"Wir sind gar nicht so verschieden"
Mit der Reisewarnung von Außenminister Gabriel verschärft sich der Ton zwischen Deutschland und der Türkei weiter. Anne Duncker von der Mercator-Stiftung plädiert dafür, die Verbindung zwischen beiden Ländern nicht abreißen zu lassen - im Interesse der Menschen in der Türkei.
Wer in die Türkei reisen wolle, solle sich das vorher gut überlegen, sagte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) der Bild-Zeitung und sprach damit eine Art persönliche Reisewarnung für das Land aus. Ohnehin ist der Türkei-Tourismus aus Deutschland schon seit einiger Zeit stark zurückgegangen: nicht nur wegen der Sicherheits- und Rechtslage, sondern auch als Ausdruck politischen Protests gegen das Erdogan-Regime.
Die Zivilgesellschaft lechzt nach Verbindung zu Europa
Wenn Leute derzeit keinen Urlaub in der Türkei machen wollen, könne sie das nachvollziehen, meint Anne Duncker, Leiterin des Bereichs Internationale Verständigung bei der Mercator-Stiftung. Gleichzeitig plädiert sie dafür, die Verbindung zwischen beiden Ländern nicht abreißen zu lassen - vor allem im Interesse der Menschen in der Türkei.
"Gerade die Leute von den Universitäten, aus der Zivilgesellschaft, von den NGOs, aus der Kunst- und Kulturszene, die lechzen nach der Verbindung zu Europa und suchen die Wege", sagte Duncker im Deutschlandfunk Kultur. "Da ist doch sehr stark unser Gefühl, dass wir uns nicht abwenden sollten von den Menschen in der Türkei und von der Zivilgesellschaft."
Nachfrage in Deutschland sinkt
Trotz der rechtsstaatlich problematischen Situation in der Türkei und der zunehmend schwierigen deutsch-türkischen Beziehungen führt die Mercator-Stiftung weiterhin Austauschprogramme durch, etwa für Schüler, Studierende oder junge Wissenschaftler. Allerdings beobachtet Duncker, dass auf deutscher Seite die Nachfrage nach solchen Programmen sinke. "Wobei man auch sagen muss, dass es doch in vielen Programmen auf einem akzeptablen Niveau bleibt und es nicht so ist, dass kein Austausch mehr stattfindet", betont sie.
Für die Gestaltung der Programme hat die Situation in der Türkei offenbar durchaus Konsequenzen, etwa dahingehend, dass Begegnungen nicht in der Türkei, sondern in Deutschland stattfänden. "So hatten wir zum Beispiel gerade ein sehr schönes Kreativcamp, wo sich in Görlitz zwei Wochen türkische und deutsche Jugendliche getroffen haben und dann zusammen Hiphop gemacht haben, Street Art, Graffiti und sich eigentlich über diese Arbeit einander annähern, sich kennenlernen und vor allem merken: Wir sind gar nicht so verschieden."
(uko)
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Begegnungen und Austausch zwischen der Türkei und Deutschland, das hat eine lange Tradition. Immer wieder waren Schüler, Studenten, Akademiker aus der Türkei und Deutschland im jeweils anderen Land zu Gast. Seit dem Putschversuch in der Türkei hat sich die Lage geändert. Verschiedene Organisationen beklagen, dass das Interesse an diesem Bildungsaustausch sehr nachgelassen hat. Der Deutsche Akademische Austauschdienst beispielsweise geht davon aus, dass nur noch halb so viele Hochschüler im Rahmen von DAAD-Programmen die Türkei besuchen wie noch 2014. Auch bei der Stiftung Mercator spürt man die unruhigen Zeiten. Dort leitet Anne Duncker den Bereich Internationale Verständigung. Guten Morgen, Frau Duncker!
Anne Duncker: Guten Morgen!
Welty: Was genau ist jetzt anders als vor dem Putschversuch?
Duncker: Zum einen muss man sagen, dass die Situation für den Austausch zwischen Deutschland und der Türkei sich schon seit den Gezi-Park-Protesten vor vier Jahren graduell schwieriger gestaltet hat. Das betrifft zum einen die Sicherheitslage, und das betrifft zum anderen eben die Einschränkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, und der Putschversuch hat dies natürlich noch mal stark beschleunigt.
