Rostbratwurst "from behind the Iron Curtain"
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Es ist die Geschichte zweier Auswanderer: Der eine kam in den 90er Jahren aus München nach San Francisco, die andere aus Thüringen. Beide betreiben dort bis heute Restaurants mit Speisen aus ihrer Heimat: die "Suppenküche" und das "Walzwerk".
In San Francisco, Restaurant "Suppenküche". Fabrizio Wiest, kurz Fabi, sitzt in seinem Büro am PC. In Jeans und T-Shirt. Auf dem Kopf ein Baseball-Cappy. Fabi war Grafiker in München. Vor 27 Jahren verließ er Deutschland in Richtung USA. Die Idee, in Kalifornien ein deutsches Wirtshaus zu eröffnen, sei damals nicht von ihm selbst gekommen, erzählt er. Sondern von einem Nachbarn, der leidenschaftlicher Hobbykoch war.
"Dann Anfang der Neunzigerjahre sind wir hergekommen. Und das war nach dem alten Bush, da war hier ein bisschen Rezension. Deswegen war es billig. Und deswegen konnten wir da einsteigen."
Fabrizio Wiest wuchs in Niederbayern auf. Sein Großvater betrieb dort eine kleine Brauerei. Klein Fabrizio durfte dabei sitzen, wenn die Erwachsenen in der Bierstube aßen, tranken und sich unterhielten. In der "Suppenküche" wollte er das gemütliche Ambiente aus seiner Kindheit in Bayern nach San Francisco bringen. Im Schankraum stehen echte Wirtshaustische.
"In Amerika sitzt du an einem Vierertisch oder Zweiertisch mit deiner Freundin oder mit deiner Familie. Und bei uns war das gleich von Anfang an, dass dann sehr konservative Leute mit sehr unkonservativen Leuten dann plötzlich am Tisch saßen – und die hatten dann am Ende doch Spaß miteinander."
Hammer und Zirkel in San Francisco
Im Schankraum ist es voll geworden. Die Gäste rücken zusammen. Die meisten von ihnen haben irgendeine Verbindung zu Deutschland. Auch die Frau, die mit Mann und Tochter an einem Tisch sitzt. Ihre Großmutter sei Deutsche gewesen, erzählt sie. Sie kämen hier wegen des Biers und der Käsespätzle. Und ihre Tochter sagt, dass sie die Laugenbrezeln liebt. Ihr Mann, Amerikaner, wagt sich daran, die Speisekarte auf Deutsch vorzulesen:
"Tageskrate: Würstchensuupe mit Würschtelchen. / Geberzter Lachs mit Gurken / Kapernschlaunzen mit Gemmuschkratzmemory / Sauerkraut…"
"‘Suppenküche‘ – da ist ja überall jetzt was los. Die ganze Straße hat sich ja entwickelt", sagt Christiane Schmidt. Die gelernte Cocktail-Mixerin kam 1996, drei Jahre nach Fabrizio Wiest, nach San Francisco und arbeitete in dessen Suppenküche, bis sie ihr eigenes Restaurant eröffnete: das "Walzwerk".
Käsespätzle und Sauerbraten stehen auch hier auf der Speisekarte, aber auch Soljanka und Thüringer Bratwurst. Die Gerichte aus der Heimat von Christiane Schmidt und Isabell Mysyk, mit der sie vor 20 Jahren das ostdeutsche Restaurant eröffneten.
"Wir haben den Laden aufgemacht. Sechs Wochen nur Lunch zum Probieren. Das war natürlich nicht super voll. Aber sobald wir zum Dinner aufgemacht haben, ging es los. Wir waren in der Zeitung gleich danach. Und wie war die Überschrift: ‚Food from behind the Iron Curtain‘."
"Speisen von hinter dem Eisernen Vorhang." DDR in Kalifornien: ein Restaurant mit original ostdeutscher Einrichtung. In Vitrinen liegen Spielzeug-Trabis neben DDR-Verdienstmedaillen. "Erisch" Honecker und Kosmonaut Sigmund Jähn lächeln auf Fotos von den Wänden. "Schöner unsere Städte – mach mit." Eine Tafel mitten im Restaurant, mit Hammer und Zirkel und Ährenkranz.
"East German restaurant in San Francisco" wirbt das "Walzwerk"-Restaurant online. "Sie verlassen den amerikanischen Sektor" warnt an der Eingangstür ein Blechschild, original aus der DDR. Innen an der Wand hängt eine riesige Abbildung vom Emblem der Thüringer "Maxhütte", der das Restaurant seinen Namen verdankt.
