück weit routinierte Arbeit auch aus den Funktionen hinaus. Und da wird es sicherlich eine gewisse Zeit benötigen, bis die Nachfolger ähnlich gute Leistungen den Unternehmen gegenüber zeigen können. Aber auch da gehen wir davon aus, dass das temporärer Natur ist und die Unternehmen auch in der Zukunft in einer engen Zusammenarbeit mit Verwaltungsorganen ihre Themen hier regeln können.
Kassel: Nun hört man ja sehr viel Negatives auf politischer Ebene auch von der Regierung gegenüber Deutschland. Wie ist denn das wirtschaftlich, sind deutsche Unternehmen überhaupt noch willkommen in der Türkei?
Nöther: Oh ja! Das Fundament der türkisch-deutschen Verbindung ist sehr stabil. Es gibt mehr als 6500 deutsche Unternehmen in der Türkei, wir sind historisch gesehen der größte Investor, der größte Handelspartner zur Türkei. Die wirtschaftlichen Beziehungen stehen auf einem sehr, sehr stabilen Fundament. Und wir gehen auch davon aus, dass dies in Zukunft so bleibt. Die Willkommenskultur der türkischen Wirtschaft in Richtung deutsche Unternehmen ist absolut gegeben.
Kassel: Nun gibt es eine Einrichtung Deutscher, das ist kein Unternehmen, die bisher profitiert hat von den Entwicklungen in der Türkei, das ist das Goethe-Institut. Wir haben darüber berichtet, dass immer mehr junge Türken dort Deutschkurse machen, weil sie für sich selbst in der Türkei keine berufliche Zukunft sehen. Ist das nicht auch eine ziemlich dramatische Entwicklung? Die Türkei kann ja nicht auf Dauer auch immer nur die Werkbank der deutschen Unternehmen bleiben.
Großer Zulauf für das Goethe-Institut
Nöther: Ich würde vermuten, dass das Goethe-Institut schon immer eine sehr starke Auslastung hatte. Ich hatte da dieses Jahr eine Zahl gehört von mehr als 6000 Absolventen. Das war aber auch in der Vergangenheit so, dass das Goethe-Institut sehr stark nachgefragt war, da die Deutschland-Freundlichkeit der türkischen Bevölkerung immens ist und natürlich viele hier in der Türkei lebende Familien auch Familienangehörige in Deutschland haben. Also, ich würde diese starke Frequentierung im Augenblick nicht auf die politischen Gegebenheiten herunterbrechen wollen. Das Goethe-Institut war schon immer sehr stark nachgefragt.
Kassel: Nun will ich Ihnen einfach mal glauben, weil Sie es besser wissen als ich, dass wirtschaftlich das alles vielleicht noch nicht so bedrohlich ist für die deutschen Unternehmen, was in der Türkei passiert. Aber müssen sich nicht manche Unternehmen auch eine Image-Frage stellen? Könnte es nicht angesichts der Entwicklungen vielleicht für das Image eines großen Unternehmens gar nicht mehr so gut sein, wenn es sagt, ich investiere massiv in der Türkei?
Nöther: Ja, diese Fragen stellen sich natürlich die Unternehmen. Auf der anderen Seite sagen sich die Unternehmen: Das, was auch im Politischen zwischen der Türkei und Deutschland gegeben sein sollte, der Dialog zu den Partnern, zu den Geschäftspartnern in der Türkei, muss aufrechterhalten bleiben. Gleichermaßen leisten die Unternehmen sehr, sehr Positives, wenn es darum geht, Neuerungen in dieses Land hineinzubringen, technologische Weiterentwicklung zu fördern, Arbeitsplätze in der Türkei zu fördern.
Da ist die deutsche Wirtschaft sehr konstruktiv am Ball und das wird natürlich auch in den politischen Kreisen der Türkei nicht nur erkannt, sondern gutgeheißen. Insofern ist es außerordentlich wichtig, dass sich die deutschen Unternehmen in der Türkei engagieren, ja, um diese Weiterentwicklung positiv zu gestalten, damit auch die Bevölkerung in der Zukunft so, das Wirtschaftswachstum gestärkt werden kann. Und da gibt es im Augenblick natürlich Zweifel, das ist gar kein Thema, aber so, dass die Bevölkerung dann auch an einer Zunahme des Wohltandes partizipieren kann. Eine zufriedene Bevölkerung ist keine gewalttätige Bevölkerung.
Kassel: Sagt Jan Nöther, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer in Istanbul. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Nöther!
Nöther: Ich danke Ihnen, Herr Kassel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.