Wir sehen daher, dass die Nachfrage auf deutscher Seite sinkt, wobei man doch sagen muss, dass es doch in vielen Programmen auch auf einem akzeptablen Niveau bleibt und es nicht so ist, dass kein Austausch mehr stattfindet. Gleichzeitig sehen wir auf türkischer Seite einen Anstieg, ein großes Interesse gerade bei jungen Menschen, also in unseren Austauschprogrammen für Schüler und Jugendliche, aber auch für junge Wissenschaftler oder Nachwuchsführungskräfte, zum Beispiel nach Europa und nach Deutschland zu kommen und den Dialog und den Austausch zu suchen.
Begegnungen eher in Deutschland stattfinden lassen
Welty: Wie wirkt sich das auf die Gestaltung Ihrer Programme aus?
Duncker: Das wirkt sich vor allem bei den Programmen für Minderjährige aus, also wenn wir Schülerprogramme haben, dass wir schon schauen, wie ist die Sicherheitslage. Und wir haben uns in den letzten Monaten auch dazu entschieden, Programme dann nicht in der Türkei stattfinden zu lassen, sondern in Deutschland. Das ist natürlich schade, wenn deutsche Schüler nicht in die Türkei fahren können für den Moment, aber wir sehen, dass die Ergebnisse eigentlich ähnlich gut sind.
Hauptsache, die Schüler und Jugendlichen kommen zusammen, können zusammen sich austauschen, an einem Thema arbeiten. So hatten wir zum Beispiel gerade ein sehr schönes Kreativcamp, wo sich in Görlitz zwei Wochen türkische und deutsche Jugendliche getroffen haben und dann zusammen Hiphop gemacht haben, Street Art, Graffiti, und sich eigentlich über diese Arbeit einander annähern, sich kennenlernen und vor allem merken, wir sind gar nicht so verschieden.
Welty: Die Stiftung Mercator hat ja auch die Deutsch-Türkische Jugendbrücke gegründet, um den Austausch zu fördern und die Beziehungen zu stärken. Inwieweit sehen Sie den Erfolg der Jugendbrücke jetzt gefährdet? Oder lässt sich das eben über andere Orte ausgleichen?
Duncker: Die Kolleginnen und Kollegen dort verstehen es gut, auch in so politisch schwierigen Zeiten gute Partner zu suchen, viele Gespräche zu führen, Vertrauen aufzubauen. Das ist ja immer ganz entscheidend. Und so waren in diesem laufenden Jahr trotz dieser schwierigen Bedingungen ungefähr bereits 700 Teilnehmer aus beiden Ländern in Programmen, die die Stiftung gefördert hat, mit dabei.
Und so sehen wir, dass es trotz dieser wirklich schwierigen Bedingungen immer noch ganz gut funktioniert, indem man eben viele Gespräche führt, versucht, Bedenken abzubauen, die Sicherheitslage gut zu prüfen, natürlich auch immer mit den Verantwortlichen zu sprechen, mit den Eltern, mit den Lehrern, die Kontakte in die Ministerien zu suchen, sodass man eine Basis der Willigen findet sozusagen, den Austausch weiterhin möglich zu machen.
"Wir versuchen natürlich, optimistisch zu sein"
Welty: Beim schon erwähnten DAAD hofft man darauf, dass sich die Beziehungen mittel- und langfristig wieder normalisieren. Können Sie diesen Optimismus teilen?
Duncker: Ehrlich gesagt schwankt man oft so ein bisschen. Wir versuchen natürlich, optimistisch zu sein. Und dann gibt es immer wieder politische Entwicklungen, die einem so ein bisschen den Boden unter den Füßen schwanken lassen, weil doch vieles sich schwieriger entwickelt hat, als wir das vor ein paar Jahren noch für möglich gehalten haben. Insofern kann ich da keine kontinuierliche Entwicklung bei uns beschreiben, sondern es gibt so ein bisschen Hochs und Tiefs.
