Es diskutierten:
Çağla İlk –Direktorin der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden
Mehtap Baydu – Künstlerin und Stipendiatin der "Kulturakademie Tarabya"
Johannes Ebert – Geschäftsführer des Goethe-Instituts
Die Diskussion fand am 13.10.21 im Rahmen des Festivals "Studio Bosporus" im "Kunstraum Kreuzberg" statt – eine Kooperation zwischen dem Goethe-Institut und Deutschlandfunk Kultur.
Ein Haus der Kunst am Bosporus
52:05 Minuten
Sie ist ein Hort der künstlerischen Freiheit: die Kulturakademie Tarabya in Istanbul, ein Projekt des Auswärtigen Amtes und des Goethe-Instituts. Das Refugium für Kunstschaffende feiert sein zehnjähriges Bestehen – in politisch angespannten Zeiten.
Zur Vertiefung der deutsch-türkischen Kulturbeziehungen wurde sie vor zehn Jahren gegründet: die Kulturakademie "Tarabya". Die Akademie im Norden von Istanbul – auf idyllischem Gelände mit Blick auf den Bosporus gelegen – ist heute eine gefragte Künstlerresidenz. Mittlerweile über 100 Stipendiatinnen und Stipendiaten haben dort mehrmonatige Arbeitsaufenthalte verbracht.
Als gemeinsames Projekt von Auswärtigem Amt und Goethe-Institut will Tarabya die künstlerische Freiheit und den deutsch-türkischen Dialog fördern. Doch wie kann ein Residenzprogramm Kreative in der Türkei und in Deutschland unterstützen, wie ihre Situation in politisch angespannter Lage stärken?
Im Rahmen des Festivals "Studio Bosporus" diskutierten Kulturschaffende über die Arbeit von Residenzprojekten und die Perspektiven des deutsch-türkischen Kulturaustauschs.
Kreativer Freiraum in Istanbul
Die türkische Performancekünstlerin Mehtap Baydu lebt in Berlin und ist eine der Stipendiatinnen von Tarabya. Sie mache zwar "politisch-kritische Arbeit", sagt Baydu, versuche allerdings oft, "nicht zu provokativ" zu sein.
Diese Selbstbeschränkung falle in der Kulturakademie Tarabya weg: "Mit einem Projekt nach Istanbul zu gehen, gibt mir das Gefühl, dass ich mich mehr bewegen kann. Das ist wie ein Extrafreiraum, um mich auszudrücken! Es ist aber nicht nur ein Ort, wo man einen Platz zum Arbeiten findet – man hat dort auch ganz viel Dialog mit der Stadt. Und sogar in Corona-Zeiten hat es die Akademie geschafft, uns mit der Kunstszene in Istanbul in Austausch zu bringen."
Refugien für Kulturschaffende
Johannes Ebert, Geschäftsführer des Goethe-Instituts, beobachtet mit Sorge, wie der Druck auf Demokratien und Zivilgesellschaften weltweit wächst. Auch in der Türkei habe sich die Lage verändert. Früher ein sehr offenes Land, würden "die Räume jetzt immer enger". Seine Institute versuchten, sich aktiv in die Kulturszene einzubringen.
"Wir haben drei Goethe-Institute in der Türkei: in Istanbul, Izmir und Ankara. Die sind seit über 60 Jahren dort und total gut vernetzt in den Städten. Und ich glaube, sie spielen heute eine noch wichtigere Rolle als zuvor – weil es Orte sind, wo man experimentelle und kritische Kunst machen kann."
In einem repressivem Umfeld werden sie zu "Netzwerken der Freiheit" – Refugien für Kulturschaffende. "Wir als Goethe-Institute können frei arbeiten – und das ist natürlich sehr gut", sagt Johannes Ebert. "Aber wenn wir sehen, dass unsere Partner unter Druck sind, dann versuchen wir natürlich, ein Anlaufpunkt zu sein, Übersetzungsförderungen zu geben und zivilgesellschaftliche Akteure zu unterstützen."
Deutsche Kulturinstitute als Orte der Freiheit
Kulturpolitische Orte spielten eine "extrem wichtige Rolle", betont auch die Direktorin der Kunsthalle Baden-Baden, Çağla İlk. Aus ihrer Jugend hat sie deutsche Kulturinstitute in bester Erinnerung:
"Unsere einzigen Orte, an denen wir überhaupt etwas Kritisches hören konnten, waren die Heinrich-Böll-Stiftung oder die Friedrich-Ebert-Stiftung oder das Goethe-Institut Tarabya in Istanbul. Das waren die Freiräume für junge Menschen wie mich und andere. Und durch sie haben wir auch unsere Beziehung zu Deutschland aufgebaut."
Keine koloniale Charity
Doch für langfristige Kulturbeziehungen sei es wichtig, sagt Çağla İlk, "nie den Menschen vor Ort aus den Augen zu verlieren" – das gelte auch für Residenzprogramme: "Sie können nur erfolgreich sein, wenn nicht der koloniale Aspekt im Vordergrund steht. Wer erschafft denn überhaupt Residenzprogramme? Das sind Erste-Welt-Länder wie Deutschland, das schaffen nur reiche Länder."
Çağla İlk plädiert dafür, finanzielle Förderung von Kulturprogrammen an kulturelle Teilhabe zu binden. Man könne etwa Mittel für Produktionen nur dann zur Verfügung stellen, wenn es lokale Partner gebe.
Diesen Ansatz unterstützt auch Johannes Ebert: "Das wird immer wichtiger, vor allem im postkolonialen Diskurs, wo gefragt wird: Wer spricht? Wer hat die Macht? Welche Asymmetrien gibt es? Ich liebe ja das Wort 'Demut' für den internationalen Kulturaustausch. Zuzuhören, zu gucken, was geht um mich herum vor. Und daraus dann Kulturprojekte zu entwickeln."
(tif)