Hat Trump ihr Leben verändert?
Fabrizio Wiest hat erlebt, wie die beiden ostdeutschen Frauen im Westen der USA ankamen. "Christiane und Isabell fanden das natürlich irre. Die haben sich ein Zimmer gemietet. Und waren dann nur vorm Fernseher, um erst mal Englisch zu lernen. Und dann haben sie sich verrückte Kleidung gekauft. Und Christiane hat dann auch in der ‚Suppenküche‘ angefangen, Bartender zu machen. Und haben dann später ihre eigene Sache gemacht."
Zehn Jahre lang betrieben die beiden Frauen danach erfolgreich ihr eigenes Restaurant, das mit Relikten und Insignien der untergegangenen DDR spielt. Dann stieg Isabell Mysyk aus. Sie arbeitet inzwischen in San Francisco als Ingenieurin, erzählt Christiane Schmidt, die das "Walzwerk" allein weiterführt.
"Na, dann bin ich schwanger geworden. Und dann habe ich einen zweiten Laden aufgemacht. Die ersten Mietergespräche habe ich mit meinem Baby auf dem Arm geführt. Das ‚Schmidt‘ habe ich aber jetzt zugemacht, weil ich eine super hohe Mieterhöhung bekommen habe."
Die Lebenshaltungskosten klettern in San Francisco in Schwindel erregende Höhen. Vor allem wegen des nahen Silicon Valley, wo viel Geld verdient wird. Als der west-, genauer: süddeutsche Fabrizio Wiest und die ostdeutsche Christiane Schmidt in die USA übersiedelten, herrschten andere politische Verhältnisse – mit Bush Senior und Bill Clinton als Präsidenten. Hat die Wahl von Trump ihr Leben in Kalifornien verändert?
"Im Grunde genommen sehe ich es gar nicht so negativ nach dem langweiligen immer Ja sagen in der Zeit von Obama. Dadurch, dass wir jetzt so jemanden haben, der so radikal in seiner Weise ist, weckt das natürlich auch viele Leute auf, die dann sagen: Das wollen wir nicht unbedingt."
"Acht Jahre mit Obama oder davor Bush oder Clinton oder jetzt Trump: Ich habe für mich persönlich weder Nachteile noch Vorteile. Ich muss so viele Steuern bezahlen – und im Endeffekt bleibt nichts übrig. Und ich bin nur am Arbeiten. Da ist es egal, welcher Präsident dran war."
Rückkehr in die Heimat nicht ausgeschlossen
Christiane Schmidt ist seit fünf Jahren alleinerziehend. Fabrizio Wiest ist verheiratet und hat drei Kinder. Auch der Mitbegründer seines Restaurants ist schon vor langer Zeit ausgestiegen. Mit seinem jetzigen Geschäftspartner hat er nahe der "Suppenküche" einen Biergarten eröffnet und ein zweites Restaurant mit Blick auf die Golden Gate Bridge.
"Ich hatte schon Heimweh, aber ich war immer dermaßen beschäftigt hier dadurch, dass ich hier jeden Tag in meinem eigenen Wohnzimmer stand, und tausend Leute kamen. Als Grafiker wäre das ein bisschen langweilig geworden auf Dauer. Mein Traum wäre, später mal auf einer Ranch zu sein und was ganz einfaches zu machen."
Nach Deutschland zurückzukehren – für Fabrizio Wiest ist das kein Thema. Für Christiane Schmidt dagegen schon. "Es wäre für mich auch noch mal eine schöne Herausforderung, was anderes zu machen. Weil ich weiß, dass ich hier in Kalifornien nicht in Rente kann. Es ist zu wenig. Würde wahrscheinlich nicht mal für die Miete reichen."
In zwei Jahren, wenn ihre Tochter mit der Mittelschule fertig ist, will Christiane Schmidt mit ihr nach Berlin ziehen, wo sie zuletzt vor ihrem Umzug in die USA gelebt hat. Zunächst wird das eine Rückkehr auf Probe sein. Für das "Walzwerk" will sie einen Geschäftsführer anstellen.
"Ich lebe hier seit 22 Jahren und ich liebe Kalifornien und ich liebe auch San Francisco. Das wird immer mein Home sein, egal wie es sich verändert."
Doch nicht nur materielle Gründe ziehen Christiane Schmidt wieder gen Osten: Mit den Jahren, meint sie, sei ihre Sehnsucht nach ihrer alten Heimat, nach Deutschland, größer geworden.
"Und jetzt habe ich aber zwei Zuhause. Das ist okay."