Aber grundsätzlich bleiben wir optimistisch, und gerade diese Ergebnisse dieser Programme, wenn Sie mit Teilnehmern sprechen, mit Jugendlichen oder mit jungen Wissenschaftlern, die an solchen Programmen teilgenommen haben, mit welchem Enthusiasmus und Leuchten in den Augen die berichten, und wie sie davon erzählen, wie sie Freundschaften geknüpft haben, wie sie über Jahre mit ihren Gastfamilien verbunden bleiben, das gibt uns doch ein ganz starkes Gefühl, dass das der richtige Weg ist, zu versuchen, unsere Länder verbunden zu halten.
"Die Türkei ist kein monolithischer Block"
Welty: Wie reagieren Ihre türkischen Partner auf die veränderte Situation, dass weniger Gäste aus Deutschland kommen, das bleibt in der Türkei ja nicht verborgen?
Duncker: Die tun ihr Möglichstes, um Austauschprogramme aufrechtzuerhalten, und man merkt dort in den Gesprächen so ein bisschen dieses Schwanken zwischen Optimismus, aber auch, das muss man sagen, großer Enttäuschung. Wir sehen, viele sind sehr enttäuscht über den Kurs des Landes. Manche sind verzweifelt. Wenn Sie in die Jahre vor den Gezi-Park-Protesten schauen, da gab es so einen Aufbruch. Es gab natürlich auch eine enorme positive wirtschaftliche Entwicklung, es gab ganz viel Austausch. Istanbul gerade als Stadt hat geboomt, da sind Tausende und Tausende von Erasmus-Studenten hingepilgert, kann man sagen. Und dann ist vieles sehr schnell eingebrochen und hat sich anders entwickelt.
Da ist unser Gefühl, dass gerade diese Partner, die sehr nach Europa schauen, gerade die Leute von den Universitäten, aus der Zivilgesellschaft, von den NGOs, aus der Kunst- und Kulturszene, die lechzen nach den Verbindungen zu Europa und suchen die Wege. Da ist doch sehr stark unser Gefühl, dass wir uns nicht abwenden sollten von den Menschen in der Türkei und von der Zivilgesellschaft. Die Türkei ist ja nicht ein monolithischer Block.
Zwischen Regime und den Menschen unterscheiden
Welty: Aber muss man angesichts der jüngsten Entwicklungen nicht realistisch sein und sagen, die Türkei entwickelt sich insgesamt weg von Europa?
Duncker: Wir wollen da nicht naiv sein. Die Türkei ist im Moment weit davon entfernt, die EU-Aufnahmekriterien zu erfüllen in ganz vielen Aspekten. Trotzdem ist es ja so, dass die Türkei eben aus extrem unterschiedlichen politischen Strömungen und gesellschaftlichen Gruppen zusammengesetzt ist, was man ja auch dann besonders sieht, wenn man an Austauschprogrammen teilnimmt. Ich sage mal, ich kann nachvollziehen, wenn Leute sagen, ich fahre jetzt nicht mehr in die Türkei in den Urlaub, ich möchte das nicht unterstützen, mit meinem Geld soll da nicht ein politisches System stabilisiert werden.
Und zum anderen, wenn man einen Austausch macht und wohnt vielleicht in einer Familie, die eine kleine Pension betreibt im Süden der Türkei oder einen Supermarkt, der von Touristen lebt, und man sieht, wie die Familie ums wirtschaftliche Überleben kämpft und vielleicht das Schulgeld für die Kinder langsam nicht mehr bezahlen kann, dann passiert da was, dann hat man einen differenzierteren Blick und versucht auch stärker zu unterscheiden zwischen: Was ist ein politisches Regime, und welche Menschen gibt es, die in diesem Land leben. Dazu versuchen wir die Möglichkeit zu geben.
Welty: Anne Duncker leitet den Bereich Internationale Verständigung bei der Stiftung Mercator, und das ist zurzeit im Hinblick auf das deutsch-türkische Verhältnis kein einfaches Unterfangen. Frau Duncker, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Duncker: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.