Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung

Literaten machen Ausflug nach London

Das House of Parliament in London
Politisch ist kurz nach der Wahl und vor einem Referendum über Europa einiges los in London - literarisch aber auch. © AFP / Leon Neal
Von Tomas Fitzel |
Die Jahrestagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung hat ihre Mitglieder nach London geführt. Dort diskutierten sie über die Geschichte deutscher Literaten im britischen Exil und die Gegenwart der Flüchtlinge, die nach Europa wollen.
Wer in London mit der U-Bahn unterwegs ist, dem hämmert sich ein Satz sofort ein:
"Mind the gap, obwohl der gap gar nicht so breit ist, man kann da gar nicht hineinfallen."
Der Autor Navid Kermani. Um Grenzen nicht nur geistig zu überschreiten, sondern auch physisch, gehört es inzwischen zur guten Tradition, dass sich die Darmstädter Akademie jeweils im schönen Mai gewissermaßen auf Klassenfahrt begibt zu ihren Partnerinstitutionen in den Nachbarländern.
"Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat sich ja schon immer als eine deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, aber nicht als eine Akademie in Deutschland oder nur für Deutsche gefühlt."
Der Göttinger Literaturwissenschaftler Heinrich Detering und Präsident der Akademie. Dieses Jahr also London.
"Was wir nicht wissen konnten, dass wir jetzt genau im richtigen Augenblick hier sein würden, nämlich kurz vor einer Volksabstimmung über das Verhältnis Großbritanniens zum übrigen Europa."
Eine paradoxe Bewegung ist in Großbritannien zu beobachten: einerseits die Entfremdung von Europa, die Möglichkeit, dass die Insel aus der EU austreten könnte - andererseits ist ausgerechnet Deutschland recht populär geworden.
"Ein englischer Kollege, Mitglied unserer Akademie, sagte mir erst heute Nachmittag, für das neue Interesse an Deutschland in Großbritannien gibt es drei Gründe: den Fußball, Günter Grass und Neil MacGregor."
"Es ist beim Exil immer Barbarei mit im Spiel"
Deshalb verlieh auch die Akademie Neil MacGregor, dem Direktor des Britischen Nationalmuseums, den Gundolf-Preis. Dass er vor kurzem zum Gründungsintendant des Berliner Humboldt-Forums berufen wurde, verlieh der Preisverleihung in den Räumen der British Academy zusätzliche Würze. Neil Mac Gregor sprach über sein Lieblingsthema:
"The demonstration of a new kind of power of the object to change the way people think, people understand and people feel."
Neil McGregor
Der bisherige Direktor des British Museum und künftiger Gründungsintendant des Berliner Humboldtforums, Neil McGregor. © picture alliance / dpa / Foto: Arno Burgi
Barlachs Skulptur "Der Schwebende aus Güstrow" sowie ein einfacher Handkarren vom Flüchtlingstreck aus Ostpreußen waren seine sprechenden Beispiele dafür, wie stumme Objekte Geschichte erlebbar und erzählbar machen können. Auch die Tagung blickt zurück: auf die Jahre des Exils in England. Andrea Hammel vom britischen Zentrum für Exilforschung zeigte, wie das Thema der jüdischen Kindertransporte mittlerweile Eingang in die populäre Erinnerungskultur Englands fand, zum Beispiel in dem aktuellen Kinofilm Paddington um einen Teddybären nach der Kinderbuchreihe von Michael Bond.
"Ich hab das schon immer mal vermutet, aber Michael Bond hat das nach dem letzten Kinofilm zugegeben, dass er diesen Bären an die Kindertransporte angelehnt hat. Auf der anderen Seite es ist eine Sentimentalisierung. Wir sprechen jetzt von einem künstlichen Bären."
Diese Sentimentalisierung kappt zugleich den Bezug zur Gegenwart, denn Exil ist auch eine sehr heutige Erfahrung.
"Es ist beim Exil immer Barbarei mit im Spiel."
Der Wiener Autor Robert Schindel.
"Und Kampf gegen die Barbarei und es ist Solidarität im Spiel in Exilfragen, und alle drei widerspiegeln sich hoffentlich auch in den Debatten, alle drei Problemkomplexe"
"Aber Robert."
Die Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger, die als Kind ebenso wie Schindel die Shoa überlebte.
"Was hältst Du denn davon, dass mehrere von den PEN-Mitgliedern sich dagegen gewehrt haben, dass Charlie Hebdo in New York geehrt wird."
"Ja ich find es halt traurig, aber zum Teil auch niederträchtig."
"Aber was findest Du niederträchtig?"
"Ich weiß es wirklich nicht, ich steh da dazwischen, aber ich bin Amerikanerin und wir finden, dass man einander nicht beleidigen soll."
Die Akademie wurde in London tolerant ertragen
Hier war er wieder, der gap, aber genau diese spontanen Diskussionen machen die Frühjahrstagungen der Darmstädter Akademie so anregend. Wo trifft man so viele Autoren auf einmal? Auch für Aris Fioretos und Navid Kermani war dies ein Thema.
"Grundsätzlich ist der Kunst ja alles erlaubt, nur muss sie nicht gleich alles sagen, zu jeder Zeit, es gibt auch eine Art von Höflichkeit und Achtsamkeit mit dieser Freiheit des Ausdrucks. Man muss zwei Ebenen unterscheiden. Wir müssen alle das Recht, von wem auch immer, verteidigen, seine Meinung frei zu äußern, natürlich sind wir in dem Sinne solidarisch mit denen, die Opfer werden von Gewalt, aber deswegen müssen wir ihre Texte ja nicht gut finden."
Kermani ging es aber vor allem um die Flüchtlinge, die vor den Küsten Europas zu Hunderten ertrinken.
"Unsere Aufgabe ist es, diese Gleichgültigkeit, die sich dadurch ergibt, dass man immer nur von Zahlen hört oder irgendwelchen Katastrophen, dass man Bilder schafft, die sich in das Gedächtnis einbrennen und dann auch bleiben, die man vielleicht auch wieder, wenn man in einer Sitzung über politische Dinge zu entscheiden hat oder die Zeitung liest, diese Bilder noch in der Seele hat."
Kermani hatte dazu selbst vor Ort auf Lampedusa und an der marokkanischen Küste recherchiert. Aris Fioretos zeigte sich dagegen skeptischer. Anders als ein Reporter müsse ein Schriftsteller zugleich über die Unmöglichkeit reflektieren, sich in solche Flüchtlingsschicksale hineinzuversetzen und dies deutlich machen:
"Dass es zwar die Literatur gibt, aber auch das Leben, und wie verhalten die sich zueinander? Es gibt ein gap dazwischen, und darüber zu sinnieren, ist natürlich Aufgabe eines Autors und natürlich vor allem, wenn er auch als Reporter irgendwie unterwegs ist, dass ein Leben, das wie ein Roman aussieht, doch ein Leben bleiben kann, auch das ist minding the gap."
Die Lücke, die es zu füllen oder zu überschreiten gilt, das ist auch das große Thema von Übersetzung, um die es heute und zum Abschluss morgen geht. Mind the gap, wo der Engländer den Spalt oder das Loch fürchtet, warnt der Deutsche vor der Bahnsteigkante, also der Grenzlinie. Auch dies sagt vieles über das deutsch-britische Verhältnis, ebenso wie das gestrige Treffen im altehrwürdigen und einstigen Herrenclub, dem Reformclub, in dem Jules Verne seine Reise in 80 Tagen um die Welt beginnen lässt. Die Akademie wurde eher tolerant ertragen in dem ihr zugeteilten Raum, als dass sie tatsächlich empfangen worden wäre. Natürlich galt strikter Dresscode. Während Durs Grünbein sich bereitwillig beim halben Windsor zur Hand gehen ließ, Jan Wagner leihweise den Schlips umband, strahlte Volker Braun wie ein ewig jungenhafter Rebell, weil er sich mit offenem Kragen an den strengen Torhütern vorbeischmuggeln konnte.